Hamburg. Die neuen Streiks bei Bahn und Airports schießen übers Ziel hinaus. So machen sich Ver.di und EVG bei vielen Bürgern keine Freunde.

Zunächst einmal sei klargestellt: Ich habe nichts gegen Gewerkschaften. Im Gegenteil. Schon seit mehr als 30 Jahren bin ich selbst Mitglied in einer. Insofern habe ich eine grundsätzliche Sympathie dafür, wenn sich die Vertreter der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern dafür starkmachen, die berechtigten Interessen ihrer Klientel zu vertreten. Ebenso klar ist, dass das Lohnniveau in Deutschland angesichts der hohen Inflation nicht einfach stagnieren kann.

Gerade Beschäftigten in mäßig bezahlten Berufen fällt es immer schwerer, in Metropolen wie Hamburg ihren normalen Lebensunterhalt zu bestreiten. Fast überall sind Preise gestiegen, wurden Mieten und Nebenkosten erhöht, kamen neue Belastungen hinzu. Während die regionale Inflationsrate in Hamburg in der ersten Hälfte 2021 noch zwischen 1,6 und 2 Prozent lag, stieg sie schon in der zweiten Hälfte auf bis zu 4,7 Prozent an.

Inflation nach wie vor hoch, obwohl Energiepreise sinken

2022 wurde es dann mit dem russischen Angriff auf die Ukraine noch extremer, Vorjahresmonatsvergleiche zeigten an Alster, Bille und Elbe einen Anstieg von 5 bis 8,5, bundesweit sogar bis zu 8,7 Prozent. Für März 2023 notieren Statistiker eine Teuerungsrate von immerhin noch 7,4 Prozent, obwohl sich bereits abzeichnete, dass die Strom- und Gaspreise ebenso wieder fallen wie die Kosten für Heizöl und Diesel. Benzin allerdings bleibt bislang teuer wie selten zuvor. Wer nun, wie die Gewerkschaften Ver.di und EVG, in anstehenden Tarifverhandlungen um angemessene Lohnerhöhungen kämpft, hat also durchaus gute Argumente.

Allerdings: Es wird nicht möglich sein, jeder und jedem einfach mal einen kompletten Inflationsausgleich plus noch eine Schippe extra zu zahlen, ohne mittelfristig eine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen. Die Inflation verfestigt sich, die Leitzinsen müssten weiter steigen. Denn sind die fixen Löhne und Gehälter erst einmal erhöht, hebt dies das Kostenniveau im Land auf ein neues Level.

Was angemessen ist und was nicht, wird allerdings noch höchst unterschiedlich beurteilt. Wirtschaftsforscher von DIW und IW sehen, bezogen auf Großbetriebe, in seltener Einigkeit bislang ebenso wie Gewerkschaften eher eine Gewinn-Preis-Spirale und einen Anstieg der Produktivität und Profitabilität bei Unternehmen. Diese haben demnach oft ihre Margen stärker erhöht, als nötig gewesen wäre.

Für die Bahn und die Mitglieder im Bundesverband der Luftsicherheitsunternehmen gilt das allerdings nicht. Deshalb zieren sich beide, im aktuellen Tarifkonflikt Vorschläge zu machen, die den Gewerkschaften noch weiter entgegenkommen. Die Folgen sind mal wieder unangenehm, vor allem für die Bürger: Wer vor dem Wochenende große Reisepläne hatte, muss sich wohl davon verabschieden. Oder, falls möglich, aufs Auto umsteigen. Bahn-Pendler haken den Freitag am besten ganz ab.

In Hamburg Bahn und Luftverkehr zeitgleich lahmgelegt

Zeitgleich den Bahn- und den Luftverkehr lahmzulegen hat schon einen Hauch von Generalstreik. Erstaunlich, dass dies von den Gewerkschaften so gar nicht geplant war. Man habe sich bloß „im Vorfeld nicht abgesprochen“, heißt es. Viele Menschen, nicht nur in Hamburg und Umgebung, werden dafür nur wenig Verständnis aufbringen.

Es ist zwar nachvollziehbar, dass mit relativ kleinem Einsatz größtmögliche Aufmerksamkeit erzeugt werden soll. Aber bitte: Ist es zu viel verlangt, dass sich Ver.di und EVG mal unterhalten und nicht zwei wichtige Verkehrsträger zum selben Termin lahmlegen? Das zumindest sollten autonome Tarifpartner hinbekommen im für alle nicht ganz einfachen Jahr 2023.