Hamburg. Wir werden länger, mehr und effizienter arbeiten müssen. Aber wo ist der neue Franz Müntefering?
Die Rechnung, bitte. Nach den Jahren der biedermeierlichen Gemütlichkeit mit einer Mutti als Kanzlerin werden immer mehr Bürger der Wirklichkeit gewahr: In den vergangenen Jahren hat die Republik von der Substanz, ja auf Kredit gelebt – und nun ist die Selbsttäuschung vorbei.
Die Probleme türmen sich vor der Bundesregierung auf, die um ihren Job nicht zu beneiden ist. Das Startguthaben, das einst die rot-grüne Regierung Schröder 2005 hinterließ, ist komplett abgeräumt. Reformpolitisch steckt Deutschland brusttief im Dispo. In den kommenden Jahren werden nicht mehr Wohltaten verteilt, sondern auch Zumutungen.
„Die rentenpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre haben in eine Sackgasse geführt.“
Das gilt auch in einem Bereich, den Wahlkämpfer scheuen wie der Teufel das Weihwasser – die Rentenpolitik. Schon 2021 schrieb der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: „Die rentenpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre haben in eine Sackgasse geführt.“
Da ist zum einen das Problem der Kosten: Längst werden die Renten nicht mehr allein durch die Beiträge finanziert, sondern im wachsenden Maße durch den Steuerzahler: 1990 schoss der Bundeshaushalt bescheidene 15 Milliarden in die gesetzliche Rentenversicherung, 2005 waren es schon 54,8 Milliarden Euro und 2021 fast 79 Milliarden – im Jahr 2025 dürfte die 100-Milliarden-Marke geknackt werden. Und angesichts des demografischen Wandels ist klar – dieser Beitrag wird weitersteigen.
Die Rente mit 63 war ein Eigentor
Zugleich kommt ein weiteres Problem hinzu: der Fachkräftemangel. Inzwischen fehlen in allen Branchen Menschen, die anpacken. Zugleich hat die schwarz-rote Bundesregierung mit der Rente mit 63 das wohl größte Eigentor in einer eigentorreichen Zeit geschossen. Denn damit hat sich der Mangel mit einem Schlag vergrößert. Auch wenn das Bild des Dachdeckers, der mit 65 nicht mehr auf Gerüsten herumturnen soll, richtig war – wie viele Berufsbilder sehen heute noch so aus?
Jeder kennt andere Geschichten: Abschiede von Kollegen, die viel zu früh sind – für die Unternehmen, für die Volkswirtschaft, aber auch für sie. Langzeitstudien aus den USA und Israel zeigen, dass Menschen, die im Alter weiterarbeiten, unter weniger schweren Krankheiten leiden als Menschen im selben Alter im Ruhestand – und oft länger leben.
Rentenbezugsdauer hat sich fast verdoppelt
Vor 50 Jahren lag die Rentenbezugsdauer bei knapp zwölf Jahren, heute bei über 20 Jahren. Früher war die Rente als Lebensabend gedacht, heute beginnt sie oftmals schon am frühen Nachmittag. Aber welchen Sinn ergibt es, wenn sich Millionen auf der Couch zu Tode langweilen oder die Strandpromenaden rauf- und runterunlustwandeln?
Als Franz Müntefering 2006 Bundesarbeitsminister war, sagte er angesichts des demografischen Wandels und der längeren Lebenserwartung: „Da muss man kein Mathematiker sein, da reicht Volksschule Sauerland, um zu wissen: Wir müssen irgendetwas machen.“ Daraufhin führte er die Rente mit 67 ein.
Heute haben wir viele Politiker mit Hochschulabschluss, denen etwas Volksschule Sauerland nicht schaden würde. Andere Länder wie Dänemark sind längst weiter und planen die Rente mit 74. Auch wir müssen länger arbeiten. Aber das wird nicht langen: Wir müssen auch mehr arbeiten, um unseren Wohlstand zu wahren.
Die Alterung als Chance begreifen
In der Alterung liegt auch eine Chance – Deutschland ist früher als andere vom Fachkräftemangel betroffen und sollte Lösungen in der Rationalisierung, der Effizienzsteigerung und der Anwendung künstlicher Intelligenz suchen. Das schafft einen Mehrwert für alle. Vielleicht könnte auch eine Entbürokratisierung helfen, den öffentlichen Dienst von übermäßiger Arbeitslast zu befreien.
- Hamburger Kritiken: Kriegsbewegt und friedensvergessen
- Alle Parteien werben für die AfD – außer die AfD
- Gendern: Initiative sammelt 16.547 Unterschriften – Der Stern, der spaltet
Und auch wenn Volkswirte eine jährliche Nettozuwanderung von 500.000 Menschen als Lösung fordern – das wird das Problem nicht lösen. Natürlich benötigt Deutschland Zuwanderung – aber nicht im neokolonialen Stil: Zu glauben, die Fachkräfte, die dann in ihrer Heimat fehlen, würden mit Kusshand unseren Lebensstandard im Alter halten und dafür auch noch kräftig Steuern zahlen wollen, ist weltfremd. Genauso weltfremd, wie solche Zahlen in den Raum zu rufen, ohne die Integration im Blick zu haben.
Aber wo ist der Münte, der den Menschen die Wahrheit erzählt? Ich bin mir sicher: Viele Menschen hätten damit überhaupt kein Problem