Winsen. Einsatzkräfte sichern friedlichen Verlauf der Parade. Organisatoren anfangs in Angst: „Sind nicht Hamburg, wo 250.000 Menschen kommen.“

Erst knapp vier Wochen ist es her, dass Neonazis in Bautzen Teilnehmer einer Christopher-Street Day-Parade bedroht und verfolgt haben – ein Beispiel, das derzeit vielerorts Schule macht. In Winsen demonstrierte am Sonntagnachmittag ein bunter Zug mit mehr als 600 Teilnehmern für die Rechte queerer Menschen und gegen die AfD. Erstmals im Norden ist es dabei zu einer angemeldeten Gegendemonstration gekommen.

Es ist kurz nach 14 Uhr, als ein kleiner Mob jugendlicher Rechter aus dem Parkhaus am Bahnhof kommt und direkt auf den Bahnhofsvorplatz zuläuft. Dort hatte die Gruppe „CSD-Winsen“ zur zweiten Christopher-Street-Day-Parade in der Geschichte der Kreisstadt eingeladen.

CSD in Winsen mit 600 Teilnehmern: Polizei leitet Gegendemo auf andere Bahnhofsseite

Doch schon eine Stunde vor dem offiziellen Beginn der bunten Parade stehen sich nun „Neue Rechte“ und die queere Community gegenüber. Die Gruppe von elf Jugendlichen scheint sichtlich erleichtert, als nach wenigen Minuten die Polizei aus ihren Einsatzwagen springt und die Rechten zu ihrem Kundgebungsort auf der anderen Bahnhofsseite bringt.

Die Polizei hatte die Lage in der Winsener Innenstadt im Griff.
Die Polizei hatte die Lage in der Winsener Innenstadt im Griff. © HA | André Lenthe

„Das war anders geplant, eigentlich wollten wir von Beginn an eine räumliche Trennung der Veranstaltungen“, sagt Polizeioberrat Lutz Lange später. Doch die zahlenmäßig überlegenen Teilnehmer der CSD-Parade bleiben in dieser Situation friedlich und lassen sich nicht provozieren.

Höchstens kopfschüttelnd guckt man den jungen Männern und Frauen in szenetypischer Kleidung wie Pullovern der Marke Thor Steinar nach. „Wie kann man gegen die Liebe und Toleranz anderer Menschen demonstrieren?“, fragt ein junger Mann, der eine Hundemaske aus Leder trägt.

Hunderte Menschen begleiten den Aufzug mit „Nazis raus“-Rufen

Rund 30, vor allem junge Menschen versammeln sich auf einem Parkplatz an der Luhdorfer Straße auf der anderen Seite der Bahngleise. Sie demonstrieren unter dem Motto „Demo gegen LGBTQ+(CSD)“, sagt Winsens Kommissariatsleiter Lutz Lange später.

Für Vielfalt, Toleranz und den Schutz queerer Menschen: Die CSD-Parade zieht über die Winsener Bahnhofstraße.
Für Vielfalt, Toleranz und den Schutz queerer Menschen: Die CSD-Parade zieht über die Winsener Bahnhofstraße. © HA | André Lenthe

Um 14.30 Uhr setzt sich der kleine Zug von Demonstranten begleitet von Polizeikräften in Bewegung. Rund um den Versammlungsort der Rechten, auf dem Platz vor dem Bahnhof sowie auf ihrem Weg in die Innenstadt der Luhe-Stadt stehen mittlerweile hunderte Menschen, die den Aufzug mit „Nazis raus“-Rufen begleiten.

Unter dem Jubel der queeren Community geht es für den rechten Mob zurück zum Bahnhof

In der Innenstadt von Winsen stellen sich junge Menschen den CSD-Gegnern in den Weg. Nur mit Mühe gelingt es der Polizei, den Weg zum Zielpunkt der Kundgebung – dem Kirchenvorplatz von St. Marien – zu räumen. Daher wird die Demonstration abgebrochen, die jungen Rechten müssen unter dem Jubel der queeren Community zurück zum Bahnhof.

Die Polizei leitete die angemeldete Gegendemonstration auf die andere Bahnhofsseite.
Die Polizei leitete die angemeldete Gegendemonstration auf die andere Bahnhofsseite. © HA | André Lenthe

„Wir konnten überhaupt nicht einschätzen, wie viele Demonstranten kommen. Die Organisatoren haben sich nach der Anmeldung nicht mehr gekümmert. Eine Einladung zu einem Kooperationsgespräch haben sie nicht wahrgenommen“, erklärt Lange. Die Demonstration sei sehr kurzfristig am Donnerstag durch zwei Einzelpersonen angemeldet worden, erklärt Winsens Polizeichef.

Winsen ist eben nicht Hamburg – da müsse man Gegenwind aushalten

Diese Nachricht wird auf dem CSD, der unter dem Motto „Winsen bleibt bunt – CSD gegen AfD“ stattfand, mit Jubel aufgenommen. „Wir sind nicht in Hamburg, wo 250.000 Menschen für eine bunte Welt und für die Rechte der queeren Menschen auf die Straße gehen“, sagt eine Sprecherin. Vielmehr sei es nötig, im Hinterland für die Rechte der LGBTQ-Bewegung und der Menschen zu demonstrieren. Dann müssen wir auch den Gegenwind ertragen.“

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Tatsächlich unterstützen in Winsen keine Unternehmen und Organisationen die Parade mit großen Musiktrucks und Firmenlogos in Regenbogenfarben. „Auch Winsen muss begreifen“, so eine andere Rednerin, „dass eine CSD-Demonstration ein Privileg ist.“ Dass Menschen schon bei der Demovorbereitung angefeindet werden und Plakate abgerissen werden, sei nicht akzeptabel.

„Viele Menschen sind trotz der Angst, auf dem Weg zur Demo angegangen zu werden, zu unserer Demonstration gekommen. Das freut uns sehr“, sagt ein Mitglied des Orga-Teams, das nicht namentlich genannt werden möchte.

CSD in Winsen bleibt friedlich, bunt und laut – trotz rechter Störer

Gegen 15.20 Uhr setzt sich der Zug, der mittlerweile auf mehr als 600 Teilnehmende angewachsen ist, in Richtung Innenstadt in Bewegung. Bis zum Abend feiern die Menschen einen friedlichen, bunten und lautstarken Christopher Street Day im Schlosspark von Winsen. „Unterm Strich bin ich zufrieden mit dem Verlauf der Demonstrationen. Größere Probleme hat es bis zum Abend aus polizeilicher Sicht nicht gegeben“, fasst Lutz Lange die Lage zusammen.

Am Montag teilte die Polizeiinspektion Harburg ergänzend mit, dass etwa 100 Beamtinnen und Beamte vor Ort gewesen seien; neben örtlichen Einsatzkräften und aus benachbarten Inspektionen auch die Bereitschaftspolizei. Gegen vier Personen wurden Platzverweise ausgesprochen. Ein Strafverfahren wurde eingeleitet: wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung.