Das Thalia Theater in Hamburg kündigt die Uraufführung des branchenweit heiß erwarteten Romans „Noch wach?“ an.

  • Theater-Coup in Hamburg: Roman über Döpfner und Springer ab September auf der Bühne
  • Thalia-Intendant Joachim Lux spricht von „idealem Stoff“
  • Vorverkauf für die Premiere am 8. September läuft bereits

Hamburg. „So viel Gegenwart wie nie“, verspricht Thalia-Intendant Joachim Lux für die kommende Spielzeit. Und öffentlichkeitswirksamer hätte er sich die Umsetzung dieses Credos kaum wünschen können. Dem Hamburger Theater ist für seine Saisoneröffnung ein echter Coup gelungen: Benjamin von Stuckrad-Barres derzeit streng geheim gehaltener neuer Roman „Noch wach?“, der am 19. April erscheint, kommt auf die Bühne.

Das Thalia Theater bringt den heiß erwarteten Titel, der als eine Art Schlüsselroman über den Springer-Medienkonzern gehandelt und von einer beispiellosen PR-Kampagne begleitet wird, zur zur Uraufführung. Inszenieren wird ihn der Regisseur Christopher Rüping, der am Thalia Theater unter anderem das Stuckrad-Barre-Buch „Panikherz“ über Udo Lindenberg knallig und kongenial adaptiert hatte. Die Premiere ist am 8. September.

Thalia-Intendant Joachim Lux sieht im Roman über Döpfner idealen Stoff

Und die Gegenwart sorgt für die entsprechende Aufmerksamkeitsmaschinerie. Verlässlich gelangen immer neue Ungeheuerlichkeiten aus dem Hause Axel Springer ans Licht: „Die ossis sind entweder Kommunisten oder faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig“, zitierte die „Zeit“ erst am Donnerstag angebliche Äußerungen des Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner.

Fast wirken die saftigen Enthüllungen wie ein weiteres Kapitel der Stuckrad-Barre-Begleitkampagne. Für seinen Roman hatten zuletzt rund 70 Prominente (darunter Schriftsteller, Moderatorinnen, Musiker und Schauspieler wie Jan Delay, Martin Suter, Christian Ulmen, Igor Levit, Caren Miosga, Ina Müller und Linda Zervakis) in Instagram-Clips die Werbetrommel gerührt.

Das Thalia Theater dürfte den Rummel mehr als zufrieden registrieren. Immerhin hat der Vorverkauf bereits begonnen – für ein Stück, dessen literarische Vorlage nicht einmal erschienen ist. Die sei aber „sehr gut“, versichert Joachim Lux, der den Roman als einer der wenigen Geheimnisträger bereits lesen durfte.

Er sieht darin nicht nur den idealen Stoff für eine Medienstadt, sondern auch „die Geschichte einer trügerischen Männerfreundschaft wie zwischen Tasso und Antonio“, gemeint sind der Dichter und der Staatsmann in Goethes „Torquato Tasso“.

Stuckrad-Barre und Döpfner verband eine Männerfreundschaft

Dass Stuckrad-Barre und Döpfner einst ebenfalls eine Männerfreundschaft verband, ist kein Geheimnis. Sogar in der Hamburger Theatergeschichte findet sich diese wieder: Zum 100. Geburtstag von Gründer Axel Springer hatte der Autor dem Verlag 2012 eine Bühnenrevue gedichtet, für die auch Döpfner (von Ulrich Waller inszeniert, am St. Pauli Theater gezeigt) persönlich auf der Bühne stand. Tempi passati.

Stattdessen druckt mittlerweile die „New York Times“ private Kurznachrichten, die der eine (Döpfner) an den anderen (Stuckrad-Barre) schrieb. Das gegenüber Mitarbeiterinnen übergriffige Verhalten des einstigen „Bild“-Chefs Julian Reichelt soll der Schriftsteller zudem gegenüber dem Verlagsmanager kritisiert haben. „Noch wach?“, Stuckrad-Barres Buchtitel und nun ebenfalls der Titel des Thalia-Theaterstücks, zitiert eine entsprechende nächtliche Reichelt-SMS.

Mit einem Erdbeben beginnen und dann langsam steigern – diese (journalistische) Faustregel ist nach dem vielversprechenden Spielzeitauftakt nicht mehr so einfach zu erfüllen. Tatsächlich hält der Spielplan aber noch eine ganze Reihe an potenziellen Perlen bereit: Ende September ist mit der Dramatisierung von Elena Ferrantes „Meine geniale Freundin“ ein weiterer (in diesem Fall internationaler) Bestseller angekündigt.

Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre
Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre © picture alliance/dpa | Annette Riedl

Spielplan hält noch eine ganze Reihe an potenziellen Perlen bereit

Die polnische Regisseurin Ewelina Marciniak, die am Thalia schon die Romanadaptionen „Der Boxer“ von Szczepan Twardoch und „Die Jakobsbücher“ von Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk auf die Bühne brachte, wird die Inszenierung übernehmen. Eine weitere Literaturnobelpreisträgerin folgt schon im Oktober: Charlotte Sprenger wird mit „Sonne/Luft“ in der Gaußstraße erstmals einen Text von Elfriede Jelinek inszenieren. „Wenn uns die Natur egal ist, sind wir der Natur irgendwann egal – das ist grob der Stoff, um den es sich handelt“, skizziert Joachim Lux.

Amir Reza Koohestani, einer der bekanntesten Theaterregisseure Irans, plant, ebenfalls für die Gaußstraße, die Produktion „Dantons Tod Reloaded – Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit“. Im November kehrt dann Michael Thalheimer mit einer großen Kafka-Inszenierung zurück ans Thalia Theater: „Der Prozess“ – überpünktlich zu Kafkas 100. Todestag im Juni 2024.

Der Japaner Toshiki Okada, dessen Überraschungserfolg „Doughnuts“ 2022 zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, bringt mit „No Horizon“ einen frischen Text in die Gaußstraße (Premiere ist im Dezember), bevor dort im Januar ein schwedischer Regisseur sein Thalia-Debüt gibt: Mattias Andersson, Intendant des Stockholmer Dramaten, kümmert sich (fast ist es zu naheliegend) um den Ingmar-Bergman-Film „Schande“.

Auf der großen Bühne gibt es ein Wiedersehen mit Hauses Luk Perceval

Auf der großen Bühne gibt es ein Wiedersehen mit dem einstigen Oberspielleiter des Hauses, Luk Perceval. Nach längerer Hamburg-Pause hat sich der „Meister der Fallada-auf-die-Bühne-Bring-Kunst“ (O-Ton der Thalia-Dramaturgin Julia Lochte) diesmal für dessen Gesellschaftsporträt „Wolf unter Wölfen“ entschieden.

Die Hamburger Regisseurin Jette Steckel, die mit ihren eindrücklichen Dramatisierungen der Nino-Haratischwili-Romane gewissermaßen zur Osteuropa-Spezialistin wurde, entwickelt erneut einen großen und ensemblestarken Stoff: Michail Bulgakows Jahrhundertroman „Meister und Margarita“ behandelt die Leitfrage, wie das Böse in die Welt kommt.

Und Johan Simons erzählt nach „Deutschstunde“, „Schimmelreiter“ und Dostojewskis „Idiot“ diesmal das Barockdrama eines spanischen Autors. „Das Leben ist ein Traum“ von Pedro Calderón de la Barca feiert im März Premiere. Die israelische Regisseurin Yael Ronen bringt im Mai ihr neues Stück „State of Affairs“ zur Uraufführung, Anne Lenk (deren aktuelle Tschechow-Premiere „Drei Schwestern“ gerade kurz bevor steht) widmet sich mit Lessings „Emilia Galotti“ der Aufklärung.

So richtig Glamour versprechen die Ankündigungen der internationalen Gastspiele

Und so richtig Glamour versprechen die Ankündigungen der internationalen Gastspiele: Mit Simon McBurney kommt im Oktober ein Star des britischen Theaters, mit „In the Solitude of Cotton Fields“ kündigt sich sogar Hollywood an.

John Malkovich, der in Hamburg zur Eröffnung der Elbphilharmonie schon einmal Theater spielte, ist in der Inszenierung des russischen und nach Lettland geflüchteten Regie-Shootingstars Timofey Kulyabin zu sehen. Diese Deutschlandpremiere (auf Englisch mit Übertiteln) spiegelt zwar mindestens in der internationalen Besetzung die Gegenwart, liegt aber dennoch ein ganzes Stück in der Zukunft: Malkovich gastiert hier erst im April 2024.