Lüneburg. Skurrile Tarnnamen und Krypto-Handys: Prozess in Lüneburg gibt Einblicke in Welt des Drogenhandels. Was über den Angeklagten bekannt ist.
- Am Landgericht Lüneburg hat diese Woche ein wichtiger Prozess begonnen
- Dabei geht es um den Handel mit Haschisch und Marihuana im ganz großen Stil
- Viele spannende Details kamen bereits am ersten Verhandlungstag ans Licht – zum Beispiel, wie die Drogen aus Spanien bis nach Hamburg kamen
Insgesamt geht es um rund 1,2 Tonnen Marihuana und eine Vierteltonne Haschisch. Sie sollen im Frühjahr 2020 in Winsen an der Aller angekommen und in Norddeutschland verteilt worden sein. Gut eine halbe Tonne Marihuana und einen Zentner Hasch sollen der Angeklagte G. und einige Komplizen in der Lüneburger Heide abgeholt und in Hamburg weiterverkauft haben – „bandenmäßig“, wie Staatsanwalt Jan Salaschek G. vorwirft.
Aufgeflogen ist der Handel durch die Entschlüsselung von Botschaften im Kommunikationsnetzwerk „EncroChat“. Der Prozess, der nun vor dem Landgericht Lüneburg begonnen hat, weist jedoch eine Besonderheit auf: G. ist nicht durch die weltweiten EncroChat-Auswertungen aufgefallen, sondern hat sich selbst gestellt.
Drogenhandel im großen Stil: Illegale Transportkette startet in Südspanien
Ausgangspunkt der Transporte nach Norddeutschland war Südspanien. In einem Gewerbegebiet auf halbem Weg zwischen Málaga und Córdoba starteten Lastwagen in Richtung Winsen an der Aller. Ihr Ziel: Eine Metall- und Bootsbaufirma in einem Gewerbegebiet, das – wie der Startpunkt der Fahrt – etwas abgelegen einer Kleinstadt weitab jeder Aufmerksamkeit liegt.
In der normalen Fracht der Lkw waren im Schnitt 300 Kilo Marihuana und zwischen 20 und 200 Kilo Haschisch versteckt. Da Marihuana, die Blätter und Blüten der Cannabispflanze, sehr leicht ist, dürfte es relativ viel Platz in der Ladung eingenommen haben. Haschisch, das Harz des Hanfs, ist deutlich schwerer und kompakter; mithin leichter zu verstecken.
Sie nennen sich „Carlos“, „Spinne“, „Powerful Ranger“ und „Shlomo“
Fünf solcher Transporte haben die Ermittler über die Auswertung der Geheim-Chats nachweisen können. Ihr Problem: Bei dunklen Geschäften gibt es keine nachweisbaren Liefer- und Rechnungsadressen, und auch die Namen der Beteiligten entsprechen nicht der Realität.
Bei den Absprachen über den Dienst „EncroChat“ werden mehr oder weniger fantasievolle Tarnnamen benutzt: „Carlos“, „Spinne“, „Powerful Ranger“, „Shlomo“ und „Fahrer von Shlomo“ – letzterer soll G. gewesen sein – sind laut Staatsanwalt Beteiligte in dieser Kette strafbarer Handlungen.
„Fahrer von Shlomo“ und seine Kollegen luden Stoff tagsüber vor Supermarkt um
Auch, wenn der Besitz und die Weitergabe von Cannabis-Drogen mittlerweile in einem engen Rahmen legalisiert sind, sprengen die Mengen, die hier gehandelt wurden, bei jedem der fünf Transporte auch nach jetziger Gesetzeslage den Rahmen des Erlaubten um etwa das Zwölftausendfache und sind somit strafbar. 2020 waren sie es ohnehin noch, weswegen sie auch sehr vorsichtig durchgeführt wurden.
Der Angeklagte G. und seine Komplizen holten ihren Teil der Ware demnach nicht direkt vom Laster ab. Ein Kurier brachte ihnen die Drogen auf einen Supermarktparkplatz in Winsen. Dort luden „Fahrer von Shlomo“ und seine Kollegen den Stoff laut Anklage am helllichten Tag in mehrere Autos um und fuhren nach Hamburg. Nicht alle Autos hatten Ware an Bord: G. beispielsweise soll, so der Staatsanwalt, die Transportabsicherung übernommen haben und mal als Vorausfahrzeug, mal als Nachhut Ausschau nach Polizeikontrollen und Verfolgern gehalten haben.
Drogen schnell und teuer in Hamburg weiterverkauft
In Hamburg sollen die Autos dann mal eine konspirative Wohnung, mal ein Ladengeschäft angefahren haben, um dort die Beutel und Pakete zwischenzulagern und innerhalb weniger Tage an Großabnehmer weiter zu verkaufen, sagt Staatsanwalt Salaschek. Eine geringe Menge soll G. auch persönlich zum Timmendorfer Strand an die Ostsee gebracht haben.
2,22 Millionen Euro sollen diese Deals G.s Gruppe eingebracht haben, ausgehend von einem „Großhandelswert“ von 4000 Euro pro Kilo, schätzt der Staatsanwalt. Wo das Geld ist, weiß niemand, ebenso wenig, wie, wo sich „Shlomo“, „Spinne“ und „Powerful Ranger“ gerade aufhalten.
„Ein bürgerliches Leben der Angeklagten ist bei Encro-Chat-Verfahren nicht ungewöhnlich.“
Organisiert wurden Transport und Verkauf über den Kommunikationsdienst EncroChat, der seinen Nutzern eine vermeintlich unknackbare Nachrichtenverschlüsselung anbot. Solche Angebote sind für sich nicht verwerflich. Oppositionelle in totalitären und autoritären Ländern nutzen sie ebenso wie investigative Journalisten oder unbescholtene Firmen, die ihre Geschäftsgeheimnisse wahren wollen.
Allerdings ziehen sie auch Kriminelle an. Im Fall von EncroChat sollen Verbrecher zuletzt 90 Prozent der Kundschaft ausgemacht haben, behaupten französische Behörden.
Damit sich Verbrechen mit EncroChat auszahlen, müssen große Beträge ergaunert werden
EncroChat benutzte manipulierte Smartphones mit einem eigenen Betriebssystem. Kostenpunkt pro Gerät: 1000 Euro. Hinzu kamen alle sechs Monate Nutzungsgebühren von 1500 Euro. Damit sich Verbrechen auszahlt, muss man mit EncroChat also schon große Beträge ergaunern. Im Sommer 2020 gelang es Ermittlungsbehörden, EncroChat zu infiltrieren und zu knacken. Mit diesen Daten wurden bislang allein in Deutschland Ermittlungen gegen 3000 Personen begründet.
G. allerdings war nicht unter denen, deren Identität sich aus EncroChat-Protokollen herleiten ließ und die so zu Angeklagten wurden. Das Krypto-Handy, das er benutzte, wurde fälschlicherweise seinem guten Freund „Carlos“ E. zugeordnet, sagte er, als er sich den Ermittlern stellte. Er habe gehört, dass gegen E. wegen des Handys ermittelt wurde und es „nicht gut für ihn aussah“. Damit kein Unschuldiger bestraft wird, erst recht kein Kumpel, habe er sich gestellt.
Der Angeklagte führt ein gutbürgerliches Leben
Wegen des Geständnisses bei den Ermittlern und weil G. ein gutbürgerliches Leben führt, verlobt ist und in verantwortlicher Position in einem Unternehmen arbeite, wollten seine Verteidiger Christian Denzel und Alexander Kienzle möglichst früh eine Einigung mit der Staatsanwaltschaft erzielen, die auf eine möglichst geringe Strafe hinausliefe. Im Gegenzug würde der Angeklagte eine umfassende Einlassung vor Gericht abgeben.
Staatsanwalt Salaschek war von den Argumenten der Verteidigung wenig überzeugt: Ein bürgerliches Leben der Angeklagten sei bei EncroChat-Verfahren nicht ungewöhnlich, und ein Geständnis abzugeben, um einen Freund zu entlasten, sei zwar löblich, aber aus einer Notlage geboren und deshalb nicht allzu strafmildernd. Dennoch erklärte er sich zu einem Gespräch mit Richtern und Verteidigern bereit. Richterin Silja Precht unterbrach die Verhandlung für über eine Stunde.
Prozessauftakt am Landgericht Lüneburg: Dieses Detail dürfte spannend werden
Danach war Staatsanwalt Salaschek immer noch nicht überzeugt. Allerdings war der Angeklagte jetzt auch ohne Zusage einer Abrede bereit, sich ausführlich einzulassen, wenn auch erst am nächsten Verhandlungstag. Der ist auf Montag angesetzt.
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Der Verteidigung wird er dabei darum gehen, den Vorwurf des bandenmäßigen Handelns auszuräumen. Wirklich eingeräumt hat G. bislang nur einige Teil-Taten, die das vom Staatsanwalt angestrebte Strafmaß von vier Jahren verhältnismäßig hoch erscheinen ließen.
Wie sich der Vorwurf der Bandenbildung bei der vom Staatsanwalt behaupteten arbeitsteiligen und wiederholten Vorgehensweise entkräften lässt, dürfte spannend werden.