Hamburg. Die Koalition macht zu viele Fehler – und die Union beschäftigt sich am liebsten mit sich selbst. Ein Kommentar.
Der Pop-Anarchist Rio Reiser landete 1986 einen schönen Hit mit seinem Song „König von Deutschland“. Darin macht er sich Gedanken, was er als gekröntes Staatsoberhaupt so tun würde: „Im Fernseh’n gäb es nur noch ein Programm/Robert Lembke 24 Stunden lang/Ich hätte zweihundert Schlösser/Und wär’ nie mehr pleite/Ich wär’ Rio I., Sissi die II.“
Auch als überzeugter Antimonarchist wüsste ich, was als König zu tun wäre: keine Umfragen mehr. Nirgends.
Umfragen befeuern die AfD: Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg
Zum einen wäre damit der Politikstil des vergangenen Jahrzehnts, dieses Regieren nach Zahlen, diese Schwerpunktsetzung nach Stimmungen, diese Demokratie der Demoskopen, endlich vorbei. Vor allem aber entfiele die tagtägliche Aufregung über einen Umfragerekord nach dem nächsten für die AfD. Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg. Börsianer kaufen Aktien, die steigen. Und schlecht gelaunte Deutsche wählen AfD – zumindest, wenn die Umfrageinstitute am Apparat sind.
Immerhin gibt es den ein oder anderen Grund für schlechte Laune: Abgesehen von der AfD machen derzeit alle Parteien Werbung für die AfD.
Das Heizungsgesetz – ein politisches Armutszeugnis
Beginnen wir mit der Koalition in Berlin. Natürlich ist das Argument richtig, dass Regieren in schlechten Zeiten des Krieges schwieriger ist als in guten Zeiten des Friedens. Aber diese Ausrede währt nicht ewig: Ein Heizungsgesetz, das erst das Land auf Zinne bringt, dann notdürftig geflickt und schließlich vom Bundesverfassungsgericht aufgehalten wird, ist ein Armutszeugnis.
Sozialdemokraten, Liberale und Grüne kommen auf den großen Baustellen nicht voran: Streit ersetzt keine Politik, ein Scharmützel keine Problemlösung. Die wirkliche Aufgabe haben alle drei Parteien überhaupt noch nicht realisiert: Deutschland befindet sich in der tiefsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten – und diese Rezession ist nicht konjunkturell, sondern strukturell bedingt.
Keiner kümmert sich um das zentrale Thema: den ökonomischen Niedergang
Nur will das keiner sehen oder hören. Früher war die steigende Arbeitslosigkeit ein Weckruf für die Politik – angesichts des demografischen Wandels ist dieser Wecker kaputt. Und Deutschland schläft weiter. Dabei ist es ein ökonomisches Kunststück, trotz eines Bevölkerungszuwachses 2022 von 1,5 Millionen oder fast zwei Prozent in einer Rezession zu stecken.
Jede Zahl, die aus der Wirtschaft kommt, ist verheerend, die Stimmung auf Mehrjahrestief. Der Wirtschaftsminister kümmert sich um Wärmepumpen, die Koalition um Kindergrundsicherung oder das Selbstbestimmungsgesetz zur freien Wahl des Geschlechtes. Man darf bezweifeln, dass damit Wähler, die den sozialen Abstieg fürchten, überzeugt werden.
Die CDU sucht ihren Kurs – und findet ihn nicht
Normalerweise schlägt da die Stunde der Opposition. Doch statt mit der Regierung um den richtigen Weg aus der Krise zu ringen, prügeln sich die CDU-Granden lieber untereinander. Friedrich Merz reagiert zunehmend angefasst auf das Grollen in der Partei: Hendrik Wüst, seit 21 Monaten Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, fühlt sich offenbar zu Höherem berufen, Daniel Günther geht es ähnlich.
Beide stänkern munter. Die Partei ist eingemauert zwischen einem Merkel-Flügel, der sich nur in drei Buchstaben von den Grünen unterscheidet, und einem konservativen Flügel, der sofort in der Öffentlichkeit gestutzt wird, wenn er sich bewegt. Mittendrin in diesem Kerker sitzt Friedrich Merz – und findet nicht heraus.
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Dabei sollte auch die Linken im Land begreifen, dass eine leichte Verschiebung der Union nach rechts der AfD mehrere Prozent abnehmen kann – und in der liberalen Mitte dafür Wähler für die linken Parteien freisetzt. Der Demokratie wäre damit auf jeden Fall geholfen.
Ist am Ende Markus Söder der Hoffnungsträger?
Vielleicht wäre ein Markus Söder am Ende für die Union die bessere Lösung. Er ist die personifizierte Riesenkoalition, weil er sämtliche politische Positionen in einer Person vereint. Söder ist mal gegen, mal für die Atomkraft, plädiert mal gegen, dann für Zuwanderung, will mal mit, dann gegen die Grünen regieren. Derzeit hat die Union keinen anderen Hoffnungsträger.
Das ist zugleich für Olaf Scholz ein Quell der Hoffnung – wie 2021 könnte er 2025 mangels echter Alternative für Deutschland Kanzler bleiben. Bis dahin muss er sich nur noch entscheiden, ob er Angela Merkels Schlafwagenkurs beibehalten möchte – oder endlich auf einen mutigen Reformkurs à la Gerhard Schröder einschwenkt. Nicht, dass sich die Menschen am Ende einen König wünschen.