Nach dem Angriff mit zwei Toten in der Regionalbahn: Wie die Justizminister versuchen, Vertrauen in den Rechtsstaat zurückzugewinnen.

Dieser Fall legte wie kaum ein anderer offen, was in staatlichen Institutionen schiefläuft. E-Mails sind im Nirwana behördlicher Postfächer verschwunden, Meldungen wurden nicht weitergereicht, Ämter verzichteten darauf, sich zu informieren, eine Bundesbehörde war nicht in der Lage, Briefe zuzustellen, trotz einer schweren Verletzung nach einem Messerangriff meinte ein Amtsrichter, ein Jahr Haft sei genug für den Täter; aus der Haft wird dieser gewalttätige und drogenabhängige Insasse unvorbereitet nach dem Jahr wieder vor die Tür gesetzt. Und, als wäre es nicht genug, meldete die JVA Billwerder diesen Mann erst Tage später als aus der Haft entlassen. Nur: Da saß der längst wieder ein, nachdem er in einer Regionalbahn von Kiel nach Hamburg eine 17-Jährige und ihren 19 Jahre alten Freund erstochen und mehrere andere Fahrgäste lebensgefährlich verletzt hatte.

Die „Bluttat von Brokstedt“ hat alles, das Vertrauen in den Rechtsstaat nachhaltig zu erschüttern. Fehler reiht sich an Fehler – im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, in nordrhein-westfälischen Behörden, im Ausländeramt in Kiel und im Zuständigkeitsbereich der Hamburger Justizbehörde. Zumindest aber haben Hamburg und Schleswig-Holstein den Fall, wie es scheint, in den Wochen danach schonungslos aufgearbeitet. Fehler ermittelt, sie eingestanden, Konsequenzen gezogen.

Justizministerkonferenz: Was jetzt passieren soll

So soll die Behördenkommunikation nachhaltig verbessert und Bahnhöfe wie Züge stärker überwacht werden. Es gibt Initiativen, Waffenverbotszonen zu schaffen. Angedacht, wenn auch noch nicht beschlossen, ist, den Strafrahmen zu erhöhen, um Angriffe mit Messern härter bestrafen zu können – der Täter von Brokstedt hatte seine Opfer mit einem handelsüblichen Messer angegriffen.

Nicht nur Behörden und Politik haben geliefert. Die Polizei hat die Tat zügig zu Ende ermittelt und an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Die wiederum hat den Fall innerhalb von drei Monaten zur Anklage gebracht, sodass in wenigen Wochen der Prozess gegen Ibrahim A. starten kann. Das Tempo, das Politik und Justiz vorgelegt haben, könnte helfen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Was wurde beschlossen? Die Länderjustizminister haben Ja gesagt zu Forderungen aus dem Norden, die schon längst eine Selbstverständlichkeit sein sollten. So soll eine bundesweite Datenbank zum besseren Austausch der beteiligten Behörden aufgebaut werden, in die alle strafrechtlichen Ermittlungen gegen Ausländer wie den staatenlosen Palästinenser Ibrahim A. einfließen und die die neuen Daten automatisiert an alle beteiligten Ämter ausspielt. Ziel ist, menschliche Fehler wie im Fall Brokstedt zu minimieren.

Welche Daten den Behörden fehlen

Dann sollen, so stand es in dem zweiten Antrag von Hamburg und Schleswig-Holstein, alle „strafrechtlich relevanten Informationen an die Justizvollzugsanstalten“ zeitnah übermittelt werden. Auch das klingt nach einer Selbstverständlichkeit.

Schließlich soll bundesweit ermittelt werden, wie sich die Zahl der Messerangriffe entwickelt hat und wie die Täter bestraft wurden. Auch diese Daten gibt es bislang nicht, bis Herbst sollen sie vorgelegt werden. Diese Erhebung dürfte die Grundlage sein, den Strafrahmen für Körperverletzungen speziell mit der Alltagswaffe Messer zu erhöhen. Der Beschluss der Justizminister ist übrigens nicht bindend für den Gesetzgeber, er ist mehr ein parteiübergreifender Appell. Aber die Aufarbeitung des „Falls Brokstedt“ hat auch gezeigt: Das Versagen der Behörden ist kein Pro­blem allein nur von Hamburg und Schleswig-Holstein. Es ist ein bundesweites.