Hamburg. Mehrfach verurteilter Straftäter und Gefängnis-Rebell wegen Banküberfällen vor Gericht. Kurios: Angeklagter gibt Schuss-Opfer Mitschuld.
- Serienräuber schoss auf Bankmitarbeiter, der überlebte nur knapp
- Donnerstagsräuber ist auch wegen versuchten Mordes angeklagt
- Gericht hält Anklagten weiter für gefährlich und ordnet Sicherungsverwahrung an
Ein Millimeter nur. So knapp war es. Ein Millimeter weiter, und der Schuss, der einen Bankangestellten in den Bauch getroffen hat, hätte den Hamburger getötet. Es grenzt fast an ein Wunder, dass der Mann überlebt hat. Und doch sagt der Verbrecher, der die Kugel auf den Bankmitarbeiter abgefeuert hat, er habe niemanden verletzen wollen. Serienräuber Manfred L. (Name geändert) hat vielleicht wirklich geglaubt, dass er die Situation im Griff hat. Er hat sich geirrt. Der Schuss, den der Verbrecher an jenem 12. Januar 2017 bei einem Raubüberfall auf einen Angestellten abgegeben hat, war ein versuchter Mord.
„Man muss bedenken: Bei einem Banküberfall geht es um viel Geld. Es geht aber auch um Menschen, die betroffen sind und vielleicht um ihr Leben fürchten“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel in „Dem Tod auf der Spur“, dem Crime-Podcast des Hamburger Abendblattes mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Es sind Menschen, die, wenn beim Raubüberfall eine Waffe eingesetzt wird, auch ganz real in Lebensgefahr schweben.“
True Crime Hamburg: Donnerstagsräuber begeht immer wieder Banküberfälle
„Der Angeklagte, der seit Jahrzehnten mit der Strafjustiz zu tun hatte, schien sich dagegen regelrecht zu feiern“, gibt Mittelacher zu bedenken. Ob der Serienräuber Manfred L. „je darüber nachgedacht hat, was er den Opfern angetan hat? Ich erinnere mich an seine Auftritte im Gerichtssaal. Der Angeklagte hielt sich offenbar für einen ,tollen Hecht‘. Er stellte sich immer wieder in Pose. Föhnfrisur, Sonnenbrille, die Arme in großer Geste ausgebreitet, gerierte er sich eher wie ein Filmstar als ein Angeklagter. Dabei ging um wirklich schwere Vorwürfe,“
Dem 70-Jährigen, der sich schließlich vor Gericht verantworten musste, wurden in dem Prozess in Hamburg drei Raubüberfälle aus den Jahren 2011, 2017 und 2019 zur Last gelegt. Er wurde wegen räuberischer Erpressung in drei Fällen sowie wegen versuchten Mordes angeklagt. Insgesamt sind bei den drei Überfällen laut Anklage knapp 25.000 Euro erbeutet worden. Wegen seiner Eigenart, stets am selben Wochentag zuzuschlagen, wurde der Täter in der Öffentlichkeit als „Donnerstagsräuber“ bekannt.
Wenn der Alarmknopf gedrückt wird, „erschieße ich euch“
Einen Teil der Vorwürfe hat Manfred L. vor Gericht eingeräumt. Er sagte, er bereite alle seine Verbrechen bis ins Detail vor. Bei dem Banküberfall am 12. Januar 2017 habe er mit seiner Waffe „ein Drohpotenzial einsetzen“ wollen, sagte er. „Und ich war schaurig maskiert.“ Er habe deutlich gemacht, dass keiner den Alarmknopf drücken dürfe, „sonst erschieße ich euch“. Ein Kassierer, der ihm das Geld habe herausgeben sollen, habe ihn „provoziert“, weil er zunächst nur kleine Scheine und diese sehr langsam herausgegeben habe. „Er wollte Zeit schinden, damit ich in flagranti erwischt werde“, mutmaßte Manfred L.
Er sei „verärgert“ gewesen, weil der Bankangestellte angeblich so langsam das Geld ausgehändigt habe. Er habe dann gedroht, wenn der Kassierer sich weiter verweigere und nicht endlich mehr Geld herausgebe, „dann schieße ich auf deinen Kollegen. Dann habe ich geschossen“, sagte der Angeklagte weiter. „Nicht gezielt, sondern einfach so in die Richtung. Ich hatte eine wahnsinnige Wut. Wenn der meinen Anweisungen gefolgt wäre, wäre das gar nicht nötig gewesen. Den Vorwurf eines versuchten Tötungsdeliktes halte ich für absurd.“
Bankraub in Hamburg: Angeklagter gibt Opfer indirekt Mitschuld, dass er lebensgefährlich verletzt wurde
„Mit dieser Darstellung der damaligen Ereignisse gab der Angeklagte doch dem Bankmitarbeiter zumindest indirekt eine Mitschuld daran, dass es zu dem beinahe tödlichen Schuss gekommen ist“, folgert Püschel. „Ich habe den damals verletzten Bankmitarbeiter im Prozess als Zeugen miterlebt“, erzählt Mittelacher. „Und der 48-Jährige machte deutlich, dass er wusste, wie viel Glück er an jenem 12. Januar 2017 gehabt hat, dass er diesen Schuss überlebte.“ Doch warum wurde überhaupt auf ihn geschossen?
„Das ist die einzige Frage, die ich an den Täter habe“, sagte der Zeuge. Eigentlich habe der Verbrecher doch schon sein Geld bekommen, seien seine Forderungen erfüllt gewesen, meinte der Bankmitarbeiter. Über den Schuss auf sich sagt er: „Das war der Abschiedsgruß. Für mich sah es so aus, dass er die Waffe gezielt auf mich gerichtet hat“, formulierte der Zeuge. „Das war eine bewusste Bewegung in meine Richtung. Ich stand da, er stand da. Er hat einfach abgedrückt.“
Immer wieder Raubüberfälle: Manfred L. kommt für viele Jahre ins Gefängnis
Über die Vita von Manfred L. wird bekannt, dass er nur in kurzen Phasen seines Lebens durch ehrliche Arbeit Geld verdient hat. Schon in seiner Jugend begeht er Diebstähle, später dann Banküberfälle, bei denen er auch Schusswaffen dabei hatte. Schließlich wird er erstmals verurteilt. Das Gericht entscheidet auf achteinhalb Jahre Gefängnis. Als er diese Zeit abgesessen hat, macht er mit Banküberfällen weiter, begeht diese in den 80er-Jahren in Hamburg und bekommt in der Zeit den Spitznamen „Donnerstagsräuber“. Er begeht sieben Raubüberfälle, bis er gefasst wird. Wieder bekommt er eine Haftstrafe, diesmal sind es 13 Jahre.
1990 zettelt Manfred L. eine Gefängnisrevolte an, die vier Tage andauert. Erst der Einsatz von Spezialkräften kann den Aufstand beenden. Doch Manfred L. verbucht die Revolte als einen persönlichen Erfolg. „War das schön, die Luft da oben außerhalb des Käfigs zu spüren“, sagt Manfred L. Vier Jahre später, also 1994, kann Manfred L. schließlich dauerhaft frische Luft außerhalb des Gefängnisses atmen. Er kommt frei. Eine Zeitlang versucht er, wirklich mit ehrlicher Arbeit Geld zu verdienen, ist unter anderem Nachtportier in Hotels. Doch schließlich reicht ihm der Lohn nicht, er will wieder richtig viel Geld auf einmal – und verfällt in sein altes Muster, wird also wieder zum Donnerstagsräuber. Am 29. Dezember 2011 raubt er eine Haspa-Filiale im Zentrum Hamburgs aus.
Hamburger Angeklagter sagt zur Polizei, sie habe einen „dicken Fisch geangelt“
Gut fünf Jahre später kommt es zu dem Banküberfall im Januar 2017, bei dem Manfred L. den Bankmitarbeiter niederschießt. Und schließlich begeht der Mann, der viele Jahre im Knast gesessen hat, das Verbrechen, bei dem er wieder gefasst wird. Es ist der Raubüberfall im Januar 2019. Den Polizisten, die ihm nach der Tat die Handschellen anlegen, sagt Manfred L., sie hätten „einen dicken Fisch geangelt“.
In dem Prozess, der gegen den 70-Jährigen noch im Jahr 2019 beginnt, sagt Manfred L. über seine Verbrechen: „Reue dürfen Sie von mir nicht erwarten.“ Es sind Bemerkungen wie diese sowie typische Verhaltensweisen, die den psychiatrischen Sachverständigen zu der Überzeugung kommen lassen, der Angeklagte habe eine „kombinierte narzisstische und dissoziale Persönlichkeitsstörung“. Diese Störung, so der Sachverständige weiter, sei unter anderem von der Überschätzung der eigenen Person und der völligen Abwesenheit echter Empathie gekennzeichnet.
Tue Crime Hamburg: Zwölfeinhalb Jahre Haft und Sicherungsverwahrung für Manfred L.
Schließlich verhängt das Gericht gegen Manfred L. wegen der drei Raubüberfälle aus den Jahren 2011, 2017 und 2019 insgesamt zwölfeinhalb Jahre Freiheitsstrafe. Er wird unter anderem wegen schwerer räuberischer Erpressung und versuchten Mordes verurteilt. Außerdem ordnet das Gericht die Sicherungsverwahrung an. „Die Kammer hielt Manfred L. weiter für gefährlich“, erinnert sich Mittelacher. „Die Vorsitzende sagte: ,Was wir sicher meinen, ist, dass Sie Ihre moralischen Werte nicht ändern werden und es weiterhin für legitim halten, Banküberfälle zu begehen und Menschen zu bedrohen.‘“
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„Revision lege ich schon gleich jetzt ein“, rief Manfred L. in den Saal, noch während die Vorsitzende sprach. In diesem Moment war er weiterhin ganz der Mann, als der er sich während seines gesamten Verfahrens gezeigt hatte: selbstgefällig, rastlos, uneinsichtig. Einer, der Banküberfälle in Ordnung findet und sich selbst für den Größten hält.
Dazu findet das Gericht deutliche Worte. Die geltenden Gesetze hätten Manfred L. „nicht geschert“, sagt die Vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung. Der Angeklagte habe sich im Prozess „teilweise wie ein Kind geriert“ und nicht zugehört. Die Schüsse auf den Bankmitarbeiter wertet das Gericht als versuchten Mord. „Sie rechneten damit, dass Sie ihn treffen und damit auch tödlich verletzen könnten und nahmen das auch in Kauf“, so die Vorsitzende Richterin. Der Angeklagte habe seine Selbstdarstellung zelebriert, in der Vergangenheit gelebt und auch „einen Realitätsverlust erlitten“.