Niedersachsen. Geplante Reform: Apotheker im Norden befürchten schlechtere Versorgung kranker Menschen. Wen es treffen würde.
Der Apotheker gehört für viele Menschen in Deutschland ganz selbstverständlich zu ihrer Apotheke dazu. In Zukunft, so sieht es eine geplante Gesetzesreform des Bundesgesundheitsministers vor, kann ein Apotheker auch mehrere Filialen betreiben und dort nur stundenweise selbst hinter dem Tresen stehen.
Ist das die Lösung, um die Versorgung mit Medikamenten in der Stadt und auf dem Land zukunftsfest zu machen? Viele Apotheker im Norden sehen das ganz anders, sie lehnen die Pläne rundherum ab.
Apotheker befürchtet schlechtere Versorgung mit Medikamenten
Dr. Mathias Grau betreibt seit 24 Jahren die Rats-Apotheke in Horneburg im Landkreis Stade und ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Landesapothekerverbands Niedersachsen. Wenn er gefragt wird, was er von der Reform hält, antwortet er mit einer Gegenfrage: „Würden Sie in ein Flugzeug steigen, in dem kein Pilot sitzt? Würden Sie darauf vertrauen, dass die Stewardess Sie gut versorgt und der Autopilot weiß, was zu tun ist?“
Der 54-Jährige gibt selbst die Antwort: „Ganz sicher nicht. Das würde niemand machen.“ Ganz ähnlich sei es jedoch mit der Apotheke ohne Apotheker, dies setze die Sicherheit der Menschen aufs Spiel. Eröffne ein Kollege weitere Filialen neben seinem Stammsitz, sei das keinesfalls vorteilhaft für die Gesundheitsversorgung. Im Gegenteil, es könnte dazu führen, dass die Versorgung deutlich schlechter wird, auf dem Land genauso wie in der Stadt.
Einige Schmerzmittel darf nur der Apotheker ausgeben
Die größte Gefahr sieht Mathias Grau darin, dass wichtige Leistungen wegfallen könnten: Die intensive pharmazeutische Beratung, wie zum Beispiel ein Medikamentencheck, um riskante Wechselwirkungen auszuschließen. Das Impfangebot. Die Abgabe starker Schmerzmittel. Und auch der Notdienst nachts und an den Wochenenden.
All dies darf nur ein Apotheker übernehmen, nicht die pharmazeutisch-technischen Assistenten, die künftig auch allein an den Standorten die Kunden bedienen sollen. Der Chef oder die Chefin muss, so die Pläne, lediglich acht Stunden pro Woche selbst vor Ort sein. Zwar kann er oder sie zur Beratung per Video zugeschaltet werden.
Rheuma, Krebs und ADHS: Es geht um Medikamente auf gelbem Rezept
Bestimmte Medikamente jedoch könnten dann zum Beispiel nur noch dienstags ausgegeben werden. „Starke Schmerzen oder einschneidende Diagnosen treten aber nicht nach Termin auf“, sagt Mathias Grau. „Menschen mit schweren Erkrankungen, die auf Morphium angewiesen sind, wären dann nicht mehr ausreichend versorgt.“
Die Einschränkung beträfe alle Rezepte, die auf gelbem statt auf rosafarbenem Papier gedruckt sind. So ein Rezept erhalten zum Beispiel Menschen, die an Krebs, Rheuma oder Multipler Sklerose leiden, oder auch Unfallpatienten für ihre Medikamente. Aber auch gängige Mittel, die Kindern mit der Diagnose ADHS verschrieben werden, fallen unter diese besondere Rezeptpflicht.
Apotheker aus Horneburg befürchtet Verdrängung alteingesessener Apotheken
Fünf- bis achtmal pro Tag gebe er solche Medikamente bisher aus, sagt der Horneburger Apotheker, der zehn Mitarbeiter beschäftigt. Allein an einem Tag sei dies mit entsprechender Beratung kaum zu schaffen.
Aber zusätzliche Filialen, das klingt doch erst einmal, als hätten dann mehr Menschen eine Apotheke in ihrer Nähe? Für Mathias Grau ist das eine Milchmädchenrechnung, die neuen Filialen würden nach seiner Ansicht eher alteingesessene Apotheken verdrängen. Zudem gäbe es weniger voll ausgestattete Standorte für die Ausbildung und auch für die Filialen bräuchte es ausreichend pharmazeutisch-technische Assistenten. Dass deren Beschäftigung auf Dauer billiger wäre, glaubt er nicht. „Wenn sie vor Ort Verantwortung übernehmen, müssen sie auch besser bezahlt werden.“
In Deutschland müssen jede Woche etwa zehn Apotheken schließen
Der Apotheker befürchtet daher sogar eine Verschlechterung der Situation. Schon jetzt habe Deutschland eine der geringsten Apothekendichten in Europa, jeden Tag müssten im Durchschnitt 1,5 Apotheken schließen, 15 Prozent meldeten zuletzt rote Zahlen für das vergangene Jahr.
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In Niedersachsen zeichne sich diese Entwicklung ebenso ab. Schließt irgendwo eine Arztpraxis auf dem Land, macht häufig auch die Apotheke vor Ort zu. In der Stadt wiederum machten die stark steigenden Mieten den selbstständigen Apothekern zu schaffen.
Apothekensterben gefährdet den Notdienst nachts und am Wochenende
Entscheidend sei das Geld im System, sagt Mathias Grau. So müssten unter anderem die Honorare der Apotheker angehoben werden. Diese lägen auf dem Niveau von vor 20 Jahren. „Durch die Reform droht aber eine reine Umverteilung.“
Schreitet das Apothekensterben weiter voran, ist nach Ansicht des Apothekers auch der bisher sehr gute Notdienst in Gefahr. Dann könnte es passieren, dass Eltern nachts mit einem fiebernden Kleinkind erst 40 Kilometer zum nächsten Arzt fahren müssten und dann weitere 30 Kilometer zur Apotheke. „An so ein Szenario möchte ich gar nicht denken“, sagt Mathias Grau. „Das wäre katastrophal.“
Reformpläne: Kritiker fordern Stärkung der Apotheken für bessere Gesundheitsversorgung
Das Apothekenreformgesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist derzeit in der Abstimmung und könnte noch im August vom Kabinett beschlossen werden. Es soll zum Jahresbeginn 2025 in Kraft treten. Der Landesapothekerverband Niedersachsen lehnt den Vorschlag in Gänze ab. Apotheken sollten im Gegenteil stärker in die Gesundheitsversorgung einbezogen werden, da der Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen angesichts der älter werdenden Bevölkerung steigen werde.
Auch Mathias Grau, der Horneburger Apotheker, sieht keine Grundlage für einen Kompromiss. „Der Vorschlag ist grotesk und fühlt sich an wie eine Ohrfeige.“