Schulsenator und SPD wollen vor einer Entscheidung über die Rückkehr zum neunjährigen Abitur ein Meinungsbild an allen 60 Hamburger Gymnasium erstellen lassen. Das sorgt bei „G9-Jetzt-HH“ für Unmut.
Hamburg/Hannover. Überraschende Wende in den Verhandlungen der Hamburger SPD-Bürgerschaftsfraktion mit der Volksinitiative, die für eine Rückkehr zum längeren Weg zum Abitur am Gymnasium (G9) ist: Die SPD will vor einer Entscheidung erst ein Meinungsbild an allen 60 Gymnasien erstellen lassen. Die Schulkonferenzen, in denen Eltern, Schüler, Lehrer und die Schulleitung vertreten sind, sollen sagen, ob sie für eine Rückkehr zu G9 sind oder am G8 festhalten wollen.
"Die Lage ist in Hamburg nicht so eindeutig wie in anderen Bundesländern", sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD), der an den heute gut zweistündigen Verhandlungen erstmals teilgenommen hatte. "Wir brauchen ein klares Bild aus den Schulen. Wir wollen nicht über die Köpfe der Basis hinweg eine Entscheidung treffen", sagte Rabe.
Sechs bis acht Wochen sollen die Betroffenen Zeit bekommen, um das Meinungsbild zu erstellen. Was aus den Ergebnissen folgen soll, ließ die SPD offen. "Ich sage aber ganz klar: Wir machen das nicht, um es anschließend in die Schublade zu legen", sagte Rabe. Die Politik setze sich damit "auch ein Stück weit unter Druck".
Initiative reagiert verärgert
Die Volksinitiative reagierte verärgert auf den Vorstoß der SPD. "Wir haben diesem Vorschlag ausdrücklich nicht zugestimmt", sagte die "G9-Jetzt-HH"-Sprecherin Mareile Kirsch. Die Initiative will ihre Mitstreiter befragen und sich voraussichtlich am Freitag festlegen. Kirsch befürchtet, dass die SPD auf diesem Weg Fakten schaffen will. "Es äußern sich all diejenigen, die doch G9 jetzt schon abgelehnt haben", sagte Kirsch.
Wie berichtet, hatte sich zum Beispiel die Vereinigung der Leiter Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VLHGS) vehement gegen die Rückkehr zu G9 ausgesprochen. "Wir sind sehr ärgerlich. Das Vorgehen der SPD ist nicht vertrauensfördernd", so Kirsch.
In der Bürgerschaft werden am heutigen Mittwoch in einer aktuellen Stunde ebenfalls die Alternativen G8 und G9 debattiert.
Kritik an Reform in Niedersachsen
Derweil haben in Niedersachsen CDU und FDP im Hannoveraner Landtag die geplante Abschaffung des Turbo-Abiturs kritisiert. „Von Rot-Grün wird versucht, den Anschein zu erwecken, als gebe es nur positive Resonanz“, sagte der CDU-Abgeordnete Kai Seefried am Mittwoch. Die Realität sehe aber anders aus. Die Reform bedeute nichts anderes, als dass das Abitur genau wie vor 20 Jahren ablaufen werde. „Das Konzept ist nicht ausgegoren, die Umsetzung im kommenden Jahr ist zu spät“, monierte auch Björn Försterling (FDP).
Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) hatte in der vergangenen Woche angekündigt, dass Niedersachsen 2015 als erstes Bundesland das verkürzte Abitur nach zwölf Schuljahren abschaffen will. Kritik kommt auch von zahlreichen Eltern, die die sofortige Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren und Wahlmöglichkeiten für Eltern und Schüler fordern, die an der schnellen Schullaufbahn festhalten wollen. Die Eltern übergaben der Kultusministerin am Mittwoch eine Liste mit 25.000 Unterschriften.
Heiligenstadt bezeichnete die Kritik als unbegründet: „Zehn Jahre durfte darüber in diesem Haus nicht diskutiert werden, wir haben jetzt einen ganz wichtigen Schritt für die Schüler und die Gymnasien gemacht“, sagte sie im Landtag. Die Schüler hätten künftig mehr Zeit, den Lernstoff zu verarbeiten und zu behalten. „Das bedeutet mehr Tiefgang.“
Kritik am Kultusministerium gibt es derzeit auch wegen der geplanten längeren Unterrichtsverpflichtung für Lehrer. Die Landesregierung hatte Anfang Juli beschlossen, dass Gymnasiallehrer künftig 24,5 statt 23,5 Stunden pro Woche unterrichten sollen. Daran will die Regierung trotz der Ablehnung durch Verbände und Gewerkschaften festhalten. Es wird aber geprüft, ob zumindest für ältere Lehrer eine flexiblere Altersteilzeitregelung beim Übergang vom aktiven Schuldienst in den Ruhestand möglich ist.