Bleckede. Nach Verzögerungen sollen bis Jahresende 36 Mini-Häuser hinterm Deich entstehen. Das ist der Unterschied zu anderen Projekten.

  • Das Konzept Tiny House erfreut sich ungebrochener Beliebtheit
  • In Bleckede an der Elbe entsteht eine ganze Siedlung der Kleinsthäuser
  • Nun ziehen die ersten Mieter ein

Grauer Himmel, Nieselregen, acht Grad Celsius – aber Andrea Rommelmann bekommt das Strahlen gar nicht mehr aus dem Gesicht. Gerade hat sie aus dem Kofferraum ihres Autos eine Kaffeemaschine geholt. Jetzt balanciert sie mit einem Stapel Kissen und einer Decke im Arm über Holzplanken, die auf dem matschigen Boden liegen. „Ich wollte immer ein Tiny House“, sagt die 56-Jährige und lädt alles auf der überdachten Veranda ab. Es ist eine Premiere.

An diesem Morgen Mitte Februar hat sie ihr Miniaturhaus übernommen – als erste Eigentümerin in der kleinen Siedlung Elborado, 80 Kilometer entfernt von Hamburg. Für Andrea Rommelmann und ihre Familie ein lange gehegter Traum, der in Erfüllung geht.

Tiny House: Neue Häuser stehen hinterm Elbdeich bei Bleckede

Noch ist das Gelände hinter dem Elbdeich bei Bleckede allerdings eine Baustelle. Ihr Haus ist das vierte an der Südseite, mit weiß getünchter Front und dunkel abgesetzten Seiten. Andrea Rommelmann ist mitten in der Nacht zu Hause in Mühlheim an der Ruhr losgefahren, um möglichst früh bei der Schlüsselübergabe zu sein. Jetzt steht sie in ihrem Landdomizil en miniature. 30 Quadratmeter samt Einbauküche mit schwarzer Steinarbeitsplatte und puristischem Duschbad. „Alles ist so, wie ich es mir vorgestellt habe“, sagt die Kinderkrankenschwester.

Die Wände sind weiß getüncht, der Dielenboden glänzt. Es riecht nach Holz. Noch ist es ziemlich leer und kalt. Die In­frarotheizung an der Decke lässt sich noch nicht einschalten. Strom und Wasser sollen erst in den nächsten Tagen angeschlossen werden. Aber das stört Andrea Rommelmann im Moment genauso wenig wie der Matsch und die Bauarbeiter drum herum. In der Schlafkammer hat sie direkt nach der Ankunft mit Freunden schon mal das Doppelbett für sich und ihren Mann aufgebaut. Im Hauptraum steht eine Ausziehcouch für die erwachsenen Kinder. Vor eines der bodentiefen Fenster hat sie einen Tisch gestellt – mit Endlosblick über grüne Weiden. „Jetzt wird erst mal alles schön eingerichtet“, sagt die stolze Minihaus-Besitzerin und zeigt auf eine Ecke, die sie zu einem Lounge-Bereich umgestalten will. „Obwohl es so klein ist, ist einiges zu tun.“ Oder gerade deshalb.

Eigentlich hätten die ersten Familien ihre Mikrohäuschen mitten im Nirgendwo schon vor mehr als einem Jahr beziehen sollen. Aber der Baustart hat sich immer wieder verschoben. Zuletzt hatten Lieferprobleme beim Produktionsbetrieb der Modulholzhäuser in Tschechien den Zeitplan durchkreuzt. Inzwischen liefert eine Firma aus Polen, und die ersten sieben Miniherbergen stehen auf dem etwa 2,5 Hektar großen Areal eines ehemaligen Campingplatzes im niedersächsischen Biosphärenreservat Elbtalauen. Bis zum Jahresende sollen es 36 sein. Insgesamt ist die Errichtung von 72 Tiny Houses geplant.

Innenansicht: Andrea  Rommelmann in ihrem neuen Tiny House.
Innenansicht: Andrea  Rommelmann in ihrem neuen Tiny House. © FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

„Wir schaffen hier einen Fluchtpunkt für Stadtmenschen“, beschreibt Daniel Lippke die Idee. Gemeinsam mit einem Architekten aus Hamburg und dem niederländischen Investor Letro Aviation hat der 41-Jährige das Bauprojekt in den vergangenen fünf Jahren entwickelt – und war mitten im Boom rund um Tiny Houses gelandet. Das hat Elborado eine Menge Aufmerksamkeit gebracht. Allerdings ist der Begriff nicht geschützt und kann alles Mögliche bedeuten: von der Laube im Schrebergarten über ein rollendes Mobilhome auf dem Campingplatz bis zum ausgeklügelten Miniatur-Eigenheim in einem eigens ausgewiesenen Baugebiet. Im Fall des Elborados handelt es sich um eine Wochenendhaus-Siedlung. Dauerhaft wohnen, verboten. Trotzdem hat Lippke in den vergangenen zwei Jahren mehr als 300 Interessenten über das Gelände geführt.

Interesse an Tiny Houses ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen

Klein, aber mein. Das Interesse an den Winzig-Herbergen, kaum größer als ein Zimmer und vergleichsweise erschwinglich im Vergleich zu klassischen Immobilien, ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Corona hat dem Traum vom Leben im Tiny House – ob temporär oder für immer – noch mal ordentlich Schub gegeben. Das hat etwas mit fehlendem Wohnraum in vielen Ballungsräumen zu tun, aber auch mit der Lust auf Minimalismus und individuelle Wohnformen. Inzwischen hat sich eine bunte Tiny-House-Bewegung mit unterschiedlichen Interessen gebildet, die sich bundesweit in Vereinen organisiert, über zahlreiche Gruppen in den sozialen Medien austauscht und bei Messen und Festivals trifft.

Es gibt einen Tiny House Verband in Karlsruhe und den Bundesverband Mi­krohaus in Berlin. Und immer mehr Hersteller und Dienstleister, die bei dem Geschäft mit den Winzig-Häusern mitmischen wollen. Allerdings: Inzwischen gibt es auch beim Trend zum Minihaus erste Dellen. So musste etwa der Tiny-House-Hersteller Diekmann aus dem westfälischen Hamm Ende 2022 Insolvenz anmelden. Offenbar waren Finanzierungen geplatzt und Aufträge storniert worden.

Unabhängige Marktdaten existieren bislang nicht. In einer Studie in Kooperation mit dem Tiny House Verband aus dem Jahr 2021 wurde das Marktpotenzial auf rund 3,9 Milliarden Euro geschätzt. Knapp 60.000 Deutsche könnten sich demnach ein Tiny House für sich vorstellen. „Das Problem ist, dass es kaum genehmigte Siedlungsprojekte gibt“, sagt die Verbandsvorsitzende Regina Schleyer. Dahinter steckt, dass man in Deutschland für ein Wohngebäude zur Dauernutzung als Erstwohnsitz eine Baugenehmigung braucht – und sei es noch so winzig. Deshalb berät Schleyer auf Anfrage inzwischen bundesweit. Zuletzt hat sie im Januar in Schleswig-Holstein bei der CDU-Fraktion im Landtag für die Ausweisung von Baugebieten für Mini-Eigenheime geworben und war dabei durchaus auf offene Ohren gestoßen. „Es ist gibt immer mehr Politiker, die in Kleinstgebäuden eine sinnvolle Ergänzung zum normalen Immobilienbestand sehen“, sagt die Lobbyistin.

Die Modulholzhäuser werden in zwei Teilen angeliefert und auf dem Elborado-Gelände bei Bleckede zusammengebaut.
Die Modulholzhäuser werden in zwei Teilen angeliefert und auf dem Elborado-Gelände bei Bleckede zusammengebaut. © Daniel Lippke/Elborado

Zurück an den Grünen Deich im Bleckeder Ortsteil Wendewisch. Die 36 Minihäuser des ersten Bauabschnitts des Elborado sind nach Angaben von Projektleiter Daniel Lippke bis auf zwei verkauft – zumeist an Familien und Paare aus Hamburg, die in urbanen Stadtteilen wie Eimsbüttel oder in der Schanze leben und fürs Wochenende und die Ferien einen Landsitz suchen. „Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind unsere Kunden trotz der Verzögerungen nicht abgesprungen“, sagt der studierte Geograf mit langjähriger Erfahrung in der Start-up-Szene.

Und das, obwohl die Preise nicht gerade niedrig sind. Die gestiegenen Kosten für Holz und Energie schlagen auch in der Minihaus-Szene kräftig zu Buche. Inzwischen kosten Elborado-Häuschen – zur Auswahl stehen die Modelle Elbo mit separatem Schlafzimmer oder nach Absprache Rado als Einraum-Variante – etwa 140.000 Euro, inklusive Transport und Montage. Dazu kommt für die 175 Qua­dratmeter großen Grundstücke eine monatliche Pacht von etwa 200 Euro.

Projekt am Elbdeich bietet ein Rund-um-Sorglos-Paket

Dafür wird eine Art Rund-um Sorglos-Paket versprochen, mit Anschlüssen für Wasser, Strom, Glasfaserkabel und auf Wunsch einem Kaminofen. Buchbar ist ein Reinigungsservice, auch Vermietungen können auf Wunsch zentral gemanagt werden. Geplant sind auf dem Gelände zudem Gemeinschaftseinrichtungen wie ein Waschsalon, Sauna, Gastronomieangebot, ein Yogaraum, aber zum Beispiel auch Coworking-Büros. Noch ist davon allerdings nichts zu sehen. Als Erstes startet jetzt der Umbau des früheren Sanitärhauses des Campingplatzes zu einem Lager für Gartenmöbel, SUP-Bretter und sonstigen Freizeitobjekten.

In den nächsten Wochen soll die kleine Siedlung rasch wachsen. Die Fundamente sind schon vorbereitet. Jeden Monat kommen drei bis vier weitere Modulholzhäuser dazu. Geliefert werden sie in zwei Hälften, die dann auf dem Gelände nur noch zusammengesetzt und innerhalb eines Tages fertig montiert werden.

„Wir entwickeln die Modelle immer weiter“, sagt Daniel Lippke. Insgesamt haben die Betreiber nach seinen Angaben eine siebenstellige Summe in das Projekt investiert. „Jetzt muss es auch endlich losgehen.“ Gerade haben er und seine Partner die Vermarktung der nächsten 36 Minihäuser gestartet, die nach einem von Landschaftsarchitekten geplanten Konzept auf dem Gelände verteilt werden. „Jetzt kann man endlich sehen, wie es werden soll. Wir rechnen damit, dass die Nachfrage wieder groß ist.“

In Celle entsteht eine Wohnsiedlung für 18 Mikrohäuser

Die Möglichkeiten für ein Tiny House rund um Hamburg sind nach wie vor begrenzt. Unter anderem wirbt südwestlich von Bad Segeberg ein Campingplatz in Wittenborn mit Plätzen für Minihäuser. Am Itzstedter See östlich von Henstedt-Ulzburg soll ebenfalls eine Anlage mit 65 Einheiten entstehen. Allerdings sind beide Projekte nicht für Dauerbewohner genehmigt. Der erste Campingplatz, auf dem per Baurechtsänderung die Anmeldung eines Erstwohnsitzes in einem Holzhauspark, in Mobilheimen und Tiny Houses erlaubt wurde, ist Stover Strand südwestlich von Geesthacht.

„Das muss man vorher genau prüfen“, sagt Peter L. Pedersen aus Neumünster, dessen Firma Rolling Tiny House auf die Herstellung von baugenehmigungsfähigen Mikrohäusern spezialisiert ist und unter anderem Tiny-House-Projekte im niedersächsischen Visselhövede und im mecklenburgischen Vielank betreut.

Tiny House: Erst Städte weisen spezielle Wohngebiete aus

Es gibt inzwischen auch erste Städte, die Baugebiete extra für Tiny Houses ausweisen. Vorreiter im Norden Deutschlands ist die Mikrohaus-Wohnsiedlung im niedersächsischen Celle mit 18 Grundstücken zwischen 250 und 315 Quadratmetern, auf denen Häuser mit maximal 50 Quadratmetern gebaut werden dürfen. Alle Grundstücke sind inzwischen vergeben. Es gibt eine Nachrückerliste.

Ähnliche Überlegungen für Dauerwohner gibt es in Schleswig-Holstein in Bad Segeberg, in Erfte und in Hollenbek. Einen ungewöhnlichen Weg hat die Gemeinde Seevetal im Oktober 2022 beschlossen. Sie will 20 Minihäuser anschaffen, die als Unterkunft für geflüchtete Familien aus der Ukraine im Frühjahr in Fleestedt und Maschen aufgestellt werden sollen.

Tiny House an der Elbe: "Ich dachte, das klingt gut"

Andrea Rommelmann und ihr Ehemann haben den Vertrag für ihr Minihaus Ende 2020 abgeschlossen. „Ich dachte, ,Tiny House an der Elbe‘ klingt gut“, sagt die Frau aus dem Ruhrgebiet, deren Familie Wohnmobil-Erfahrungen hat und Wassersport treibt.

Als sie zum ersten Mal auf dem Elborado-Gelände gewesen sei, habe sie sich sofort in den Ort und das Projekt verliebt. Zwar seien der Preis stattlich und die Verzögerungen beim Bau ärgerlich. „Aber jetzt freue ich mich, dass es endlich losgeht“, sagt sie und guckt aus einem der Fenster. „Für mich ist das hier Entspannung pur.“