Lüneburg/Winsen/Buchholz/Stade. Welche besonderen Namen Kinder in der Region südlich der Elbe bekamen – und welche die Standesämter ablehnten.
Seltene Vornamen stehen bei vielen Eltern hoch im Kurs. Auch bei uns in der Region hat im Vorjahr wieder so manches Baby einen ausgefallenen Namen erhalten, bei dem im Spielplatzgewimmel kaum Verwechslungsgefahr herrscht. Anders also als bei Namen wie „Emilia“ oder „Noah“, die sowohl vor Ort als auch bundesweit die beliebtesten Kindernamen im Jahr 2022 waren.
Lokale Beispiele mit Seltenheitswert sind „Birke“, „Snorre“, „Aeris“ oder „Alucard“. Letzterer ergibt rückwärts gelesen „Dracula“. Für die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) ist der Vorname allerdings aus einem anderen Grund problematisch, wie das Abendblatt erfuhr.
Die Welt wird immer globaler – und damit auch die Vielfalt der Vornamen
Insgesamt gilt, dass die Vielfalt der Vornamen in Deutschland zunimmt. Der Wunsch nach einem möglichst individuellen Namen für den Nachwuchs treibe einen Teil der Eltern an, aber längst nicht alle. Das sagt Frauke Rüdebusch von der Gesellschaft für deutsche Sprache.
Rüdebusch ist Sprachwissenschaftlerin und als Vornamensberaterin tätig. Sie erläutert: „Die Welt wird immer globaler – und damit auch die Vielfalt der Vornamen in Deutschland.“ Die GfdS berät Eltern und Behörden in Vornamensfragen, bekannt ist der Verein insbesondere für die Wahl der Wörter des Jahres (zuletzt: „Zeitenwende“).
Auch die lokale Statistik zeigt: In Winsen wurden fast 60 Prozent der vergebenen Erstnamen im Jahr 2022 ein einziges Mal vergeben. Innerhalb einer großen Bandbreite von Vornamen in der Region stechen wiederum besonders ausgefallene oder kreative Varianten wie „Alucard“ hervor.
„Alucard“ ergibt rückwärts gelesen „Dracula“
Der Name taucht sowohl in der Manga-Serie „Hellsing“ als auch in dem Videospiel „Castlevania“ als Name eines Vampirs auf. Das Standesamt Lüneburg sah keinen Grund einzugreifen, wie die Behörde auf Abendblatt-Nachfrage angibt. Dort wurde der Name 2022 einmal und das erste Mal überhaupt verzeichnet.
Ein Beispiel für die liberale Haltung in Sachen Vornamensvergabe in Deutschland. Hintergrund: Hierzulande gibt es keine Gesetzesgrundlage, Eltern sind grundsätzlich frei in der Wahl. Die einzige Einschränkung: Das Kindeswohl darf durch den Vornamen nicht gefährdet werden.
Ob ein Vorname sich negativ auswirken könnte, entscheiden der jeweilige Standesbeamte oder die Standesbeamtin. Diese berufen sich wiederum auf richterliche Urteile, holen sich Rat bei Stellen wie der GfdS oder geben Fälle an das zuständige Amtsgericht weiter. Die daraus resultierenden Richtlinien für die Namensgebung gelten als zunehmend locker.
Mitunter kommen die Mitarbeiter der Ämter allerdings zu unterschiedlichen Bewertungen. Beispiel geschlechtsneutrale Namen: Sie gelten seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2008 vielen Standesbeamten als erlaubt – unter Berufung auf diesen Einzelfall. Andere folgen der Empfehlung der Gesellschaft für deutsche Sprache, die zu der Wahl eines Zweitnamen rät, dessen Geschlecht eindeutig zuzuordnen ist.
Standesämter lehnen „Luzifer“, „Summer Peaches“ und „Givenchy“ ab
Lokale Streitfälle gab es im Jahr 2022 nicht, die Standesämter in Winsen, Buchholz, im Bezirk Harburg, Buxtehude, Stade und Lüneburg winken nach eigenen Angaben alle Vornamen durch. In den Vorjahren ist es in der Region durchaus zu Fällen gekommen, die die weit gefassten deutschen Vornamens-Grenzen nach Ansicht der Zuständigen überschritten.
Kein grünes Licht bekamen etwa Eltern vom Standesamt Winsen, die ihre Tochter den Namen „Summer Peaches“ geben wollten. Obwohl sowohl „Peaches“ (zu Deutsch: Pfirsiche) als auch „Summer“ (englisch für Sommer) in Deutschland zu den gängigen Vornamen zählen, hält auch GfdS-Mitarbeiterin Rüdebusch die Verbindung beider Namen für problematisch. „Hier besteht die Gefahr, dass ,Summer Peaches’ nicht mehr als Vorname zu erkennen ist.“
Der Bezirk Harburg gibt an, einer Familie in einem aktuellen Fall den Vornamen „Givenchy“ versagt zu haben, da es sich um einen geschützten Markennamen eines französischen Modeunternehmens handele.
In Stade lehnte die Behörde einmal den Vornamen „Luzifer“ als alleinigen Vornamen ab. Auch andere deutsche Standesämter und ein Gericht in Kassel wiesen „Luzifer“ in der Vergangenheit ab. Die GfdS empfiehlt, von dem Namen „Luzifer“ in jeder Form und Kombination abzusehen. Im Christentum ist „Luzifer“ der Name des Teufels, also des Gegenspielers Gottes. Aus dem lateinischen übersetzt bedeutet er „Lichtträger“.
„Teufel“, „Satan“, „Judas“ sind verboten – und auch der Vorname „Dracula“
Als unzulässig gelten in Deutschland auch die Namensvarianten „Teufel“ und „Satan“. Auch „Judas“ steht auf der inoffiziellen schwarzen Liste – wie auch der Name der titelgebenden Vampirfigur aus Bram Stokers Roman „Dracula“. Dass der Vorname „Alucard“ eine Abwandlung von „Dracula“ ist, war für das Lüneburger Standesamt kein Grund, ihn abzulehnen. Die Beratungsstelle der Gesellschaft für deutsche Sprache wurde in diesem Fall nicht konsultiert.
Grundsätzlich kein Problem, wie GfdS-Mitarbeiterin Frauke Rüdebusch sagt. Denn Vornamen sollten ihrer Ansicht nach zunächst neutral gesehen werden. „Wir betrachten jeden Namen neu und für sich. Was er anders gelesen bedeutet, spielt dabei erstmal keine Rolle.“ Und eine Herleitung aus einer Geschichte – in diesem Fall ein Manga oder Videospiel – sei für die Profis sogar mitunter entscheidendes Kriterium für eine Zustimmung. Immer vorausgesetzt, der Name verstoße nicht gegen das Kindeswohl.
„Sverrir“ bis „Saxa“: Besondere Vornamen in Winsen, Buchholz und Lüneburg
Diese Gefahr geht aus Sicht von Rüdebusch nicht wegen des Vampirbezugs von „Alucard“ aus. Analog zu „Summer Peaches“ mangele es vielmehr am eindeutigen „Vornamencharakter“, der Name könne als „Alukarte“ interpretiert werden.
In Winsen haben Christian Päsler und das Team vom Standesamt ein kritisches Auge auf die Vornamen und prüfen alles intern. Den Grenzfall „Alucard“ hätte er vermutlich zur Klärung an den zuständigen Amtsrichter in Stade übergeben, wie er gegenüber dem Abendblatt sagt.
Im Zweifel lassen sich die Beamten erklären, woher der Name komme
„Fragwürdige Namen klären wir zuerst im Team und mit den Eltern“, so Päsler. Dabei gehe es in der Praxis häufiger um Schreibweisen als ganze Namen. Im Zweifel lassen sich die Beamten erklären, woher der Name komme und ob er schlüssig sei. Manchmal schlage er als Lösung vor, einen weiteren Namen zu vergeben, damit das Kind später eine Auswahl habe.
Dem Winsener Standesbeamten sind im vergangenen Jahr insbesondere seltene skandinavische Vornamen und solche mit Bezug zur nordischen Mythologie aufgefallen. So wurden dort zum Beispiel erstmals die weiblichen Vornamen „Aeris“ und „Birke“ und für Jungen „Heaven“ und „Snorre“ beurkundet.
Das Standesamt Buchholz führt die Namen „Fibi“, „Effi“, „Lillemoor“ und „Kallisto“ als außergewöhnliche Namen des Vorjahres auf. In Lüneburg fiel die Wahl von Sorgeberechtigten neben „Alucard“ erstmals auf „Xwededa“ und „Sverrir“ und für Mädchen „Velleda“, „Armenui“ und „Saxa“. Der Bezirk Harburg, Stade und Buxtehude machten keine Angaben dazu.