Berlin. War Maria wirklich Jungfrau? Ist Jesus in Bethlehem geboren? Lebte er tatsächlich? Ein Experte bringt Licht in sechs Weihnachts-Mythen.

Die Weihnachtsgeschichte ist vermutlich eine der am häufigsten erzählten Geschichten der christlich geprägten Welt. Was ist dran an der Schilderung der Geburt und des Lebens von Jesus Christus? Ein Faktencheck mit dem Archäologen und Theologen Dieter Vieweger, Leiter des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem und Amman und Professor an der Universität Wuppertal.

Weihnachtsgeschichte: Wie sicher ist es, das Christus in Betlehem geboren wurde?

In der entscheidenden Passage der Weihnachtsgeschichte im Neuen Testament der Bibel heißt es: „Es geschah aber in jenen Tagen, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging, den ganzen Erdkreis aufzuschreiben. Dieser Zensus war der erste, er geschah, als Quirinius über Syrien herrschte. Und alle gingen, sich aufschreiben zu lassen, ein jeder in seine eigene Stadt.“

Vieweger sagt: „Wir finden natürlich keine Steine, die uns über ein so konkretes Ereignis Auskunft geben. Wir müssen uns deshalb immer hineindenken in die Geschichte. Die Archäologie kann eine Epoche beschreiben und die Gesellschaft, in der die Weihnachtsgeschichte erzählt wurde.“

Fest steht: Augustus hat von 27 v. Chr. bis 14 n. Chr. als römischer Kaiser geherrscht. „Und während seiner Regentschaft werden Begriffe öffentlich benutzt, die wir in der Weihnachtsgeschichte wiederfinden: Evangelium, also die frohe Kunde, der Friedenskönig kommt und das Friedensreich ist angebrochen. Diese Ehre hat der Kaiser für sich gefordert“, sagt Vieweger. Aber die Frommen in Israel hätten dagegengehalten: ja, wir warten auf einen anderen Friedenskaiser und auf den göttlichen Messias – was auf Griechisch Christus heißt.

Was wissen wir? „Jesus hat es gegeben. Und er ist sicher in Nazareth aufgewachsen“, sagt Vieweger. Aber sind seine Eltern Josef und Maria tatsächlich nach Bethlehem gegangen, wo er dann geboren wurde? „Ich weiß es nicht, ich war nicht dabei“, sagt Vieweger. Aber eine solche „Volkszählung“, wie sie in der Weihnachtsgeschichte genannt wird, könne es zur Zeit des Herodes des Großen möglicherweise gegeben haben. Einige Forscher meinen, es habe sich um einen Treueeid zum Kaiser gehandelt. Aber das bleibt letztlich unsicher.

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Die im Lukasevangelium genannte Steuerregistrierung unter Quirinius, dem Statthalter „in der großen und sehr bedeutenden Provinz Syrien, zu der Judäa gehörte“, lasse sich aber erst 6 n. Chr. einordnen – eine echte Steuerschätzung. Der jüdische König Herodes der Große starb aber schon 4 v. Chr. „Die Evangelien von Lukas und Matthäus erzählen, dass Jesu Geburt unter Herodes dem Großen geschehen sei“, sagt Vieweger. „Alles spricht also dafür, dass dort nicht die Steuerschätzung unter Quirinius gemeint ist. Dabei muss man wissen, dass die Evangelien des Neuen Testaments die Jesus-Geschichte erst Jahrzehnte später aufschrieben, dadurch wären Unschärfen auch nicht ungewöhnlich.“

Und Bethlehem als Ort? „Es könnte sein, dass Josef da Landbesitz hatte“, sagt Vieweger. „Dann müssen sie da hin. Und dann muss er sich dort registrieren lassen.“

Warum ist der Ort der Geburt in der Bibel so wichtig?

„Superklar“, sagt Vieweger. „David, der König der Juden, der im ersten Jahrtausend v. Chr. gelebt hat, kommt aus Bethlehem. Und David ist für die Geschichte der Jesus-Geburt das große Vorbild. Denn er war als Sohn eines Schafs- und Ziegenhirten geboren und wurde zum bedeutenden König. Jesus wurde ebenso arm geboren und wird danach zum Christus, also zum Retter und Erlöser der Welt.“

Dieter Vieweger
„Die Archäologie kann eine Epoche beschreiben und die Gesellschaft, in der die Weihnachtsgeschichte erzählt wurde“, sagt der Archäologe und Theologe Dieter Vieweger. Er ist Leiter des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem und Amman und Professor für Archäologie an der Universität Wuppertal. © DEIAHL | Privat

Josef und folglich auch Jesus sind Nachfahren Davids. Es geht also um die Familie. Im Alten Testament der Bibel gibt es einen entscheidenden Hinweis des Propheten Micha: „Und du Bethlehem bist mit Nichten die kleinste Stadt, aus dir wird kommen der, der in Israel Herr sei.“ Und damit war nicht David gemeint, denn der hatte ja 200 Jahre vor Micha gelebt. Sondern der Messias der Juden.

„Jesus musste in Bethlehem geboren sein, sonst hätten die Christen des 1. Jahrhunderts, die ja immer noch eigentlich christliche Juden waren, nicht argumentieren können, dass der Messias geboren sei. Ob die Geschichte von Lukas erfunden ist oder nicht, weiß ich nicht“, so der Wissenschaftler. „Aber für einen Christen der damaligen Zeit war sie wahr. ‚Wir warten auf einen König, der gerecht ist wie David‘, heißt es bei Micha. Und die frühen Christen sagten: Nun ist er da.“

War die schwangere Maria wirklich eine Jungfrau?

„Da stoßen wir an etwas, das nicht biblisch gefordert ist“, sagt Vieweger. „Sondern an etwas, das seit dem 4. Jahrhundert von vielen Christen übernommen wurde.“ Die Menschen damals begannen sich vorzustellen, dass ein Messias nur von Gott geschickt werden kann. „Aber das steht an der vielzitierten Textstelle im Alten Testament (Jesaja 7,14) so nicht drin, da steht auf Hebräisch das Wort ,Betula‘. Und das meint eine Erstgebärende.“

Der Prophet Jesaja weissagt dem judäischen König Ahas, dass Gott ihm ein Zeichen geben werde. In der von Martin Luther (1483 – 1546) ins Deutsche übersetzten Bibel heißt es: „Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.“ Seine Vorlage war eine lateinische Bibel, die vorher aus der griechischen Bibel übersetzt war, der so genannten Septuaginta, die ab 250 n. Chr. ihrerseits aus dem Hebräischen und Aramäischen übersetzt worden war. Und dort stand eben nicht Jungfrau, sondern „Betula“, was viel besser auch als junge Frau übersetzt werden kann.

Birth of Jesus Christ in the stable of Bethlehem with Maira and Joseph, shepherds and angels
Die Geburt von Jesus im Stall von Bethlehem: Um die Geschichte von Maria und Josef spinnen sich immer noch diverse Mythen. © Getty Images | assalve

„Eine ,Betula‘ – also eine Erstgebärende – kann schon Kinder geboren haben“, sagt Vieweger, „aber eben Mädchen.“ Das bedeutet, eine Frau konnte damals viele Babys zur Welt gebracht haben; aber solange kein Junge dabei war, hat sie offiziell nach damaliger Vorstellung noch gar keine, die Familie erhaltenden Kinder. Die frühen Christen hätten vor allem die griechische Bibel gelesen und nicht die hebräische, sagt Vieweger. Und sie seien daher von der falschen Übersetzung ausgegangen.

Warum ist es für die christliche Religion so wichtig, dass ein Kind geboren wird?

„Das hängt unter anderem mit den Mysterien-Religionen im Römischen Reich zusammen“, sagt Vieweger. „Wenn ein neuer Herrscher kommt, muss auch etwas im Sternenbereich passieren. Ein neuer Stern geht auf. Das sagen wir ja auch heute noch.“

Bei dem Stern von Bethlehem geht es jedoch weder um einen Kometen, noch um eine Supernova, wie immer mal wieder angenommen. Zum Zeitpunkt der Jesus-Geburt gab es tatsächlich eine besondere Konstellation am Himmel. Jupiter und der Saturn standen im Jahr 7 oder 6 v. Chr. im Sternbild der Fische und kamen sich so nah, dass sie sich dreimal überlagerten und scheinbar heller erstrahlten. „Das würde wieder mit der Geburt Jesu unter Herodes des Großen zusammenpassen“, sagt Vieweger.

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Und dazu kommt: „In allen Mysterien-Religionen im Römischen Reich – Ba‘al, Osiris, Dionysus, Attis, aber vor allem Mithras, einem der berühmtesten Mysterien-Kulte – werden Kinder geboren. Die Geburt des Mithras wird gefeiert am 25. Dezember, zur Wintersonnenwende.“ Diese Popularität habe das Christentum nicht wegwischen können. Und deshalb nutzte Papst Hippolyt im Jahr 217 diesen Tag und proklamierte die Geburt des göttlichen Kindes. „Also, das ist ein typisches Vorgehen. So wie es uns erzählt wird, passt es in den Vorstellungsbereich der Leute damals“, sagt Vieweger.

Was ist von den Wundern zu halten, die Jesus vollbracht haben soll?

„Auch da kann der Archäologe nur sagen: Lass uns in den Kategorien der Zeit reden.“ Für die Menschen sei einfach klar gewesen, wenn etwas Göttliches passiert, dann ist das mit einem Wunder verbunden. „Jesus aus Nazareth ist ja ein Wunder-Weltmeister“, so der Archäologe.

„Von keinem Menschen der Antike werden so viele Wunder berichtet wie von ihm. Von der Totenauferstehung bis dahin, dass 5000 Leute gesättigt werden.“ Das gebe es sonst nirgendwo. „Und die Aussage ist erstmal völlig klar: Jesus war ein ganz Besonderer. An den Wundern selbst würde ich nicht heruminterpretieren. Ich würde nur sagen, die Leute haben das als ein Wunder erlebt, und das geben sie weiter.“

Lässt sich der Ort der Kreuzigung von Jesus nachweisen?

Ja. Ein keinem Ort kommen die Forscher dem Menschen Jesus aus Nazareth archäologisch näher, als am Ort seiner Hinrichtung – also auf dem in der Bibel genannten Golgatha-Felsen, der heute innerhalb der Jerusalemer Grabeskirche liegt: „Die Grabeskirche in der heutigen Altstadt von Jerusalem steht am richtigen Platz“, sagt Vieweger.

Schon der römische Kaiser Hadrian (117-138) hatte genau diesen Punkt mit einem römischen Tempel überbauen lassen. Von diesem lassen sich noch Reste in der heutigen Grabeskirche nachweisen. Unter Kaiser Konstantin (306 bis 337) wurde eine Kirche an der Stelle gebaut, die im Jahr 1009 von den islamischen Fatimiden als Herrscher von Jerusalem zerstört wurde. Die Kreuzfahrer bauten die Kirche wieder auf, die danach immer wieder umgestaltet wurde. „Wenn wir uns das Areal ansehen, macht es Sinn, dass die Römer an diesem Ort den Aufrührer wie Jesus kreuzigten“, sagt Vieweger. „Hinrichtungen – das war ja zu allen Zeiten ein Riesen-Event. Da kamen viele Schaulustige und gierige Gaffer zusammen.“

Weil noch am selben Abend das Pessach-Fest begann, konnten die Römer Jesus nicht in der Stadt kreuzigen. Dennoch wollten sie einen Abschreckungseffekt erzielen. Und deshalb sei der Golgatha-Felsen optimal gewesen, sagt Vieweger: „Er war 22 Meter hoch und überragte damit die zehn bis zwölf Meter hohe Stadtmauer von Jerusalem, die damals 50 Meter entfernt lag. Die Römer konnten dort jemanden kreuzigen, und die Leute in der Stadt hörten das Schreien und sahen das Geschehen, und die Abschreckung war gegeben.“

Alternative Stätten, die ähnliche Voraussetzungen boten, gibt es in Jerusalem laut Vieweger nicht. Der Ort der Hinrichtung ist somit klar. Der Ort des Begräbnisses dagegen nicht. Laut Bibel soll er in der Nähe gewesen sein. Gräber gab es dort aber Hunderte. Auch wenn sich die Gläubigen unter Kaiser Konstantin in Golgatha auf ein Grab festlegten und es mit der Anastasis der Grabeskirche überbauten: „Ob es das richtige Grab von Jesus aus Nazareth war, lässt sich mit Hilfe der Archäologie nicht belegen“, sagt Vieweger.