Harburg. Die vegetarischen Frikadellen schmecken richtig gut. Wie die Firma Mushlabs zu nachhaltiger Ernährung beitragen will.

Es riecht, nein es duftet wie frisch gebratene Frikadellen, was Cathy Preisser da zubereitet. Sie steht in einer Küche der Technischen Universität Hamburg in Harburg, wendet mit einem Pfannenheber neun Bällchen in Rapsöl hin und her, bis diese leicht gebräunt sind. Angerichtet auf Tagliatelle mit Tomatensoße, Rucola und ein paar Steifen Parmesan, wirkt das Produkt erst recht vertraut: Mini-Buletten, klar doch! Wie aber mundet es – pur, ohne Garnierung?

Das Mushlab-Produkt: vegetarische Frikadellen, hier angerichtet auf Tagliatelle mit Tomatensoße und Rucola
Das Mushlab-Produkt: vegetarische Frikadellen, hier angerichtet auf Tagliatelle mit Tomatensoße und Rucola © MARK SANDTEN / FUNKE FOTO SERVICES | Mark Sandten / FUNKE FOTO SERVICES

Gastrokritiker müsste man jetzt sein. Sind wir aber leider nicht und halten es deshalb besser einfach. Also los: herzhaft… aromatisch… feste Textur… saftig. Schlicht: gut. Schnell ist die Kostprobe verputzt. So fleischig können also Pilze schmecken.

Fleischersatz muss auch nach "umami" schmecken

Cathy Preisser lächelt. Die Lebensmittelproduktentwicklerin und ihre Kolleginnen und Mitstreiter haben viel experimentiert, damit ihre Mixtur als „umami“ wahrgenommen wird – neben süß, sauer, salzig und bitter die fünfte Geschmacksrichtung, die charakteristisch ist für viele proteinhaltige Speisen, vor allem allerdings für jene tierischen Ursprungs.

Im Labor etwas zu kreieren, das dem sehr nahekommt und viele Menschen anspricht, war eine Herausforderung. Die gewonnene Biomasse zu Mini-Buletten zu formen, sei nur eine mögliche Variante. „Wir haben so viele Ideen, was wir damit machen könnten“, sagt Preisser – und spricht von „wissenschaftlichem Spirit“ im Team.

Pilze enthalten recht viele Proteine

Wissenschaft ist die Grundlage des Hamburger Start-ups Mushlabs. Unternehmenschef Mazen Rizk, geboren und aufgewachsen im Libanon, kam Ende 2010 in die Hansestadt, studierte an der Technischen Universität Hamburg (TUHH) und promovierte dort in der Technischen Mikrobiologie. Vor drei Jahren gründete er aus der Hochschule heraus seine Firma mit dem Ziel, eine neue Alternative zu Fleisch anzubieten.

Pilze enthalten im Vergleich zu den meisten Gemüsesorten recht viele Proteine, wobei sie nicht an den Eiweißgehalt von Fleisch heranreichen. Im Gegensatz zu Fleisch liefern Pilze allerdings auch recht viele Ballaststoffe, die Wissenschaftlern zufolge sehr wichtig für eine gesunde Ernährung sind.

Nachhaltiger Beitrag zur weltweiten Ernährung

Der Gesundheitsaspekt ist für Mazen Rizk nur ein Teil seiner Mission: Er wolle vor allem einen nachhaltigen Beitrag zur weltweiten Ernährung leisten, sagt der 36-Jährige. Angesichts der globalen Erwärmung müsse die Menschheit ihre Nahrungsmittel umweltschonender produzieren, den Ausstoß an Treibhausgasen reduzieren. Bei allem Idealismus denkt der Gründer aber natürlich auch an ökonomischen Output. „Etwas Gutes zu tun und Geld zu verdienen – das ist doch eine gute Kombination“, sagt er.

Finanzielle Unterstützung bekommt Mushlabs seit kurzem vom Bundeswirtschaftsministerium. Bei der Förderung im Rahmen des Programms Industrielle Bioökonomie handele es sich um eine fünfstellige Summe – genauer möchte das Start-up nicht werden. Als Investoren engagieren sich die Risikokapitalgeber Redalpine aus Zürich, Atlantic Food Labs aus Berlin und Bitburger Ventures. Sie alle setzen wie der Firmengründer darauf, dass sich der Marktanteil von Fleischersatzprodukten am Gesamtfleischmarkt erhöht. In Deutschland liegt dieser Anteil laut Umweltbundesamt (UBA) bei sechs Prozent.

Bundesamt: Reduktion des Fleischkonsums dringend nötig

Aus Umweltsicht sei es dringend nötig, den Fleischkonsum zu reduzieren, erklärt das UBA. Denn der weltweit wachsende Konsum von Fleisch und tierischen Produkten sowie das Gros der derzeitigen Herstellungsprozesse verursachten erhebliche Probleme für die Umwelt, die Tiere und die menschliche Gesundheit.

Fleischersatz etwa aus Soja, Weizen oder Erbsen habe eine erheblich bessere Ökobilanz als konventionell erzeugtes Fleisch, erklärt das UBA, das 2020 eine Studie zu diesem Thema durchführte. Bei der Herstellung alternativer Produkte entstehen der Behörde zufolge mitunter weniger als ein Zehntel der Menge an Treibhausgasen, die bei der Erzeugung von Rindfleisch anfallen. Auch der Wasser- und der Flächenverbrauch seien um ein Vielfaches geringer.

Die meisten Ersatzprodukte basieren auf Soja

Längst gibt es eine Vielzahl an vegetarischen und veganen Ersatzprodukten zu kaufen. Die meisten basieren auf Soja. Mazen Rizk und sein Team nutzen einen anderen Rohstoff: das sogenannte Myzel von Pilzen. Dabei handelt es sich nicht um den Fruchtkörper, der für gewöhnlich auf den Tisch kommt, sondern ein fadenförmiges Geflecht, quasi die Wurzeln von Pilzen. Das Myzel schmecke fast genauso wie der Fruchtkörper, wachse aber schneller, sagt Rizk.

In speziellen Bioreaktoren werde das Myzel mit Nebenprodukten aus der Lebensmittelindustrie „gefüttert“, etwa mit Getreideabfällen, Reishülsen, Kaffee- und Teeabfällen. Anfangs habe die Anzucht neun Tage gedauert; nach etlichen Verbesserungen könnten die Myzelien nun nach fünf Tagen geerntet werden. Diese Biomasse stelle den Hauptbestandteil für jene Produkte dar, die Mushlabs entwickeln wolle. Zum Vergleich: Bei Soja dauert es nach der Aussaat in der Regel 140 bis 150 Tage, bis die Bohnen erntereif sind.

Fleischersatz: Zutaten der Pilz-Bulette bleiben geheim

Die erheblich kürzere Anzucht sei nicht der einzige Vorteil des Myzels, sagt Rizk: „Wir brauchen keine landwirtschaftlichen Flächen und sind unabhängig von Regen und Sonne, da wir Bioreaktoren nutzen, wir können das ganze Jahr über produzieren, wir brauchen keine Düngemittel und Pestizide.“ Ihm zufolge kommt der Mushlabs-Prototyp mit nur drei bis vier Zutaten aus. Worum es sich im Einzelnen handelt und welche Pilzart überhaupt verwendet wird, dazu schweigt der Firmengründer. Nur so viel: Vegan sei die Mixtur nicht.

Trotz aller Vorteile: Im Labor kann das Start-up bisher lediglich 1,5 bis zwei Kilogramm Biomasse aus dem Myzel erzeugen. „Wir arbeiten am Ausbau unserer eigenen Kapazitäten, aber auch mit unseren Partnern zusammen, um größere Mengen zu produzieren“, sagt Produktentwicklungschefin Cathy Preisser.

Zuletzt ist das Start-up personell schnell gewachsen, aktuell sind 30 Mitarbeitende an Bord. Anfangs arbeitete das Mushlabs-Team nur in Räumen an der Technischen Universität in Harburg, inzwischen hat die Firma auch eine Niederlassung in Berlin. Aus dem Prototypen soll in Kürze ein fertiges Produkt werden. Im Laufe des kommenden Jahres könnte es auf den Markt kommen – so der Plan.