Hamburg. Cum-Ex ist ein Skandal – aber die Politiker sind nur Randfiguren. Banker und Berater waren die Gangster.

Glücklich das Land, das solche Politikskandale hat: Bundeskanzler Olaf Scholz musste sich am Freitag zum zweiten Mal den Fragen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses stellen. Über mehrere Stunden ging es darum, was 2016 und 2017 in den Gesprächen mit dem Warburg-Banker Christian Olearius besprochen wurde. Auch Bürgermeister Peter Tschentscher saß schon mehrere Stunden auf dem heißen Stuhl.

Es ist viel gesprochen worden, immer wieder tauchen neue Verdächtigungen, Unterstellungen, Zuspitzungen auf, ständig gibt es neues Geraune und vermeintlich superexklusive Nachrichten, die oft nur ein Ziel kennen: das Feuer am Köcheln zu halten. Bislang aber fehlt, was für eine Verurteilung nötig ist – eine belastenden Zeugenaussage. „Es gibt keine Erkenntnisse darüber, dass es eine politische Beeinflussung gegeben hat“, hatte Olaf Scholz, ganz Jurist, selbst erklärt.

Ein richtiger Beweis fehlt bis heute

Genau dieser Beweis, die Smoking Gun, fehlt bis heute. Auch wenn seine Gedächtnislücken albern sind – natürlich sollte es Thema der Hamburger Politik gewesen sein, wenn das für die Stadt systemrelevante Bankhaus Warburg in Schieflage gerät. Ob das Eintreiben der Steuerschuld in Höhe von 47 Millionen die Existenz gefährdet hätte, darf bezweifelt werden. Aber es muss von einem Bürgermeister erwartet werden, dass er mit den Betroffenen spricht, ohne Einfluss auf die Finanzverwaltung zu nehmen.

Werfen wir den Blick zurück: 2016 konnte niemand sicher wissen, dass Cum-ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung gewertet werden – das entschied der Bundesgerichtshof erst im vergangenen Jahr. Was wäre los gewesen, wenn es ganz anders gekommen wäre? Wenn das Bankhaus wegen einer Steuerrückforderung, die auch hätte falsch sein können, gekippt wäre? Gäbe es dann einen Untersuchungsausschuss, vielleicht mit dem Vorwurf, dass Tschentscher und Scholz Warburg nichts taten?

Konzentration auf Scholz und Tschentscher lenkt ab

Nach den zahlreichen Schlagzeilen geht bei vielen Menschen inzwischen einiges durcheinander. Sie glauben, Peter Tschentscher und Olaf Scholz hätten persönlich profitiert – sie haben nicht einmal einen Massagesessel, auf denen sich manche Journalisten zu bequem eingerichtet hatten. Und auch der Staat hat sämtliche Steuern bekommen, die fällig waren.

Die Konzentration auf Scholz und Tschentscher in der Cum-Ex-Affäre ist nicht nur übertrieben, sie lenkt von einem viel größeren Skandal ab. Es geht hier nicht um Hamburger Klüngel, sondern um internationalen Steuerbetrug. Die Cum-Ex-Geschäfte, der Handel mit Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch, hatten nur einen Zweck: Es ging darum, sich mehrfach Kapitalertragssteuer erstatten zu lassen, die nur einmal bezahlt worden war. Damit machten Dutzende Banken, vermögende Anleger und eine Heerschar von Beratern einen Riesenreibach. Viele Institute sind beteiligt, mittenmang dabei die staatlichen Landesbanken. Auch viele ausländische Banken griffen gern und gierig ins deutsche Steuersäckel.

Niemand kennt den früheren Maple-Bankchef

Haben Sie jemals von der Maple-Bank gehört? Das drollige Kreditinstitut hatte außer Cum-Ex offenbar wenig im Angebot: Die deutschen Steuerbehörden forderten vom Institut wegen Cum-Ex 450 Millionen Euro an Steuern. Weil das Eigenkapital der Bank deutlich niedriger war, ist die Bank insolvent. Der damalige Bankchef steht längst vor Gericht. „Insgesamt entstand dem Fiskus allein im Tatzeitraum ein Schaden in Höhe von 388.557.251,30 Euro“, heißt es in der Anklageschrift.

Die internationale Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer hatte für die unsauberen Geschäfte ihr Go gegeben. In der Öffentlichkeit aber kennt niemand den früheren Maple-Bankchef Wolfgang Schuck, aber alle kennen Christian Olearius. Dessen Tagebücher, die aus der Asservatenkammer des Landeskriminalamts in Düsseldorf ihren Weg in die Öffentlichkeit fanden, sind inzwischen so offen wie ein Telefonbuch. Auch ein Angeklagter muss sich auf den Rechtsstaat verlassen können.

Cum-Ex: Rolle der Lobbyisten sollte im Fokus stehen

Dazu gehört auch, die Maßstäbe zu wahren. Cum-Ex benötigt noch viele Recherchen und Untersuchungsausschüsse – dann sollte es endlich um die Rolle der Lobbyisten, der internationalen Hochfinanz und der Berater gehen. Solange alle Kameras auf Scholz und Tschentscher gerichtet sind, können sie sich wunderbar weiter verstecken.