Wie Präsident Barack Obama die Aktion verfolgte. US-Stars wie David Letterman machen makabre Witze über den toten Osama bin Laden.
Washington/Islamabad/Hamburg. Für sie gilt der Kodex einer Elitetruppe: handeln und schweigen. Auch wenn es heftig knallt, wenn das Navy Seal Team Six zuschlägt, ist die Spezialeinheit der US-Marine eine kaum hörbare, verschwiegene Truppe. Die Seals haben Al-Qaida-Chef Osama bin Laden in der Nacht zum Montag in einem Feuergefecht in Pakistan getötet. Die Soldaten dürfen sich öffentlich nicht dazu bekennen. Der Chef der Navy Seals, Konteradmiral Edward Winters, ermahnte sie in einer E-Mail zum Stillschweigen – und gratulierte zum gelungenen Einsatz. Von Helikoptern aus hatten sich die Soldaten der Sondereinheit in der Dunkelheit an Seilen in das befestigte Anwesen von Osama bin Laden hinuntergelassen, bevor sie den Terrorpaten töteten.
Die Eliteeinheit, die nur aus einigen Hundert Mann besteht, die im US-Staat Virginia stationiert sind, ist offiziell als Naval Special Warfare Development Group – oder DEVGRU – bekannt und Teil der Spezialeinheiten, die sich selbst „Die stillen Fachleute“ nennen. Wie die Eliteeinheit Delta Force und andere Spezialeinheiten wird das Seal Team Six vom Joint Special Operations Command geleitet. Dieses Oberkommando wurde 1987 gegründet, nachdem 1980 ein Versuch, amerikanische Geiseln im Iran zu befreien, fehlgeschlagen war.
Der US-Präsident hat prinzipiell die Befugnis, die Seals und andere Einheiten zu verdeckten Operationen ohne Aufsicht des US-Geheimdienstes CIA zu ermächtigen. In dem Einsatz gegen Osama bin Laden hatte aber CIA-Direktor Leon Panetta auf Anweisung Barack Obamas das Kommando über die Einheit. Seal Team Six arbeitet so oft für den Geheimdienst, dass es manchmal als Prätorianergarde der CIA bezeichnet wird – eine Zusammenarbeit, die im Irak entstand.
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Die Bin-Laden-Mission ist ein wichtiger Erfolg für die Seals, deren Name für Sea, Air and Land (Wasser, Luft und Land) steht. Bei einer Geiselbefreiung 2010 war die Britin Linda Norgrove, die von afghanischen Extremisten gefangen gehalten worden war, versehentlich getötet worden. Der Ruf der Einheit hatte dabei auch gelitten, weil die Truppe erst den Sprengstoffgürtel eines Gegners für den Tod der Frau verantwortlich machte. Erst eine neuerliche Ansicht des Überwachungsvideos machte deutlich, dass einer der Seals eine Granate geworfen hatte, die neben Norgrove explodierte. Er wurde dafür entlassen.
Nach dem Tod von bin Laden hoffen die USA auf neue Erkenntnisse über die Pläne seines Terrornetzwerks. US-Geheimdienste setzen vor allem auf mehrere Festplatten, die beim Sturm auf bin Ladens Unterschlupf sichergestellt wurden. Nach Einschätzung von Sicherheitsexperten ist die Terrorgefahr auch nach dem Ende des meistgesuchten Mannes der Welt weiter hoch. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier rechnet nach dem Tod von bin Laden mit Auswirkungen auf den Krieg in Afghanistan, das als Rückzugsgebiet islamischer Extremisten gilt. „Nachdem die Terrororganisation ihren führenden Kopf verloren hat, wird die geplante Beendigung des Einsatzes realistischer“, sagte der frühere Außenminister der Nachrichtenagentur dpa. Das Ziel für einen Rückzug spätestens bis zum Jahr 2014, das sich die USA und andere Nato-Länder gesetzt hätten, halte er deshalb für machbar.
Die Sicherheitslage an der pakistanisch-afghanischen Grenze war am Dienstag Thema bei einem Treffen ranghoher Vertreter Pakistans, Afghanistans und der USA in Islamabad. Außerdem sei es um den Friedens- und Versöhnungsprozess in Afghanistan gegangen, sagte der US-Sondergesandte Marc Grossman. Den Tod bin Ladens nannte der US-Diplomat „vorteilhaft“. Zugleich seien alle Teilnehmer des Treffens einig gewesen, zukünftig stärker auf diplomatischer Ebene zu einer Verständigung mit den Aufständischen in Afghanistan zu gelangen.
Am Dienstag wurden weitere Details zu der Kommandoaktion und der jahrelangen Jagd auf Bin Laden bekannt. Der Fahndungserfolg war nach den Worten eines Top-Beraters von US-Präsident Barack Obama das Ergebnis mühseliger Kleinarbeit. Zum Erfolg habe „keine einzelne Information, kein Aha-Moment“ geführt, erklärte Anti-Terror-Berater John Brennan dem US-Sender CNN. Nach einem Bericht des „Wall Street Journal“ war sich der US-Geheimdienst CIA bis zuletzt keinesfalls sicher, dass bin Laden tatsächlich in Abbottabad lebte. Einige Analysten hätten die Wahrscheinlichkeit mit 60 Prozent angegeben, andere mit 80 Prozent. CIA-Chef Leon Panetta habe die Ungewissheit zu schaffen gemacht. Dann sei er aber davon ausgegangen, dass die US-Öffentlichkeit selbst bei einer 50-prozentigen Chance hinter der Operation stehen würde, schrieb das Blatt.
Osama bin Laden hat sich nach US-Angaben jahrelang in der von US-Spezialeinheiten gestürmten Villa im pakistanischen Abbottabad versteckt. Bin Laden habe die vergangenen fünf bis sechs Jahre auf dem Anwesen verbracht, sagte US-Präsidentenberater Brennan dem Sender CBS. In der Zeit habe er praktisch keine Kontakte außerhalb des Geländes gehabt, sei dort aber sehr aktiv gewesen und habe zum Bespiel Video- und Audio-Botschaften aufgenommen.
Präsident Barack Obama und seine Top-Berater hatten die Kommandoaktion gegen bin Laden im „Situation Room“ des Weißen Hauses mitverfolgt. Aus dem Lagezentrum lassen sich per Satellit Ereignisse in Bild und Ton mitverfolgen. Das Krisenzentrum gibt es bereits seit der missglückten Kuba-Invasion 1961, als Exilkubaner mit CIA-Hilfe in der Schweinebucht landeten, um Fidel Castro zu stürzen. Die Kuba-Krise ein Jahr später und der Golfkrieg 1991 waren weitere Bewährungsproben. Hier laufen alle wichtigen Informationen zusammen. Etwa 30 Experten aus dem Heimatschutzministerium, den US-Geheimdiensten und der Armee halten das Lagezentrum rund um die Uhr in Betrieb und beobachten das Weltgeschehen. Analysten stellen zudem Dossiers über alle wichtigen Ereignisse für den Präsidenten zusammen. Telefon- und Videokonferenzen lassen sich zu rund 1800 Orten auf der ganzen Welt herstellen. Dazu zählen Botschaften, US-Behörden und Geheimdienste. Alle Leitungen sind abhörsicher. Auch Gespräche mit Staats- und Regierungschefs laufen über das Lagezentrum.
Ein Video vom Situation Room finden Sie hier
Der Tod bin Ladens hat nicht nur die Nachrichtensendungen dominiert, sondern auch die Late-Night-Shows im US-Fernsehen. „Sie scheinen alle bei bester Laune zu sein“, begrüßte Talk-Show-Legende David Letterman die Studiogäste seiner „Late Show“ mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. „Habt ihr das Ende der letzten Staffel von Osama bin Laden genossen?“ Jay Leno nahm in seiner „Tonight Show“ gleich Bezug auf die Wirkung des Ereignisses für die US-Innenpolitik: „Es sieht so aus, als habe Präsident (Barack) Obama einen neuen Wahlspruch: Yes I Did (Ja, ich habe es getan)“. Letterman stellte Mutmaßungen über die letzten Worte bin Ladens an. Vielleicht: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich in einer Welt, in der ,Fast and Furious Five' der erfolgreichste Film ist, noch leben will“ oder „Ein Haus voller Seals kann ich so gut gebrauchen, wie ein Loch im Kopf.“
Mit Material von dpa, rtr, dapd, AFP