Seevetal. 20 Minihäuser sollen Geflüchteten als Unterkunft dienen. Ein Erfolgsmodell? Eher eine verpasste Millionen-Chance, sagt ein Spezialist.
- Der Landkreis Harburg lässt für Geflüchtete aus der Ukraine Tiny Houses bauen.
- Doch an dem 2,1 Millionen Euro teuren Ergebnis kann ein Experte nicht wirklich etwas Gutes abgewinnen
Um Geflüchteten aus der Ukraine geeigneten Wohnraum im Landkreis Harburg zu bieten und dabei teure Mietkosten für Wohnungen oder Containeranlagen zu vermeiden, lässt die Gemeinde Seevetal derzeit 20 kleine Holzhäuser bauen. Kosten: 2,1 Millionen Euro. Das Projekt hat über die Region hinaus für Aufsehen gesorgt.
Die Minihäuser mit jeweils etwa 30 m² Platz entstehen derzeit in Fleestedt und Maschen. Die Verwaltung will die „Tiny Houses“ für vier bis sechs Personen später an andere Orte transportieren und weiterverwenden.
Tiny House für Geflüchtete: „Seevetaler haben es falsch umgesetzt“
Bis hierhin eine gute Idee – das findet auch der Branchenprofi und Podcaster Peter Pedersen aus Neumünster. Trotzdem lässt der Mann, der in Deutschland als Tiny-House-Pionier gilt, kein gutes Haar an der Durchführung des Projekts. „Die Seevetaler haben es falsch umgesetzt“, sagt er. Seine Prognose: „Das Ende vom Lied ist, genauso wie bei Containern: Die kann ich in den Müll werfen.“
Harte Worte, die die Verantwortlichen in Seevetal nicht nachvollziehen können. „Die Gemeinde ist erschrocken über diese Ausdrucksweise“, antwortet ein Sprecher auf die Vorwürfe.
Unterkünfte sollen ukrainischen Familien helfen, „heimisch zu werden“
In einer anhaltenden Notsituation hätten Verwaltung und Politik eine Lösung „für würdigen Wohnraum“ für bis zu 120 Geflüchtete gefunden, heißt es aus dem Rathaus in Hittfeld. „Es muss unbedingt vermieden werden, dass wieder wie im Herbst letzten Jahres Turnhallen als Unterkünfte hergerichtet werden“, so der Sprecher.
Seevetals Bürgermeisterin Emily Weede sagte bei einer Informationsveranstaltung: „Wir sind als Gemeinde für diese Menschen zuständig und wollen mit den neuen Unterkünften gerade den Familien helfen, hier bei uns heimisch zu werden.“ Wie mehrfach berichtet ist die Unterbringung von Geflüchteten im Landkreis Harburg zunehmend schwierig geworden.
Kritik: Echte Tiny Houses hätten zwei Millionen Euro auf Dauer gebracht
Folgt man Pedersens Argumentation, erscheint Seevetals Anschaffung vor allem als verpasste Chance für eine nachhaltige Investition. Oder im Umkehrschluss als Fehlkauf mit überzogenen Preisen.
Pedersen ist Chef des Unternehmens Rolling Tiny House und zudem als Präsident des Verbands Mikrohaus und nach eigener Angabe auch als Berater für Kommunen tätig. Außerdem beleuchtet er das Phänomen „Tiny Houses“ seit vielen Jahren in einem Podcast. In der Ausgabe mit dem Titel „Flüchtlingsheime – Tiny Houses statt Container“ (Folge 50) aus März 2023 beschäftigt er sich ausgiebig mit den Seevetaler Minihäusern (ab Minute 11:00), von denen er über die Presse erfahren habe.
Das ist der Unterschied zwischen Tiny House und Mobilheim
Das Problem aus Pedersen Sicht: Bei den Holzkonstruktionen in Seevetal – die ein örtlicher Zimmereibetrieb baut – handele es sich nicht um Tiny Houses im Sinne eines vollwertigen „Mikrohauses“. Die Gemeinde habe sogenannte „Mobilheime“ oder „Mobile Homes“ gekauft. Der Unterschied: „Echte“ Tiny Houses erfüllen aktuelle Energieeffizienzstandards und können eine Baugenehmigung erhalten und sind somit damit für dauerhaftes Wohnen geeignet.
Die deutsche Verbraucherzentrale rät etwa, beim Kauf oder Bau von Tiny Houses unbedingt auf die gesetzlichen Mindestanforderungen an die Energieeffizienz und den Brandschutz zu achten. Denn ohne Baugenehmigung dürfen Minihäuser lediglich auf Sonderflächen wie Campingplätzen oder in Ferienhausgebieten stehen.
Seevetal widerspricht Kritik des Minihaus-Profis
Daraus leitet Peter Pedersen ab: Die 20 Häuser in Seevetal mit dem Kaufpreis von 2,1 Millionen Euro mit dem Status größerer Wohnwagen werden massiv an Wert verlieren. Für 100.000 Euro pro Haus hätte die Verwaltung bei gleicher Bauzeit vollwertige Tiny Houses anschaffen können – die als Immobilien eine nachhaltige Investition in den Gemeindehaushalt gewesen wären.
Der Experte schätzt, dass Seevetal 85.000 bis 100.000 Euro für baugenehmigungsfähige Mikrohäuser pro Stück bezahlt hätte. Laut Verbraucherzentrale sind solche Tiny Houses ab 30.000 Euro zu haben. In der Premiumklasse kosten sie bis zu 250.000 Euro.
Branchenportale geben für einfache Mobilhäuser aus Holz in vergleichbarer Größe zwischen 10.000 und 60.000 Euro an. Ein Vergleich ohne Angaben der Ausschreibung ist nur schwer möglich.
- Immobilien: Tiny Houses sind die Ferienhäuser der Zukunft
- Tiny House: Erste Mieter ziehen in neue Siedlung an der Elbe
- Schulen Norderstedt: Wie ein Tiny House als Projekt bundesweit Furore macht
Gemeinde gibt an, bereits Kaufinteressenten zu haben
Die Einschätzung, dass die Investition „wertlos“ sei, teilt die Gemeinde Seevetal nicht, wie sie schriftlich mitteilt. Auf die Argumente des Tiny-House-Profis geht die Pressestelle auch auf Abendblatt-Nachfrage nicht ein. Bei der Beschaffung seien „nachhaltigkeitsbezogene, wirtschaftliche und baurechtliche Aspekte in bestmöglicher Art und Weise einbezogen worden.“
Man habe zudem bereits Kaufinteressenten für den Fall, dass die Häuser nach einer Unterbringungszeit von drei Jahren nicht mehr benötigt werden. Ein möglicher Verkaufspreis wird nicht genannt.
Die Gemeinde – die die Minihäuser in der Öffentlichkeit auch als „Tiny Houses“ bezeichnete – verweist darauf, dass keine allgemeingültige Definition eines „Tiny Houses“ existiere und explizit die Anschaffung von Mobilheimen von der Ratspolitik beschlossen wurde. Das ist sachlich richtig. Im mehrheitlich beschlossenen Antrag (13. Oktober 2022) ist die Rede von einer Anschaffung von „20 Mobilheimen“.
Kosten für Containeranlagen auf 750.000 Euro pro Jahr geschätzt
Warum sich Gemeinde für Mobilheime entschied und wie bewusst die baurechtlichen und preislichen Unterschiede der verschiedenen Bauarten der Minihäuser in die Entscheidungsfindung und Auftragsvergabe einflossen, bleibt unbeantwortet.
Im Beschluss heißt es, dass die Mobilhäuser „langfristig wirtschaftlicher in der Gesamtinvestition“ sein sollen als Container. Die jährliche Miete für Containeranlagen für die anvisierte Personenzahl schätzt die Gemeinde derzeit auf rund 750.000 Euro. Überschritten wäre der Kaufpreis von 2,1 Millionen Euro nach drei Jahren.
Welche Art von Minihaus wurde in Auftrag gegeben – und ist es transportfähig?
Welche Anforderungen die Seevetaler Bauten erfüllen, bleibt unklar. Die Gemeinde gibt keinen Einblick in die formulierten Kriterien, in die Ausschreibung oder das Vergabeverfahren – mit dem Hinweis auf „Wettbewerbsgründe“. Der Landkreis Harburg, dessen Zentrale Vergabestelle (ZVS) zuständig war, verweist auf die Gemeinde als Ansprechpartner.
Tiny-House-Profi Pedersen zweifelt auch an, dass die Häuser – gebaut nach dem Holzrahmenprinzip – statisch überhaupt für einen Transport ausgelegt (Erdbebenklasse) seien. Für eine solche Konstruktion brauche es Know how, über das nicht jedes Unternehmen verfüge.
Auf Nachfrage, ob die Transportfähigkeit der kleinen Häuser gesichert sei, antwortete die Gemeinde Seevetal, man habe „in der Leistungsbeschreibung aufgeführt, dass die Bodenplatte kranfähig auszubilden ist, d.h., das Gebäude muss transportfähig sein.“ Damit greife die rechtliche Verpflichtung für den Auftragnehmer, dieses einzuhalten und sicherzustellen. Anderenfalls würde er sich schadensersatzpflichtig machen.
Tiny House: Experte Pedersen ist kein neutraler Beobachter
Dass er als Verkäufer von Mikrohäusern und Verbandspräsident unter Lobbyismusverdacht steht, ist Peter Pedersen klar. Er und seine Verbandskollegen würden davon profitieren, wenn die Kommunen reihenweise Mikrohäuser in Auftrag gäben. „Aber einer muss es ja mal sagen“, findet er. Viele Gemeinden – er nennt auch Neustadt oder Damfleth in Schleswig-Holstein als aktuelle Beispiele – verspielten Ihre Chancen durch unüberlegte Ausschreibungen.
Ob Pedersen Kritik berechtigt ist, wird sich zeigen. Seevetal kündigt an, „für zukünftige Projekte die jeweils aktuellen Erfahrungen und dann geltenden Bedingungen“ in Entscheidungen einzubeziehen.