Lüneburg. Jugendliche verstören vor Gericht mit Schilderung des brutalen Überfalls. Wie sie die Tat begründen und was einer dem Opfer anbietet.
- Drei junge Männer haben in Süden der Lüneburger Heide einen 80-Jährigen überfallen und auf verstörende Weise gequält
- Am Landgericht Lüneburg hat diese Woche der Prozess gegen die drei jungen Männer begonnen
- Zwei von ihnen gestehen die Tat direkt zum Auftakt – und verstören mit Details der grausamen Tat
Eine ehemalige Windmühle in Lachendorf am Südrand der Lüneburger Heide. Seit Mitte der 1970er-Jahre betreibt Herbert V. hier eine Gastwirtschaft. Eine typische „Gardinenkneipe“, für Jüngere etwas altbacken, für Ältere der Inbegriff der Gemütlichkeit: Möbel aus dunklem Holz, manche Stücke gedrechselt; Barhocker mit Polster, Zapfhähne für Helles und Dunkles. Ein Billardtisch. Und natürlich Gardinen am Fenster.
Wenn ein Wirt 50 Jahre wirtschaftlich überlebt, ist er ein guter Gastgeber. Auf diese Gäste hätte Herbert V. aber verzichten können: An seinem Ruhetag bescherten ihm drei junge Männer eine Horror-Nacht, misshandelten, quälten und bedrohten ihn. Jetzt stehen die drei Tatverdächtigen in Lüneburg vor Gericht. Einer schweigt, zwei gestanden am heutigen Freitag.
Landgericht Lüneburg: Junger Mann gesteht brutalen Raubüberfall und überrascht mit einem Angebot
Es ist ein Mittwochabend im April. Die Gaststätte hat geschlossen. Herbert V. ist in seinem Wohnhaus gleich nebenan. Der Bewegungsmelder gibt ein Signal: Jemand ist vor der Haustür. Der Gastronom will nachsehen, wer da ist und öffnet die Tür. Sofort weiß er, dass er das besser nicht getan hätte: Vor ihm stehen zwei Männer mit Gummimasken über dem Gesicht. Einer hat ein Messer, der andere eine Pistole. V. möchte die Tür wieder zuschlagen, aber einer der Männer hat schon seinen Fuß darin und dringt ins Haus ein. Der andere folgt.
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Davis D. bedroht den 80-jährigen Wirt mit einem Messer; Raffael H. hat eine Schreckschusswaffe, die er in Richtung Decke abfeuert, um seine Gefährlichkeit darzustellen. Die beiden fordern Geld. V. gibt an, keines zu haben. Die jungen Männer beginnen, die Wohnung zu durchsuchen – und zu verwüsten. Computer und Monitore werden dabei ebenso zertrümmert wie das Handy des Seniors. Schließlich händigt er ihnen sein Portemonnaie mit 1000 Euro aus.
Täter übergießen Gastwirt mit Rum und Reinigungsmitteln, drohen, ihn anzuzünden
Die Eindringlinge verlangen den Tresorinhalt. Sie fesseln V. auf dem Sofa und verkleben seinen Mund mit Panzerband. Das nehmen die Männer aber nach kurzer Zeit wieder ab. Sie nehmen den Tresorinhalt mit. Allerdings haben sie anscheinend nicht genug: Jetzt zwingen die Täter V., mit ihnen in die Gaststätte zu gehen. Auch hier stehlen sie Bargeld, unter anderem aus dem Dartautomaten.
Zum Schluss fesseln sie V. am Boden, übergießen ihn mit Rum und Reinigungsmitteln. Sie drohen, ihn anzuzünden. Glück für V.: Die Essigessenz, mit der sie ihn hauptsächlich übergossen haben, ist nicht brennbar. Die Täter flüchten.
V. kann sich befreien und begibt sich barfuß gehend zu seinem Sohn, der in einiger Entfernung wohnt. Gegen 23 Uhr kommt er dort an. Eineinhalb Stunden sind vergangen, seit er die Tür öffnete. Beweisaufnahme und Befragung der Polizei dauern nun noch einmal vier Stunden.
„Es hat sich angefühlt, als wäre ich Teil eines Films. Ich habe gar nicht groß nachgedacht.“
Die gründliche Beweisaufnahme lohnt sich: Aufgrund der Tatortspuren ist die Polizei den Räubern schnell auf der Fährte. Nur einen Monat später klicken die Handschellen bei drei jungen Männern aus dem Landkreis Peine. Außer bei D. und H. auch bei Vispan K. Sie sind zwischen 18 und 25 Jahren alt. Auch, als die jungen Männer den Gerichtssaal betreten, tragen sie Handschellen. Sie befinden sich in Untersuchungshaft.
K., der mit dem Fluchtwagen wartete, während D. und H. den Überfall begingen, will sich nicht zu den Tatvorwürfen äußern. D. und H. allerdings schon. Und sie belasten K. schwer: Er sei nicht einfach Helfershelfer gewesen, sondern der eigentliche Kopf des Gaunertrios; der Planer und Antreiber.
Die ersten Masken rissen schon bei der Anprobe
Auf einer gemeinsamen Autofahrt habe K. den beiden anderen von dem alten Mann in der Mühle erzählt, der dort viel Geld horte. Das könnte man ihm doch einfach abnehmen. Einige Tage später saß man zusammen und entwarf einen Plan: Man müsse sich maskieren und Waffen haben, mit denen man drohen könne. Alkohol floss, und der Plan nahm Formen an.
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Es gab Rückschläge. D. und H. äußerten moralische Bedeken, die K. ihnen aber wieder ausredete, wie D. über seine Anwälte ausführen ließ. Dann rissen die ersten Masken, die man besorgt hatte, bei der Anprobe. K. wies D. an, neue zu besorgen, sagte auch welche und wo es die gibt.
Beim Ausspähen des Opfers schöpfte der alte Mann Verdacht und fotografierte das Kennzeichen. Spätestens da wollten alle drei eigentlich Abstand von dem Vorhaben nehmen.
Man chillte bei einer Flasche Whisky – und wurde wieder mutig
Doch schon einige Tage später „chillte man bei einer Flasche Whisky“ und wurde wieder mutig. Die drei steigen ins Auto und fuhren nach Lachendorf. D.s Schilderung des Tathergangs in Haus und Lokal deckt sich im Wesentlichen mit der, die die Staatsanwältin in der Anklageschrift verlas. Allerdings war D.s Einlassung detaillierter. „Es hat sich angefühlt, als wäre ich Teil eines Films“, sagt D. „Ich habe gar nicht groß nachgedacht. Ich war ja auch betrunken.“
Auch weicht die Höhe der Beute in D.s Erinnerung von dem Betrag in der Anklageschrift ab: Von 5500 Euro spricht die Staatsanwältin, von 1200 die beiden Geständigen. Zumindest ein Teil dieser Differenz ließe sich damit erklären, dass die Männer alle Papiere aus dem Tresor, die keine Geldscheine waren, in einer Feuerschale verbrannten, darunter auch zwei Sparbücher.
Der angebliche Drahtzieher K. wurde nicht an der Beute beteiligt
Über die Höhe der Beute waren die Männer enttäuscht. Sie hatten, auf welcher Grundlage auch immer, mit 30.000 Euro gerechnet. Frust kam auf. Und weil K. – als D. und H. vom Tatort flohen – nicht mit dem Auto am Treffpunkt wartete, sondern erst herantelefoniert werden musste, beschlossen die beiden, K. nicht an der Beute zu beteiligen.
Mit der kriminellen Ernüchterung kam auch die physische und die moralische Ernüchterung. „Uns wurde klar, was wir getan hatten und dass das nicht in Ordnung ist“, sagt D. Und H. gibt an, regelrecht froh gewesen zu sein, als er verhaftet wurde.
Einer der Täter bietet dem 80-jährigen Opfer Schmerzensgeld an
D. möchte sich am Montag, wenn V. als Zeuge aussagt, persönlich bei ihm entschuldigen. Er bietet V. auch ein Schmerzensgeld an. Das sei nicht hoch, aber so viel, wie er und sein Familienkreis aufbringen können. Auch H. gibt an, die Tat zutiefst zu bereuen. Seine Einlassung war nicht so umfangreich wie D.s – hauptsächlich deshalb, weil er der Tatschilderung in D.s Aussage nicht widerspricht und nichts hinzuzufügen hat.
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Trotz der zwei Geständnisse liegt noch einiges an Arbeit vor Richterin Lidia Mumm und allen anderen Prozessbeteiligten: Über die Höhe der Beute und den möglichen Verbleib einer eventuellen Differenz wird ebenso zu sprechen sein, wie über die genaue Rolle K.s.
Brutaler Raubüberfall in der Südheide: 80 Jahre altes Opfer sagt selbst vor Gericht aus
Gastwirt V. tritt noch als Zeuge und Nebenkläger auf. Zumindest seine Schilderung des Hergangs ist nötig, um ein abgerundetes Bild zu erhalten. Dazu beitragen werden auch Aufzeichnungen aus V.s Überwachungskamera. Außerdem fallen zumindest zwei der drei Angeklagten unter das Jugendstrafrecht, was dann noch einmal die Anhörung weiterer Fachleute erforderlich macht.
Gastronom V. öffnete seine Gaststätte bereits am nächsten Tag wieder. Kurz nach dem Überfall gab es ein Benefizkonzert zu seinen Gunsten. Dennoch möchte er am Montag nicht ohne moralische Unterstützung in den Zeugenstand, wenn er die Täter zum ersten Mal seit der Horrornacht wieder sieht.