Hamburg. Die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung betrifft auch Erwachsene. Psychiatrie-Chefarzt erklärt Therapiemöglichkeiten.
Wenn ein Kind nicht still sitzen kann, andauernd herumhampelt und sich kaum konzentrieren kann, dann nennt man es salopp gern einen „Zappelphilipp“. Und fragt sich als Eltern dabei vielleicht insgeheim: Ist das noch normal oder schon ADHS?
Tatsächlich kommt diese Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung gar nicht nicht so selten vor und betrifft, was viele noch nicht wissen, auch Erwachsene. „40 bis 50 Prozent der betroffenen Kinder nehmen die Symptome ins Erwachsenenalter mit, wobei diese dann oft nicht immer sofort richtig zugeordnet werden“, sagt Privatdozent Dr. Daniel Schöttle. Der gebürtige Schwabe war 16 Jahre lang am UKE tätig und hat zum 1. März als Chefarzt die Abteilung für Psychiatrie am Asklepios Klinikum Harburg übernommen. „Manchmal ist es so, dass ein Kinderarzt die Diagnose stellt und ein Elternteil dann ganz verblüfft sagt: Aber ich bin ganz genauso wie mein Kind!“
Diagnose: Ursache für ADHS liegt in den Genen
Heute sei man in der Diagnostik eben aufmerksamer also noch vor 30 oder 40 Jahren. Und tatsächlich liege ein Teil der Ursache für ADHS in den Genen. „Welches Gen genau zuständig ist, weiß man noch nicht. Aber es steht fest, dass es ein erbliches Risiko gibt.“ Dass die Störung, die übrigens nicht immer als solche empfunden werde und auch nicht zwangsläufig therapiewürdig sei, erst im Erwachsenenalter auftrete, sei „sehr, sehr unwahrscheinlich“, sagt der zweifache Vater. Doch was sind die typischen Symptome?
„Betroffene sind in unterschiedlicher Ausprägung in den einzelnen Symptombereichen unaufmerksam, impulsiv und hyperaktiv“, sagt der Experte. „Sie können zum Beispiel schlecht zuhören, machen Flüchtigkeitsfehler, bringen Dinge nicht zu Ende. Auch langes Sitzen, zum Beispiel im Kino oder im Restaurant, führt dazu, dass sie die innere Unruhe deutlich spüren.“ Bei Kinder falle in erster Linie die motorische Unruhe auf, doch diese verlagere sich mit zunehmendem Alter oft nach innen. „Also als Kind geht man vielleicht ständig über Tisch und Bänke, zappelt rum und wird dann aber dafür ständig gemaßregelt. Das heißt, man passt sich irgendwann an. Was bleibt, ist die innere Unruhe, eine innere Grundaufregung.“
Wenig Therapieangebote in Hamburg
Das habe, körperlich betrachtet, damit zu tun, dass sich bei ADHS im Gehirn der Dopamin- und Noradrenalinhaushalt verschiebe. „Leider gibt es auch in einer Metropole wie Hamburg immer noch zu wenig Diagnostik- und Therapieangebote, insbesondere für Erwachsene mit ADHS. Die Wartelisten sind lang.“
Das betreffe auch die Plätze für Psychotherapie, die in Zeiten der Pandemie noch nachgefragter seien als ohnehin schon. „Eine Psychotherapie, ob allein oder in der Gruppe, hat zwar keinen ausgeprägten Einfluss auf die ADHS-Kernsymptome, hilft Betroffenen in der Regel aber gut, weil eben auch Begleiterkrankungen wie Depressionen, Angst- oder Abhängigkeitserkrankungen behandelt werden und zudem bei vielen ADHS-Betroffenen eine Selbstwertproblematik vorliegt.“
Diagnose: Auch Arzt Eckart von Hirschhausen ist betroffen
Ein weiterer Baustein der Therapie sei die Medikation. Gilt man denn irgendwann als „geheilt“? „In der Regel überprüft man die Medikation mindestens einmal im Jahr. Manchmal regen die Patienten von sich aus an, einen Auslassversuch zu starten, also auf die Medikamente zu verzichten, oder nehmen diese nur bei Bedarf ein.“ Denn mit der Zeit lernten viele Betroffene mit ADHS umzugehen, ja sogar gut zu leben.
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„Wir sind ja längst zu der Erkenntnis gekommen, dass nicht jede Abweichung von der Norm gleich eine Störung sein muss“, sagt der Mediziner. So gebe es Betroffene, die ihre ADHS zu schätzen wüssten. „Gerade die Schnelligkeit im Gehirn, das Energetische, das kommt kreativen Persönlichkeiten entgegen.“ Man denke nur an den Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre und den Arzt Eckart von Hirschhausen, die beide schon sehr offen über ihre ADHS-assoziierten Symptome gesprochen hätten.