Tostedt/Landkreis Harburg. Der Mykologe Jörg Albers ist Landeskoordinator für die Kartierung der rätselhaften Gewächse – die auch ihn immer wieder überraschen.
Das norddeutsche Wetter: unbeständig. Heiße Perioden wechseln mit kühlen Wochen, immer wieder regnet es ausgiebig. Beste Bedingungen für Pilzwachstum, sollte man meinen. Erwartet uns im Herbst 2024 eine Super-Pilzsaison? „Momentan sieht es nicht danach aus, zumindest nicht hier in der Heide, aber das kann sich noch ändern. Letztes Jahr gab es um diese Zeit schon viel mehr Pilze“, sagt Jörg Albers. Woran das liegt, weiß auch er nicht. Dabei ist Albers Experte.
Der Pilzsachverständige und Mykologe arbeitet im Hauptberuf als selbstständiger Garten- und Landschaftsbauer sowie Planer. Er leitet die Arbeitsgemeinschaft Pilzkunde des Naturwissenschaftlichen Vereins zu Bremen und ist stellvertretender Landeskoordinator für Pilze und Pilzkartierung in Niedersachsen und Bremen der Deutschen Gesellschaft für Mykologie. Er arbeitet wissenschaftlich, dokumentiert Pilzbestände, bestimmt und beschreibt neue Arten, veröffentlicht seine Entdeckungen in Fachzeitschriften, steht im Austausch mit Mykologen in aller Welt. Seine Kontakte reichen bis nach Korea.
Nahe Tostedt liegt das am besten erforschte Pilzgebiet
Gleichzeitig möchte der 55-Jährige auch Laien sein Fachgebiet nahe bringen. Denn: „Pilze zeigen an, ob die Natur noch intakt ist.“ Deshalb bietet er Pilzexkursionen an, bei denen es längst nicht nur um Speisepilze und das Sammeln einer Mahlzeit geht. Wir fahren in sein am intensivsten erforschtes Pilzrevier. Der Otterberg liegt unweit von Albers‘ Wohnort Tostedt. Hier beobachtet und dokumentiert er seit zwei Jahrzehnten, wo welche Pilzarten wachsen.
„Pilze haben in der Natur eine kaum zu überschätzende Bedeutung“, erklärt Albers. „Sie versorgen Bäume mit Wasser und Nährstoffen, andere zersetzen pflanzliches Material. Neuesten Forschungen zufolge können Pilze enorme Mengen von Kohlendioxid binden und damit dem Klimawandel entgegen wirken.“
Steinpilz, Marone und Pfifferling sind Klimaretter? Schade, dass es hier keine gibt!
Steinpilz, Marone und Pfifferling sind Klimaretter? Schade, dass es hier scheinbar keine gibt! Ob auf der Wiese, am Waldrand oder direkt unter dem Blätterdach - weit und breit ist kein einziger Hut zu sehen. Jörg Albers lacht. „Wir stehen hier auf Abertausenden Kilometern von Pilzfäden. Das, was gemeinhin unter Pilz verstanden wird - Stiel mit Kappe - ist der Fruchtkörper, der saisonal gebildet wird und der der Verbreitung des Pilzes über Sporen dient.“
Das Wesentliche des Pilzes wächst unsichtbar in Form haarfeiner Fäden in der Erde oder in vermoderndem Holz. Dieses sogenannte Myzel übernimmt entscheidende Aufgaben in der Natur. Man unterscheidet im Reich der Pilze Zersetzer, die abgestorbene Bäume wieder in Humus verwandeln, und Mykorrhizapilze, deren Geflecht feinste Baumwurzeln umspinnt und die Bäume mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Im Gegenzug liefert der Baum den Pilzen etwas, das sie mangels Blattgrün nicht selbst herstellen können: Zucker.
Der Kratzende Kammtäubling ist für den Menschen nicht essbar
„Dieser Kratzende Kammtäubling ist für den Menschen nicht essbar, aber als Mykorrhizapilz, der Partnerschaften mit verschiedenen Laubbäumen eingeht, enorm wertvoll für das Ökosystem“, erklärt Jörg Albers und zeigt einen unscheinbaren Hutpilz. Auch Pfifferling und Steinpilz sind bezüglich ihrer Baumpartner flexible Mykorrhizapilze. Andere Arten dagegen sind auf eine einzige Baumart festgelegt. Der Birkenpilz beispielsweise, ebenfalls ein beliebter Speisepilz, kommt ausschließlich in Gesellschaft von Birken vor. „Dafür kommt er mit den verschiedensten Bodenverhältnissen zurecht.“
Die Heide-Rotkappe braucht zwingend Birken und nährstoffarme Böden. In der Heide findet sie beides. „Früher war sie so häufig, dass sie massenweise auf Bremer und Hamburger Märkten verkauft wurde. Inzwischen ist sie nahezu verschwunden. Zu vieles Sammeln ist aber nicht Schuld daran. Wahrscheinlich liegt es an zunehmender Trockenheit und der allgemeinen Überdüngung unserer Landschaft, denn viele Mykorrhizapilze reagieren sehr sensibel auf derartige Umweltveränderungen“, mutmaßt Jörg Albers.
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Andere Pilze profitieren vom Klimawandel. „Das ist ein Pilz, den es hier bis vor wenigen Jahren noch nicht gab: Die Ebereschenpfennigkruste“, erklärt Albers und hält einen toten Ast hoch, der von centgroßen schwarzen Flecken überzogen ist. Man braucht eine Lupe, um die Pilzkörper als winzige Körnchen zu erkennen. „Gerade Ebereschen haben unter der Trockenheit der vergangenen Sommer gelitten und sind abgestorben. Jetzt findet die Ebereschenpfennigkruste jede Menge Totholz. Noch steht sie auf der Roten Liste der gefährdeten Arten, da werden wir sie jetzt streichen“, erklärt Albers.
Als Klimaprofiteur neu am Otterberg ist auch der bislang in Norddeutschland ziemlich seltene Weitlöcherige Stielporling, der ebenfalls auf Totholz wächst. Oder ist es doch eher ein Sklerotienporling? „Das muss ich mir unter dem Mikroskop anschauen“, sagt Jörg Albers und packt das zarte Pilzchen mit großen Löchern unter dem Hut samt dem durchwurzelten Ast in seinen Korb. Letztlich wird es bei Albers getrocknet und verpackt im Keller landen – gemeinsam mit rund 6000 anderen Pilzen. Jetzt aber bleibt es im Korb allein. Alle anderen Pilze, eine Steife Koralle, diverse Kartoffelboviste und Zunderschwämme, lassen wir unangetastet. Schließlich sollen deren Sporen für Verbreitung der Art sorgen.
An diesem Augustabend finden wir keinen einzigen Speisepilz, obwohl der Kenner an allen ihm seit Jahrzehnten bekannten Standorten sucht. Ein Superpilzjahr ist das bisher jedenfalls nicht. „Vielleicht werden die ersten kalten Nächte zur Fruchtkörperbildung anregen“, meint Jörg Albers. Wie es auch kommt: Seine Pilzexkursionen werden stattfinden. Denn Pilze, so eine Erkenntnis des Ausflugs zum Otterberg, gibt es immer und überall. Und: Spannend sind Pilzexkursionen in jedem Fall.
Info: Jörg Albers ist unter albers-pilze@web.de zu erreichen. Er unternimmt auch gern individuelle Führungen. Ziele und Preis nach Absprache.
Orte und Termine seiner nächsten Exkursionen in der näheren Umgebung, Dauer: zwei Stunden, Anmeldung und Preis beim jeweiligen Veranstalter:
31.08. Hof Möhr bei Heber, Anfänger und Fortgeschrittene, Tourismusverband Schneverdingen, www.heidenlust.de, Tel.: 05193 93 800
15.09. Wennerstorf bei Hollenstedt, auch Anfänger, Museumshof Wennerstorf, www.kiekeberg-museum.de Tel.: 04165 211349
31.10. Wennerstorf bei Hollenstedt, auch Anfänger, Museumshof Wennerstorf www.kiekeberg-museum.de Tel.: 04165/211349