Berlin. Fünf Jahre Wiederaufbau boten auch Archäologen eine einmalige Chance. Unser Experte verrät, was unter der Kathedrale zum Vorschein kam.

Lichterloh stand er in Flammen, der 96 Meter hoch aufragende Vierungsturm: Bilder, die weltweit für Bestürzung sorgten. Vor über fünf Jahren, am 15. April 2019, wurde die Pariser Kathedrale Notre-Dame bei einem schweren Brand stark beschädigt. Am 7. Dezember wurde sie nun feierlich wiedereröffnet.

Möglich wurde der aufwendige Wiederaufbau von Notre-Dame durch zahlreiche Spenden aus dem In- und Ausland – und durch den Einsatz von rund internationalen 2000 Expertinnen und Experten. Auch die Archäologie war vertreten, wie man es sich bei einem derart alten und bedeutenden Bau vorstellen kann.

Notre-Dame: Archäologen stoßen auf Spuren bis zurück ins 1. Jahrhundert

Die Archäologinnen und Archäologen waren direkt einen Tag nach dem verheerenden Brand vor Ort, um ihre Arbeit aufzunehmen. Das „Institut national de recherches archéologiques préventives“ kurz Inrap, beschäftigte sich mit Flächen innerhalb, aber auch außerhalb der Kathedrale. Insgesamt waren dafür bisher 14 Grabungskampagnen nötig, an denen über 50 Personen beteiligt waren. Die dabei ältesten angetroffenen Schichten lagen in 3,5 Metern Tiefe und datieren vom Beginn des 1. Jahrhunderts nach Christus. Es handelt sich um Fußböden eines Wohnhauses, über dem heute ungefähr der mittige Innenraum der Kathedrale liegt.

Archaeologists Notre Dame Cathedral
Archäologen graben den Boden der Kathedrale Notre-Dame aus. Zuvor hatten sie am 15. März 2022 einen Bleisarkophag aus dem 14. Jahrhundert entdeckt. © AFP | Julien De Rosa

Aus der späten römischen Kaiserzeit kamen ebenfalls Überreste von Wohngebäuden, aber auch von Handwerksgebäuden zum Vorschein. Diese fand man wiederum unter dem Vorplatz von Notre-Dame. Aus karolingischer Zeit stammen ebenfalls Fundamente, die jedoch zu monumentaleren Gebäuden gehörten.

Unter Pariser Kathedrale verbargen sich Skulpturen mit Blattgold

Mehr als 1000 Fragmente von Skulpturen, darunter auch welche mit Resten von Blattgold, konnten dem 1230 errichteten Lettner zugeordnet werden. Dabei handelt es sich um die Schranke, die das Langhaus vom Chor trennt. Anfang des 18. Jahrhunderts wurde dieser Lettner in Notre-Dame wegen Umbauten zerstört. Zuvor waren lediglich 15 Skulpturfragmente bekannt.

Archaeologists Notre Dame Cathedral
Archäologen des Inrap-Instituts arbeiten am 8. Dezember 2023 an Skeletten in der Grabstätte, die im Kirchenschiff der Kathedrale Notre-Dame de Paris während des Wiederaufbaus entdeckt wurde. © AFP | Sarah Meyssonnier

Auch von der ursprünglichen Bemalung der Kathedrale war kaum etwas überliefert. Die neuen außergewöhnlichen Funde ändern dies und ermöglichen eine Rekonstruktion des Lettners. Um die Farbe zu konservieren, war schnelles Handeln nötig, sie löste sich bereits beim Auffinden ab. Die Arbeiten dazu werden wohl erst im Frühjahr 2025 abgeschlossen sein.

Entdeckte Gräber in Notre-Dame lüften Geheimnisse

Der ein oder andere hat es sicher schon vermutet: Ja, es wurden im Zuge der Ausgrabungen tatsächlich auch Gräber gefunden und untersucht. Insgesamt konnten 100 Gräber ausgemacht werden, aber nur 80 davon wurden auch ausgegraben. Im Innenbereich von Notre-Dame hatte man Verstorbene in genagelten Holzsärgen bestattet, wovon man etwa jeden Fünften in gemauerten Gipsgruben beisetzte.

Gefunden haben die Archäologen aber auch zwei Bleisärge, deren Besitzer man ausführlich untersuchte. Erhalten haben sich zudem Reste von Leichentüchern und kupferlegierte Nadeln, die diese zusammenhielten. Die Ausrichtung der bestatteten Personen zeigt, dass es sich bei der Hälfte um Gräber von Klerikern handelt, also von Geistlichen der römisch-katholischen Kirche, welche mit dem Kopf nach Osten lagen – mit dem Blick den Gräbern der Gläubigen zugewandt.

Konstantin Kárpáty, Archäologe und FUNKE-Experte
Unser Archäologie-Experte Konstantin Kárpáty hat in München seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. © ZRB | Reto Klar

Nachgewiesen wurde auch, dass die Gräber mehrfach wiederverwendet wurden und die alten Knochen mit in den neuen Särgen lagen. Bei den Verstorbenen, die im Inneren der Kathedrale entdeckt wurden, handelt es sich fast ausschließlich um erwachsene Personen. Die an den Knochen ausgemachten Erkrankungen lassen zudem auf eher ältere Menschen schließen. Dieses Bild einer privilegierten Schicht aus Klerikern und weltlichen Personen deckt sich sehr gut mit dem, was man gemeinhin auch im Inneren von Notre-Dame erwartet hätte.

Unser Experte

Ägyptische Pyramiden, entdeckte Schätze, der Alltag der alten Römer und Griechen: Archäologie fasziniert viele Menschen. Konstantin Kárpáty hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Der Münchener ist nach seinem Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) seit Kurzem Doktor der Archäologie. Was er in seinem Job erlebt und was die wichtigsten Neuigkeiten aus der Welt der Archäologie sind, erzählt er für uns regelmäßig aus ganz persönlicher Sicht. Außerdem betreibt er die Social-Media-Kanäle „Excavation Time“ und den Podcast „Ausgegraben“.

Brand von Notre-Dame: „Für die Archäologie einmalige Gelegenheit“

Der verheerende Brand von Notre-Dame mag für die Gesellschaft oder den Einzelnen unterschiedlich schmerzhaft empfunden worden sein. Für die Archäologie bot die Tragödie eine einmalige Gelegenheit, die Kathedrale und die umliegende Seine-Insel Île de la Cité wissenschaftlich zu untersuchen. Ich persönlich finde vor allem die entdeckten Schichten interessant, die zeitlich vor dem Bau von Notre-Dame datieren. Denn zuvor wusste man nicht, wie weit die Besiedlung an dieser Stelle der Seine-Insel tatsächlich zurückreichte.

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Wer sich das Ganze ausführlicher und bequem von zu Hause aus ansehen möchte, der ist meiner Meinung nach mit der Arte-Dokumentation „Die verborgenen Schätze von Notre-Dame“ über eine Stunde lang bestens bedient.