Hamburg. Jens Kuzel von den Volksparkjunxx lobt den HSV-Kampf gegen Homophobie. Was sich dringend ändern muss und was sich bereits geändert hat.
Jens Kuzel macht keinen Hehl aus seiner Gesinnung. Vorne im Auto baumelt ein HSV-Dino vom Rückspiegel, die Ablage des Kofferraums ist mit HSV-Schals verschönert. Dass Kuzel HSV-Fan ist, kann, darf und soll jeder sehen.
Gut zwei Wochen ist es allerdings her, dass Kuzel mit seinem Herzensclub fremdelte, was weniger mit seiner Gesinnung als viel mehr mit seiner Sexualität zu tun hat. Kuzel ist schwul – und auch das kann, darf und soll gerne jeder sehen. Doch als der Pinneberger nach der Heimniederlage gegen Hansa Rostock (0:1) schon auf dem Heimweg war, erfuhr er etwas, was er zuvor im Stadion gar nicht mitbekommen hatte.
„Fans“ hatten quer über die Nordtribüne ein Banner hochgehalten, auf dem geschrieben stand: „Ganz MV ist schwul – besonders der Hansa-Hool“. Eine Beleidigung, die an längst vergangene Zeiten erinnerte. „Dieses Plakat war natürlich ohnehin eine Vollkatastrophe, aber im Zusammenhang mit dem Uwe-Seeler-Abschied war es noch mal mehr unwürdig“, sagt Kuzel, als er zwei Wochen später zu Gast beim Abendblatt ist und im Rahmen des Podcasts „HSV – wir müssen reden“ über Homophobie im Fußball spricht.
Wie der HSV den Übeltäter ausfindig machte
Kuzel berichtet, wie er direkt nach dem Rostock-Spiel Ultravorsänger Niko eine Whatsapp-Nachricht schickte und fragte, was ihm zu dem Plakat einfiele. „Die Ultras waren selber überrascht und entsetzt“, sagt Kuzel, der sich aber über die vielen Reaktionen aus der HSV-Familie freute. Der Capo habe ihm versichert, dass das Banner nicht geduldet werden und man die Initiatoren lokalisieren würde.
Kai Esselsgroth vom Ehrenrat meldete sich und kündigte an, dass das Transparent nicht folgenlos bleiben könne. Und auch Cornelius Göbel von der Fankultur nahm umgehend Kontakt mit Kuzel auf. Der HSV sei in den vergangenen Jahren auf der Überholspur beim Kampf gegen Schwulenfeindlichkeit gewesen, lobt Kuzel, der aber auch sagt: „Es gibt noch immer Alltagshomophobie. Und Diffamierungen werden mittlerweile leider gezielt gesetzt.“
Nach Abendblatt-Informationen wurden mehrere Personen ausfindig gemacht, die am Plakat beteiligt waren – ein möglicher Initiator wurde entdeckt. Dieser soll zeitnah zu einem Stadionverbotsgespräch eingeladen werden. „Vielleicht findet man auch andere pädagogische Maßnahmen als ein Stadionverbot“, sagt Kuzel, der aber den Aufklärungswillen des HSV begrüßt. Sollte es gewollt sein, könnte er sich sogar vorstellen, mit seinem Fanclub an einem möglichen Dialog teilzunehmen.
HSV-Ultras distanzieren sich von Homophobie
Unter den Ultras gibt es jedenfalls eine klare Haltung zu den Vorkommnissen. Beim Heimsieg gegen Heidenheim (1:0) wurden Flyer verteilt, auf denen die Haltung noch einmal unmissverständlich kommuniziert wurde: „Wir distanzieren uns klar und deutlich von dieser menschenfeindlichen Botschaft“, stand auf dem Flyer. Und weiter: „Sicherlich gibt es in der Hinsicht im HSV-Kosmos noch einiges zu tun, aber wir werden weiter daran arbeiten und bekräftigen nochmals unseren Einsatz für eine Nordtribüne für alle – ganz egal welches Geschlecht du hast, woher du kommst, wie du aussiehst, oder wen du liebst. Wer diese Werte nicht teilt, der gehört nicht auf die Nordtribüne.“
Auf dieser Nordtribüne fühlt sich Jens Kuzel noch immer wohl – trotz des Vorfalls. Er hat eine Dauerkarte im Block 25B – und ganz in der Nähe stand er auch schon vor neun Jahren. Damals hatte das Abendblatt ihn und den damaligen HSV-Profi Lasse Sobiech auf der Nordtribüne zu einem Doppelinterview über Homophobie im Fußball gebeten. Die gute Nachricht: Es geht seitdem voran. Die schlechte Nachricht: Bedauerlicherweise nur sehr, sehr langsam.
„Trotz des Outings von Thomas Hitzlsperger gab es bei den Vereinen und Verbänden keine Riesenwelle. Es geht in ganz kleinen Schritten voran“, sagt der frühere HSV-Abwehrmann Sobiech, den das Abendblatt im Rahmen des Podcasts noch einmal zu seinen Erfahrungen nach dem Interview befragte. Er habe viel Feedback – ausschließlich positives – aus dem Freundeskreis erhalten, sagt Sobiech. Aber gar keine Reaktionen von Mannschaftskollegen. „Der Fußball hat eine Macht, die leider viel zu wenig ausgespielt wird“, sagt der mittlerweile 31-Jährige, der seit dieser Saison in Südafrika beim Stellenbosch FC sein Geld verdient. „Es ist beispielsweise sehr schade, dass die WM in einem Land wie Katar stattfindet.“
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Homophobie im Fußball – das Problem bleibt
Das findet Kuzel natürlich auch – genauso wie die Tatsache, dass er im Jahr 2022 überhaupt noch über Homophobie sprechen muss. Seinen Interviewsatz von damals, „dass manche Fans einfach ungewollt beleidigen“, würde er heute so nicht mehr wiederholen. Die Fans, die von einem „schwulen Pass“ sprechen, wüssten ganz genau, was sie da sagen.
Dem 46-Jährigen ist allerdings wichtig, dass nicht der Eindruck entsteht, dass alles schlechter geworden sei. Im Gegenteil. „Die Mehrheit beim HSV steht hinter uns“, sagt Kuzel – und berichtet von einem Beispiel. Als der HSV vor vier Jahren erstmals zum Christopher-Street-Day die Regenbogenflagge gehisst habe, hätte es bei Facebook übelste Beschimpfungen gegen ihn und seinem Fanclub gegeben.
Die Netz-Pöbler habe der HSV aber schnell dingfest gemacht – und aus dem Verein ausgeschlossen. „Der HSV ist auf einem richtig guten Weg“, sagt Kuzel kurz bevor er sich nach einer guten Stunde verabschiedet und sich wieder in sein rollendes HSV-Museum mit Dino und Schals setzt. Man muss ja schließlich Flagge zeigen.