Meckelfeld. Patienten mit Einschränkungen können Praxen in Meckelfeld nur schwer erreichen. Was die Behörden jetzt gegen den Missstand unternehmen.
Den Weg zur Hausarzt-Praxis haben Heike und Rudolf Schmidt aus Meckelfeld allein bewältigt. Langsam zwar und mit Hilfe ihrer Rollatoren, aber die etwa 400 Meter von ihrer Wohnung hierher schaffen sie noch gut.
Doch am Ärztehaus angekommen, geht es nicht weiter für die beiden betagten Senioren. Der Aufzug funktioniert nicht. „Außer Betrieb“ steht auf einem Zettel, der mit Tesafilm an der braunen Tür angebracht ist.
Aufzug defekt: Ehepaar aus Meckelfeld kann Hausarzt nicht mehr erreichen
Seit einem Jahr hängt der Zettel dort. So lange schon ist es für das Ehepaar Schmidt und viele weitere Patienten mit Einschränkungen sehr beschwerlich bis unmöglich geworden, den Hausarzt oder die Physiotherapie-Praxis im ersten Stock zu erreichen. 20 Treppenstufen müssten sie dafür bewältigen. Doppelt so viel für den Psychiater im zweiten Stock.
Barrierefreiheit bedeutet nicht nur für viele ältere Menschen vor allem Freiheit. Gibt es abgeflachte Schwellen, breite Türen und eben Aufzüge, können sie sich im Rahmen ihrer körperlichen Möglichkeiten selbstständig bewegen. Fehlen diese kleinen Brücken, wird der Alltag enorm eingeschränkt.
Söhne müssen Rezepte für ihre betagten Eltern in der Praxis abholen
Wie kann es also sein, dass ausgerechnet in einem Ärztehaus der Fahrstuhl nach einem Jahr noch immer nicht repariert ist? Auf der Suche nach einer Antwort trifft man auf Sackgassen, aber auch auf Menschen, die den Missstand nicht hinnehmen wollen und sich für eine Lösung stark machen.
Jürgen Schmidt und sein Bruder versuchen, ihre Eltern so gut es geht zu unterstützen. Sie holen Rezepte für sie im Ärztehaus an der Glüsinger Straße ab, vereinbaren Termine und klären Fragen zur Behandlung.
Wenn es dringend ist, kommt der Arzt jetzt zu den Schmidts nach Hause
Bis zum Frühjahr habe sie diese Dinge in der Praxis noch erledigen können, sagt Heike Schmidt. „Seit 39 Jahren gehen wir hier zum Arzt.“ Doch im Mai erlitt sie einen Schlaganfall, seitdem ist der erste Stock für sie unerreichbar. Ihr Ehemann ist schon länger wegen seiner kaputten Hüften eingeschränkt.
Heike und Rudolf Schmidt sind 86 und 88 Jahre alt und jetzt beide pflegebedürftig. Sie sind auf ihre Rollatoren angewiesen. Und auf das Entgegenkommen ihres Hausarztes. „Wenn es dringend ist, kommt er jetzt zum Glück zu ihnen nach Hause“, sagt der Sohn.
Gewerbeaufsichtsamt ist nur für das Stilllegen von Aufzügen zuständig
Dass die Situation seit einem Jahr so ist, wie sie ist, will er nicht hinnehmen. „Das ist ein unhaltbarer Zustand“, sagt Jürgen Schmidt. „Ich suche nach Hilfe für alle Betroffenen.“ Er hat deshalb im Sommer einen nachdrücklichen Hilferuf an die Gemeinde Seevetal gerichtet.
Die Gemeinde hat sein Anliegen an das Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg weitergegeben. Dort geht Behördenleiter Christian Quittek ans Telefon. Leider sei das Gewerbeaufsichtsamt in diesem Fall nicht zuständig, sagt er. „Wir legen Aufzüge still, die einen Mangel aufweisen. Hier ist es umgekehrt, da haben wir keine Handhabe.“ Dennoch wolle man gern unterstützen, deshalb sei der Landkreis Harburg informiert worden.
Bauaufsicht hat Eigentümer aufgefordert, Barrierefreiheit wieder herzustellen
Im Kreishaus in Winsen landete der Fall bei der Bauaufsicht, ein Verfahren wurde eingeleitet. Denn die Bauordnung schreibt vor, dass Praxen wie die in Meckelfeld barrierefrei zu erreichen sein müssen. Dafür ist zunächst der Eigentümer des Gebäudes zuständig.
„Dieser wurde angeschrieben und aufgefordert, die Barrierefreiheit wieder herzustellen“, sagt Kreissprecher Andres Wulfes. Ein erster Brief ging im August raus, vor Kurzem folgte ein zweiter, das übliche Verfahren. Eine Nachfrage des Abendblatts lässt der Eigentümer unbeantwortet.
Auch die Pysiotherapiepraxis ist für einige Patienten kaum erreichbar
Die Mieter des Hauses wollen sich nach einiger Überlegung lieber nicht öffentlich äußern. Nur so viel: Die Situation sei für alle Betroffenen ein Ärgernis, sagt Hausarzt Michael Fitzner. Seit der Aufzug außer Betrieb ist, würden sie ihren Patienten mit Einschränkungen helfen, die Treppenstufen zu bewältigen. Dies trifft nicht nur ältere Menschen, sondern auch viele Menschen, die in der Nachbarpraxis Krankengymnastik benötigen.
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Jürgen Schmidt hat unterdessen herausgefunden, dass er für seine Eltern auch einen Transport beauftragen könnte. Mit einem entsprechenden Rezept würden die betagten Senioren dann mit einem Transportstuhl die Treppenstufen hinaufgetragen werden.
Ärztehaus Meckelfeld: Ohne Aufzug verlieren die Schmidts ihre Selbstständigkeit
Heike und Rudolf Schmidt sind vor einigen Jahren extra in eine altersgerechte Wohnung in Meckelfeld umgezogen, um weiterhin selbstständig zurechtzukommen. Sie wären trotz ihres Alters und ihrer Einschränkungen eigentlich nicht auf einen Krankentransport angewiesen – würde einfach der Aufzug im Ärztehaus funktionieren.