Der fraktionslose Abgeordnete Walter Scheuerl plant keine Kandidatur für AfD und FDP. Ich bin Europäer“, sagte Scheuerl und spielte damit auf den antieuropäischen Kurs der konservativen Alternative für Deutschland (AfD) an.
Hamburg. Nach dem Rauswurf aus der CDU-Bürgerschaftsfraktion lässt Walter Scheuerl offen, wo seine politische Zukunft liegt. „Ich schließe aber definitiv aus, dass ich mich der AfD anschließe. Ich bin Europäer“, sagte Scheuerl im Gespräch mit dem Abendblatt und spielte damit auf den antieuropäischen Kurs der konservativen Alternative für Deutschland (AfD) an.
CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich hatte den parteilosen Scheuerl in einer spektakulären Aktion am Wochenende ultimativ aufgefordert, die Fraktion zu verlassen, was der Rechtsanwalt und Sprecher des Elternnetzwerks „Wir wollen lernen“ (WWL) sofort akzeptierte. Scheuerl hatte die CDU-Vorschläge zur Lösung des Streits über eine Rückkehr zum längeren Weg zum Abitur am Gymnasium (G9) auf Facebook kritisiert. Wersich bezeichnete daraufhin Scheuerls Verhalten auf dem CDU-Landesparteitag als „illoyal, verantwortungslos und inakzeptabel“.
Um 10.01 Uhr am gestrigen Montag erklärte der Rechtsanwalt nach drei Jahren Mitgliedschaft per Fax seinen Austritt aus der CDU-Fraktion, an deren Sitzung am Abend er schon nicht mehr teilnahm.
In seinem Beitrag auf Facebook hatte Scheuerl am Donnerstag den CDU-Vorschlag kritisiert, die Schulkonferenz jedes Gymnasiums solle einmal darüber abstimmen, ob ihre Schule künftig in acht oder neun Jahren zum Abitur führe. Damit würden „die eigentlich Betroffenen, deren Kinder noch in der Grundschule sind ..., ausgeschlossen“. Die Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ fordert eine individuelle Wahlmöglichkeit für alle Eltern an allen Standorten. Das heißt, dass die Gymnasien G8 und G9 parallel anbieten müssten.
Auf Ablehnung stieß bei Scheuerl auch die Überlegung der Union, mit der Volksinitiative über eine Stärkung der Stadtteilschulen zu verhandeln. „Die G9-Initiative hat nichts mit den aktuellen Problemen der Stadtteilschulen zu tun“, schrieb der Sprecher von „Wir wollen lernen" (WWL). Jede Verkoppelung dieser Thematik mit Verhandlungen über eine Rückkehr zu G9 wäre „von vornherein sachfremd“.
Scheuerl, der sein Mandat behält und nun fraktionsloser Abgeordneter der Bürgerschaft ist, will die neu gewonnene Freiheit nicht nutzen, um aktiv bei der G9-Volksinitiative einzusteigen. Das gehe allein deswegen nicht, so Scheuerl, weil die Meinungen zu G8 und G9 im WWL-Netzwerk, für das er weiterhin sprechen will, durchaus unterschiedlich sind. Aber der Rechtsanwalt, der die Initiative rechtlich beraten hat, rechnet mit einem Kompromiss zwischen Bürgerschaft und der Initiative. „Es muss eine praktikable Lösung her“, sagte Scheuerl und machte gleich einen Vorschlag: In jedem Bezirk sollten „zwischen einem und drei Gymnasien“ zum Schuljahr 2015 G9 anbieten. Dann könnten die Eltern im Rahmen der Anmelderunde für die weiterführenden Schulen selbst entscheiden, welchen Weg sie für ihre Kinder wollten. Einen solchen Vorschlag hatte auch die Grünen-Schulpolitikerin Stefanie von Berg schon vor Monaten unterbreitet.
Den Vorschlägen der CDU-Fraktion für einen Kompromiss im Abiturstreit waren intensive Gespräche mit der Initiative vorausgegangen, die aber diskret behandelt wurden. So hatten sich die Unions-Schulexperten Robert Heinemann und Karin Prien mit „G9-Jetzt-HH“-Sprecherin Mareile Kirsch und einer Mitstreiterin getroffen. Ziel der CDU war es, zu einer gemeinsamen Linie mit der Volksinitiative zu kommen. Doch nach Informationen des Abendblatts wollte Kirsch eine solche Einigung jedenfalls derzeit noch nicht. „G9-Jetzt-HH“ will zunächst mit der SPD-Fraktion verhandeln, auf die es wegen ihrer Bürgerschaftsmehrheit im Zweifel ja ohnehin ankommt.
Wie berichtet, will SPD-Fraktionschef Andreas Dressel beim Treffen mit der Initiative am morgigen Mittwoch seinerseits erstmals einen Kompromissvorschlag präsentieren. Um nicht gegenüber der SPD ins Hintertreffen zu geraten, entschloss sich die CDU Ende der vergangenen Woche dazu, in die Offensive zu gehen. Am Mittwochabend trafen sich der CDU-Landesfachausschuss Bildung und der Fraktionsvorstand im Rathaus, um den Kurswechsel festzuzurren. Bei diesem Treffen erfuhr Scheuerl zum ersten Mal von den konkreten CDU-Vorschlägen.
Christdemokraten vermuten, dass Scheuerls heftige Kritik an den CDU-Positionen auch auf verletzte Eitelkeit zurückzuführen ist. Mit dem Austritt aus der CDU-Fraktion haben sich für Scheuerl alle Hoffnungen zerschlagen, wieder auf CDU-Ticket für die Bürgerschaft zu kandidieren. Auch wenn es eine verbreitete Stimmung in der Union gegen Scheuerl gab, war eine erneute Kandidatur bis zuletzt nicht völlig ausgeschlossen. Fraktionschef Wersich verteidigte am Montag die Trennung von Scheuerl: „Das hilft der Klarheit unserer Position.“ Der Anwalt zeigte sich nicht enttäuscht über die Entwicklung: „Die Entscheidung von Herrn Wersich ist völlig vertretbar. Das nehme ich ihm nicht übel.“
Eine Zukunft Scheuerls in der FDP ist auch ausgeschlossen. „Das CDU-Modell ist nicht praktikabel, wie sich gezeigt hat“, sagte FDP-Fraktionschefin Katja Suding. Scheuerl selbst zeigt derzeit offenbar auch keine Neigung, eine eigene Partei zu gründen. Der CDU-Abgeordnete Wolfhard Ploog soll neuer Schulausschuss-Vorsitzender und damit Nachfolger von Walter Scheuerl werden. Das hat die CDU-Fraktion am Montagabend beschlossen.