Sumte/Lüneburg. Der Fall einer vermeintlich exzentrischen Namenswahl führt in ein Lüneburger Flüchtlingsheim. Und offenbart eine berührende Geschichte.
- Im Landkreis Lüneburg wurde 2023 der seltene Vorname Excel registriert
- Die Mutter und Namensgeberin stimmte einem Treffen in einer Erstunterkunft mit dem Abendblatt zu
- Das Ergebnis: Der Babyname wirkt nur auf den ersten Blick kurios und hat für Sharon Aigbe eine besondere Bedeutung
An seltenen und kuriosen Namen reiben sich die Gemüter. Und so stieß ein örtlicher Babyname, der zuerst an Tabellenkalkulation und Microsoft Office denken lässt, erwartungsgemäß auf großes Interesse der Abendblatt-Leser. Es geht um den Vornamen „Excel“, den ein Neugeborener in Lüneburg im Vorjahr erhaltenen hatte.
Eine Geschichte zum Schmunzeln und Kopfschütteln – so schien es, bis die Lüneburger Behörde auf eine Gesprächsanfrage antwortete. Die scheinbar heitere Vornamen-Anekdote aus der Hamburger Metropolregion bekam damit eine unerwartete Wendung. Denn so viel wurde bereits aus der kurzen, schriftlichen Nachricht klar: Die Mutter und ihr kleiner Sohn Excel leben zum Zeitpunkt des Treffens im Februar 2024 in einer großen Erstaufnahmeunterkunft für Geflüchtete im Landkreis Lüneburg.
Und wie das Gespräch mit Sharon Aigbe ergeben sollte, steckt hinter der Namenswahl alles andere als ein exzentrischer Witz oder ein Faible für eine Computer-Software.
Excel als Vorname: Mutter und Sohn leben in bekannter Flüchtlingsunterkunft
Das Büro, in das die Frau ihren Kinderwagen für das Treffen schiebt, ist karg eingerichtet. Ein Schreibtisch, zwei Stühle, graue Wände. Ein Provisorium auf Dauer – genau wie der Rest der großen Flüchtlingsunterkunft in Sumte (Landkreis Lüneburg), die seit Jahren regelmäßig in den Schlagzeilen ist. „102 villagers, 750 refugees, one grand experiment“ titelte etwa der britische „Guardian“ 2017.
Die Einrichtung im ehemaligen Bürokomplex einer Inkassofirma war erstmals 2015 am Rande des 100-Einwohner-Dorfes Sumte eröffnet worden und bietet nun wieder bis zu 700 Geflüchteten auf 5000 m2 eine erste Rast. Mindestens noch bis Herbst 2024, dann soll eine neue Unterkunft im ehemaligen Krankenhaus in Scharnebeck Sumte ersetzen.
Sharon Aigbe, ihre Tochter im Kleinkindalter und ihr Baby Excel sind drei von knapp 400 Menschen, die dort leben (Stand: Februar 2024) – weit weg von Behörden, Ärzten und Einkaufsmöglichkeiten. Sie antwortet zunächst sparsam auf die Fragen. Auf Englisch erzählt die zweifache Mutter, dass sie aus Nigeria geflohen und 29 Jahre alt sei. Nach Sumte ist sie im Oktober 2023 angekommen. Ihr Sohn kam wenige Wochen später, Mitte Dezember, zur Welt.
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Fanta und Excel: Hier kurios, in Afrika ganz normale Namen
Den Trubel um Excels Vornamen versteht Sharon Aigbe nicht. Aus einem einfachen Grund: Der Name sei in ihrer Heimat gebräuchlich. Das Computer-Programm Excel kenne sie gar nicht. Probleme mit dem deutschen Standesamt habe sie nicht gehabt.
In ähnlicher Weise hatte der Vorname Fanta kürzlich in Hamburg vor Aufsehen gesorgt und eine banale Auflösung erfahren. Wie sich herausstellte und im Abendblatt-Podcast „Becker am Morgen“ zu hören ist, handelt es sich bei Fanta um einen üblichen Mädchennamen aus Westafrika. Ein Merksatz der Hamburger Familienberaterin Mareike Fell aus dem Gespräch dazu: Wie ich auf unbekannte Vornamen reagiere, „erzählt mehr über mich, als über die anderen.“
Nicht einfach ein Name: Welchen Weg Sharon Aigbe ihrem „Excel“ ebnen möchte
Während Excel in Deutschland in erster Linie mit der Tabellensoftware von Microsoft verbunden werden dürfte, ist das Wort im englischen Sprachraum zudem ein gebräuchliches Verb. Es bedeutet „sich auszeichnen“ oder „hervorragen“ in Bezug auf Leistung und Qualität. Und Sharon Aigbe hat diesen Namen ganz bewusst gewählt. Als es um die Bedeutung und die Beweggründe ihrer Namenswahl geht, blüht die Mutter auf.
Sie nenne ihren Sohn gelegentlich auch „Excellence“ und wolle ihm mit dem Namen genau das mit auf den Weg geben: akademischen Erfolg, Wissen, eine schnelle Auffassungsgabe. Ein Name ist für die Nigerianerin nicht nur eine Ansammlung von Buchstaben. Für sie als Christin sei „Excel“ vielmehr als Bittgebet und Segensspruch zu verstehen. So hätten es auch ihre Eltern gemacht, die ihr mit dem Namen Sharon die Schönheit einer Rose gewünscht hatten.
Ihren Neugeborenen – Tausende Kilometer von ihrer Heimat entfernt auf die Welt gekommen und in Deutschland eine unsichere Zukunft gestartet – möge der Name dazu verhelfen, eine großartiger, erfolgreicher Mensch zu werden.
Trauma nach der Flucht? Excels Mutter möchte nicht mehr weinen
Zu ihrer Fluchtgeschichte möchte die 29-Jährige nicht viel erzählen. Zu schmerzvoll seien die Erinnerung an die Geschehnisse. Sie wolle nicht wieder anfangen zu weinen. Aus Nigeria sei sie unvorbereitet aufgebrochen, von Männern getäuscht worden, trotzdem über Libyen nach Italien gekommen und von dort nach Deutschland weitergezogen. „Ich hoffe auf eine bessere Zukunft und versuche jeden Tag zu überleben“, sagt sie über den Alltag in der Flüchtlingsunterkunft in Sumte und schweigt nach diesem Satz.
Mit ihren Kindern wohnt Sharon Aigbe in einem kleinen Raum zwischen Sperrholzwänden. Das Zimmer ist lediglich durch einen Vorhang mit Gang getrennt. Wie es für die Nigerianerin weitergeht, ist in diesem Moment ungewiss.
Christopher Schäfer, Leiter der Einrichtung des Landkreises Lüneburg, sagt, dass Familien mit kleinen Kindern wie die Aigbes möglichst schnell in Wohnungen in größeren Ortschaften untergebracht werden. Im Normalfall verbrächten Geflüchtete zwei bis drei Monate in Sumte.
Hinweis der Redaktion: Dieser Text ist erstmals im Februar 2024 erschienen. Wir haben ihn nach einer kleinen inhaltlichen Überarbeitung neu veröffentlicht.