Lauenbrück. Historisches Fachwerkhaus im Landkreis Rotenburg wird sonnabends zum Dancefloor der Jugend von damals. Die lässt es immer noch krachen.

Wer seine wilden und tanzbaren Jahre zwischen Ende der 1970er-Jahre und Mitte der 1990er-Jahre hatte, kennt dieses Ritual. Am Sonnabendabend war für junge Leute eine Tour durch die Discos der näheren oder weiteren Umgebung festes Ritual. Insbesondere auf dem flachen Land zwischen Hamburg und Bremen schossen Dorfdiscos wie Pilze aus dem Boden: MicMac in Moisburg, Tatöff in Bevern, das Welcome in Hützel, Romaris in Holtorfsloh oder die Klostermühle in Kuhmühlen bei Sittensen sind einige Kandidaten.

Padam Riepe: In dieser Dorfdisco wird heute noch kräftig gefeiert

Wummernde Beats und schrille Lichteffekte machten die Akteure auf der Tanzfläche für Momente selbst zu Stars, die mit ihren Moves ihr Lebensgefühl inszenierten. Die 80er waren ein Rausch der Kommerzialisierung, bis das Disco-Fieber in den 90er-Jahren langsam abklang. Und mit ihm die Auswahl an Treffpunkten, deren Wirte sich den Party-Stress bis in die frühen Morgenstunden antun wollten. Wehmütige Erinnerungen der Fangemeinde begleiteten die Schließung früherer Kultläden.

Die Gäste des Padam in Riepe stürmen zur Musik ihrer Jugend die Tanzfläche.
Die Gäste des Padam in Riepe stürmen zur Musik ihrer Jugend die Tanzfläche. © HA | nanette franke

Ihnen allen gemeinsam: uriges Ambiente, ein Publikum, das aus Individualisten zu bestehen schien, und eine Musikauswahl, bei der Rock, Soul, Funk und Experimentelles im Mittelpunkt standen. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte sind die Szenegänger der 70er und 80er teils Großeltern. Doch die Sehnsucht, unter Gleichgesinnten abzufeiern, ist geblieben. Und es gibt noch immer Orte, an denen diese Sehnsucht bedient wird: wie zum Beispiel die Kult-Disco Padam bei Lauenbrück, etwa auf halbem Weg zwischen Tostedt und Scheeßel.

Auf dem Parkplatz: Autos mit Kennzeichen aus ganz Norddeutschland

Sonnabend, 22.30 Uhr. Tiefe Dunkelheit. Hase und Rehbock kreuzen die schmale Straße, die zwischen Wiesen und Feldern ins Nichts zu führen scheint. Dann plötzlich: ein Fachwerkhaus im Glühlampenfieber, das rot, blau, gelb und grün gleichzeitig leuchtet. Darüber das Schild „Padam“. Auf dem Parkplatz Autos mit Kennzeichen aus ganz Norddeutschland: Hamburg, Bremen, Verden (Aller), Lüneburg, Heidekreis, Rotenburg (Wümme), Winsen (Luhe).

Die Nacht durchtanzen wie früher: Im Padam ist das möglich.
Die Nacht durchtanzen wie früher: Im Padam ist das möglich. © HA | nanette franke

Taxis fahren vor, entlassen gutgelaunte ältere Paare, die über das Kopfsteinpflaster zielsicher den Eingang des Padam ansteuern. Acht Euro Eintritt kostet die Location mit Fachwerkbalken an der Decke, Holzschnitzereien an den Schränken und hohem Gemütlichkeitsfaktor. Das Publikum – die meisten deutlich über 50 – steht mit Blick auf die tiefergelegte Tanzfläche, wo sich im Moment noch nichts tut. Junge Leute gibt es hier auch – als Bedienung hinterm Tresen.

Inhaber der Disco jobbte einst als Tellerwäscher und Pizzabäcker

Die Musik: leise, die Gesichter: erwartungsvoll. Wo bleibt Michel? Der Besitzer der Disco Padam, die nach einem Chanson von Édith Piaf benannt ist, ist der König dieses Kosmos. Als er gegen 23 Uhr seine Bühne hinter dem Mischpult betritt und die Lautstärkeregler aufreißt, füllt sich die Tanzfläche sofort.

Michel Marboeuf ist eine Legende. Auf der Karibikinsel Guadeloupe geboren, wanderte er als Achtjähriger mit seiner Mutter nach Südfrankreich aus, besuchte – als einziger Schwarzer unter 400 Weißen – ein katholisches Jungen-Internat, ging nach Deutschland, wo er im Ruhrpott als Tellerwäscher und Pizzabäcker jobbte, bis sein Chef ihn kurzfristig für einen Star-DJ einspringen ließ.

Wiedersehensfreude unter Freundinnen.
Wiedersehensfreude unter Freundinnen. © HA | nanette franke

Was er seinerzeit auflegte, gefiel. Michel machte weiter und erarbeitete sich seinen ganz persönlichen Stil. Ende der 70er-Jahre lernte er den Inhaber einer Rotenburger Disco kennen, wurde als DJ engagiert und entdeckte das Fachwerkhaus in Riepe, das er zunächst pachtete, später umbaute und schließlich kaufte.

Seit 40 Jahren nehmen Kenner auch längere Fahrten in Kauf

Seit der Eröffnung im Sommer 1984 ist das Padam eine Adresse, für die Kenner auch längere Anreisen auf sich nehmen. So wie Karen (56), gebürtige Hamburgerin, die jetzt in Kiel wohnt und einmal im Monat zur Oldie-Disco kommt. Das Publikum, die liebevolle Einrichtung, die vielen Bekannten, das macht diesen Laden für sie einzigartig.

Karen aus Kiel und Olli aus Harburg sind Stammgäste.
Karen aus Kiel und Olli aus Harburg sind Stammgäste. © HA | nanette franke

Die Rückfahrt kann warten, Karen hat einen komfortablen Camper vor der Tür stehen, in dem sie übernachten wird. Auch Olli (55) aus Harburg ist bekennender Padam-Fan. Seit 1987 kennt er diese Disco. Und er erinnert sich gut an die wilde Zeit, „als der Eintritt noch frei war und die Toiletten Schwarzlicht-Beleuchtung hatten“.

DJ Michel hat ein gutes Gespür, was das Publikum hören will

Michel dreht die Bässe auf, haut die Hits der 70er und 80er raus: Ulla Meinecke, Spliff, Pointer Sisters, The Style Council, Earth, Wind and Fire. „Die Musik meines Lebens“, hat der Maestro diesen Abend überschrieben. Sich bei der Playlist nie zu wiederholen, ist für ihn Ehrensache. Noch immer hat er, der auf Fernsehen, Internet und Mobiltelefon verzichtet, das Feeling für das bewahrt, was sein Publikum hören will.

Eben haben ältere Herren auf dem Dancefloor zu Britpunk den Pogo zelebriert, da würzt Michel musikalisch nach mit einem aktuellen Take von Adam Novas „Dirty Games“. Das trifft den Nerv der Gäste.

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Inzwischen ist es 1 Uhr. Weder auf der Tanzfläche noch auf der Galerie gibt es ein Durchkommen. Draußen auf dem Raucherhof – Vegetarier Michel duldet drinnen keine Kippen – jubelnde Wiedersehensfreude unter Leuten, die sich seit 30 Jahren nicht mehr gesehen haben. Das Padam Riepe, eine Familie von Musikbegeisterten, die zum Sound ihrer Jugend selbst wieder jung werden.