Berlin/Lüneburg. Neuer Bestseller: Historikerin Leonie Schöler zeigt, wie Einstein oder Brecht die Frauen ausnutzten und welches System dahinter steckt.
Leonie Schöler ist Historikerin, preisgekrönte Journalistin, Moderatorin - und jetzt auch Bestseller-Autorin. „Beklaute Frauen“ heißt das Buch der in Lüneburg aufgewachsenen 30-Jährigen, das im Penguin-Verlag erschienen ist. Es landete nach seinem Erscheinen direkt auf der Spiegel-Bestsellerliste. Jetzt kommt Schöler mit ihrem Erstlingswerk zu Lesungen in ihre Heimatstadt und nach Hamburg.
Autorin aus Lüneburg: Fast eine Viertelmillion Follower auf TikTok und Instagram
Leonie Schöler will die Menschen für die Vergangenheit interessieren und holte sie bisher vor allem dort ab, wo sich vor allem die Jüngeren meistens aufhalten: im Internet. Inzwischen folgen ihr auf TikTok und Instagram über 230.000 Personen. Dafür wurde die 30-Jährige bereits mit dem Pädagogischen Medienpreis und dem Fricke-Nachwuchspreis ausgezeichnet. „Ich möchte Menschen erreichen, die vielleicht noch nicht so im Thema sind, aber auch diejenigen nicht verprellen, die sich sowieso schon sehr für Geschichte begeistern“, sagt die Wahl-Berlinerin, die nun ihr erstes Buch veröffentlicht hat.
Schöler rückt Frauengeschichten ins Rampenlicht
In „Beklaute Frauen“ schildert sie in klarer, prägnanter Sprache, unterhaltsam und mit großer Meinungsstärke historische Ereignisse, die die Geschichtsforschung bisher eher links liegen ließ : Die Historikerin rückt Frauengeschichten ins Rampenlicht – allesamt unsichtbare Heldinnen, deren Einfluss aus der Geschichtsschreibung radiert wurde. Es geht um Frauen, die von zum Teil sehr berühmten Männer auf unterschiedliche Weise bestohlen wurden. Diese Männer haben ihre Ideen geklaut, ihre Arbeit und Leistung für den eigenen Ruhm ausgenutzt und die Frauen damit um die verdiente Anerkennung gebrach. Unter diesen Männern finden sich so bekannte Namen wie Einstein, Brecht, Marx, Gropius oder Picasso.
Einstein und Gropius: Zwei, die Frauen „beklauten“
Manchmal ist ihr Vorgehen eher subtil, oft ist es an Dreistigkeit nicht zu überbieten, wie Schöler schildert. „Ermöglicht wird das durch ein System, dass Männer in ihrem Tun bestärkt und Frauen ausbremst“, sagt die Autorin. Manche Beispiele, die Leonie Schöler beschreibt, erscheinen bodenlos frech und rütteln am Podest berühmter Persönlichkeiten, die uns im traditionellen Schulunterricht als Wegbereiter vorgestellt wurden: Darunter Bauhaus-Gründer Walter Gropius: Er „erleichterte“ die Fotografin Lucia Moholy ungefragt um hunderte Negative und kuratierte mit ihren Fotografien 1938 im New Yorker Museum of Modern Art eine Ausstellung – ohne Maholys Namen zu nennen oder wenigstens für einen finanziellen Ausgleich zu sorgen. Oder Albert Einstein: Er erwähnte seine erste Frau und Kollegin, die Wissenschaftlerin Mileva Marić, beim Empfang des Nobelpreises mit keinem Wort, obwohl sie ihm nachweislich half, seine Theorien mathematisch umzusetzen. Stattdessen beleidigte das Physik-Genie die Mutter seiner Kinder nach der gescheiterten Ehe und versuchte, Mileva Marić einzuschüchtern, berichtet Schöler.
Bertholt Brecht: „Frauenheld“ und „Frauenausnutzer“
Und Bertolt Brecht: Dass der Held des deutschen Theaters meistens mehrere Frauen gleichzeitig am Start hatte, ist spätestens seit Florian Illies‘ „Liebe in Zeiten des Hasses“ auch einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Leonie Schöler knöpft sich in ihrem Buch aber nicht das Liebesleben des berühmten deutschen Schriftstellers vor. Sie zeigt auf, welchen großen Anteil manche Frauen an Brechts Schaffen hatten – besonders die junge Schriftstellerin Elisabeth Hauptmann. Ohne die damalige Assistentin von Brecht hätte es sein berühmtestes Theaterstück „Die Dreigroschenoper“ wohl gar nicht gegeben, schreibt Schöler. Doch Hauptmanns gewichtigen Beitrag am bekanntesten Werk des Dramatikers wurde und wird ignoriert. Ihren Namen sucht man neben denen von Brecht und Kurt Weill vergeblich in der Autorenangabe.
„100-prozentige Gleichberechtigung aller Menschen fehlt“
„Ich möchte mit meinem Buch zeigen, wie Frauen systematisch um ihrer Chancen beraubt wurden und es heute noch werden“, sagt Leonie Schöler. Sie stellt in „Beklaute Frauen“ immer wieder Bezüge zur Gegenwart her. „Das ist die eigentliche Idee des Buches. Es soll das System aufzeigen, das dazu führt, dass wir immer noch keine 100-prozentige Gleichberechtigung aller Menschen haben“, so die Autorin. Die historischen Fälle, von denen Schöler in „Beklaute Frauen“ lebhaft und unterhaltsam berichtet, stehen exemplarisch für die verschiedenen Facetten der Ungleichbehandlung. „Damit möchte ich zeigen, was sich bisher positiv verändert hat – aber auch welche Lücken es weiterhin gibt“, so die 30-Jährige.
So inspirierend ist das Leben als Schriftstellerin
Schöler arbeitete zuletzt vorwiegend als Filmemacherin. Ihre achtteilige Webvideoreihe zur Wannsee-Konferenz für das ZDF erregte 2022 einige Aufmerksamkeit. Nach dem großen Erfolg ihres Buches hat sie diese Tätigkeit zwischenzeitlich etwas zurückgeschraubt. „Das Leben als Schriftstellerin ist aufregend, aber weniger glamourös, als man es sich vielleicht vorstellen möchte“, sagt die Wahl-Berlinerin. Im Moment tingelt sie durchs Land: „Ich freue mich sehr auf die kommenden Wochen, in denen viele Lesungen anstehen.“ Sie genießt es, dort mit den Menschen in Kontakt zu kommen, ihren Geschichten zu lauschen, sich austauschen. „Das ist für mich etwas ganz Besonderes. Ich bin sehr dankbar, diese Erfahrungen machen zu dürfen und Menschen mit meinem Schreiben zu begeistern“, sagt Leonie Schöler.
Bestseller-Autorin liest in Hamburg und Lüneburg
Auch in ihrer Heimatstadt Lüneburg und in Hamburg wird sie zu erleben sein: Am 5. September liest Leonie Schöler ab 20 Uhr im Lüneburger „Spätcafe“ im Glockenhof aus ihrem Erstlingswerk, am 12. September kommt sie in den Hamburger Kent Club an der Stresemannstraße. „Die Lesungen in meiner Heimatstadt und auch in Hamburg sind für mich super besonders, weil meine Freunde und meine Familie zu beiden Lesungen kommen werden und ich mich einfach ganz anders zu Hause fühlen kann“, meint die Autorin.
Drohungen gegen Schöler und ihre Freundin Luisa Neubauer
Im Netz erhält sie viele positive Reaktionen auf ihr Buch, doch sie kennt auch das Gegenteil, die dunkle Seite ihrer zunehmenden Bekanntheit. Im Buch erzählt sie am Rande von den heftigen Angriffen im Internet gegen ihre Person und gegen ihre Freundin Luisa Neubauer. Beschimpfungen, angedrohte Vergewaltigungen, Morddrohungen. „Vor allem rechte Blogger und Trolle versuchen gezielt, Menschen mundtot zu machen, die nicht ihrer Meinung sind oder in ihr Weltbild passen. Also eine Feministin oder eine Klima-Aktivistin zum Beispiel“, sagt Schöler.
Die Geschichte bietet Antworten auf heutige Fragen
„Hate Speech“ betreffe aber nicht nur Menschen aus der Öffentlichkeit, sondern eigentlich fast alle. Die Sprache in den sozialen Netzwerken sei sehr rau und angriffslustig. „Und wenn sie dann noch aus der politischen Rechten kommt, wird es oftmals herablassend, menschenfeindlich und diskriminierend. Dadurch ist es für viele Menschen keine gute Erfahrung, sich im Internet an Diskussionen zu beteiligen.“
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Umso wichtiger sei es, entschlossen dagegen zu treten, sich zu vernetzen und gemeinsam Gesicht zu zeigen, ist die Historikerin überzeugt. Lernen aus der Vergangenheit gehört zu ihrer wichtigsten Motivation: „Wenn wir genau hinschauen, bietet uns die Geschichte viele Antworten auf heutige Fragen.“
Schöne und nicht so schöne Erinnerungen an Lüneburg
Die offen lesbisch lebende Frau fühlte sich in ihrer Jugend in Lüneburg manchmal wie eine Außenseiterin. „In meiner Schulzeit haben mir queere Vorbilder gefehlt, beziehungsweise Räume, in denen ich hätte sein können, wie ich bin. Der Zeitgeist war damals einfach noch ein anderer als heute, auch wenn mein Schulabschluss ,erst‘ zwölf Jahre her ist.“ Über Homosexualität sei damals wenig gesprochen worden. „Und wenn, dann sehr negativ. Das hat mir die Schulzeit nicht ganz einfach gemacht.“
In Berlin wurde sie dagegen schnell heimisch. „Ich liebe die Offenheit der Stadt, Dass dort jeder so sein kann, wie er oder sie ist.“ Trotzdem sei sie immer froh, wenn sie nach Lüneburg zurückkommen könne: „Bei meiner Familie fühle ich mich nach wie vor zu Hause. Und ich liebe Lüneburg. Es ist eine wunderschöne Stadt, mit der ich viele schöne Erinnerungen verbinde.“