Hamburg. Geschlossene Kitas sind ärgerlich für Eltern. Doch die streikenden Erzieher fordern Wichtiges – eine Zukunft für ihren Berufsstand.
Erst war Lockdown. Dann Erkältungsinfekt. Dann ein eingeschränktes Angebot aufgrund von Personalmangel. Wieder Lockdown. Noch mehr Infekte, noch mehr krankes Personal, Quarantänen und zuletzt vermutlich auch einmal Corona. Oder Scharlach. Oder Mittelohrentzündung.
Nein, Eltern von Kita-Kindern hatten es in den vergangenen zwei Jahren wahrlich nicht leicht. Es gab ständig einen Grund, weshalb der Nachwuchs zu Hause bleiben und die Arbeit irgendwie um die Betreuung herum organisiert oder – ebenfalls sehr unbefriedigend und mental sehr stressig – mithilfe von Kinderkrankentagen aufgeschoben werden musste.
Kita-Streik: Der zweite in diesem Jahr
Hinzu kommen noch geplante Schließtage für Fortbildungen und Ähnlichem. Am Mittwoch blieben nun erneut zahlreiche Kitas geschlossen oder konnten nur eine Notbetreuung anbieten, weil das Personal streikt. Und wohlgemerkt, das bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr. Muss das wirklich sein? Leider ja. Denn auch die Streikenden sind am Limit.
Dabei geht es nicht einfach nur um mehr Geld für Erzieher und weitere Beschäftigte aus Kitas und der schulischen Ganztagsbetreuung. Es geht um die Zukunft des gesamten Berufsstandes – und damit um die unserer Kinder. Nach Angaben von Ver.di fehlen in Hamburg bereits jetzt rund 4000 Fachkräfte, bundesweit seien es rund 173.000.
Deutlich steigende Belastung für Erzieher
Doch das ist nur der Anfang. Das Hauptproblem ist, dass viele, die neu in dem Beruf anfangen, nicht lange durchhalten: Ein Viertel der Berufsanfänger steigt laut der Gewerkschaft nach spätestens fünf Jahren aus und sucht sich etwas anderes. Ein erschreckend hoher Anteil. Angesichts der Diskrepanz zwischen dem Anspruch, mit dem Menschen in diesen Beruf gehen, und der dann oftmals vorherrschenden Arbeitsbedingungen im Alltag aber auch nicht wirklich überraschend.
In den vergangenen zwei Jahren ist die Belastung noch einmal deutlich gestiegen. Gerade Kita-Erzieher waren und sind dem Infektionsrisiko – die Kinder sind nicht geimpft und tragen keine Masken – sprichwörtlich schutzlos ausgeliefert. Dass sie mit am schwersten unter der Pandemie zu leiden haben, belegt ein Report der Barmer. Der Krankenstand in der Branche lag im Jahr 2020 bei 7,3 Prozent – der Durchschnitt sind 4,4.
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Doch nicht nur die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage wegen einer Covid-Erkrankung war überdurchschnittlich hoch. Jeder dritte Fehltag bei den Erziehern war laut Barmer auf eine seelische Erkrankung wie Depression oder Burn-out zurückzuführen.
Für Kinder verantwortlich zu sein ist ohnehin schon fordernd. Es ist kein Bürojob. Dabei auch noch Hygienekonzepte umzusetzen und den Wegfall erkrankter Kollegen aufzufangen verschärft den Druck, der aufgrund des oben beschriebenen Fachkräftemangels ohnehin schon besteht.
Nicht nur unattraktiv, sondern auch ungesund
Unter diesen Voraussetzungen auch noch Nachwuchskräfte in der Praxis auszubilden, hochwertige pädagogische Arbeit vor- und nachzubereiten und zu dokumentieren – das ist kaum möglich. Weshalb viele Beschäftigte diese Arbeit noch in ihrer Freizeit erledigt haben.
So ist ein Beruf nicht nur unattraktiv, es sind Arbeitsbedingungen, die krank machen, die Berufseinsteiger abschrecken und die vor allem zulasten unserer Kinder gehen. Dass der erneute Streik nun in diese Zeit fällt, in der man froh über jeden Tag ist, an dem die Kinder in die Kita gehen können, ist unvermeidlich. Zumal die Verhandlungen schon im März 2020 angestanden hätten, wegen Corona aber verschoben wurden. Die Dringlichkeit der Lage erlaubt keinen weiteren Aufschub.