Auch nach Gaddafi droht der Bürgerkrieg. Und der Westen hat kein Konzept.
Ein rauschendes Fest sollte es werden am 1. September, wenn sich die Machtergreifung Muammar al-Gaddafis zum 42. Mal jährt. Es ist nicht auszuschließen, dass der "Bruder Führer" dieses Jubiläum dann schon im Exil oder gar im Gefängnis begehen muss. Nun ist die Gefechtslage im libyschen Bürgerkrieg fließend, doch es darf als gesichert gelten, dass sich die Herrschaft des Despoten von Tripolis stark dem Ende zuneigt.
Mit dem Sturz Gaddafis, der bereits länger als alle anderen Herrscher des Kontinents an der Macht ist, sind die Probleme Libyens dann aber noch lange nicht gelöst. Zum einen ist Libyen eine Stammesgesellschaft. Zwischen den Clans etwa in Bengasi und jenen in Tripolis herrscht traditionell eine erbitterte Rivalität, die Gaddafi geschickt instrumentalisierte.
Der irrlichternde Revolutionsführer hat die relative Ruhe im Lande jahrzehntelang mit eiserner Faust garantiert und jedes Aufbegehren im Keim erstickt. Nach dem Ende seines Regimes könnte sich der Bürgerkrieg in anderer Form fortsetzen, wenn die Stämme um einen Platz an der Sonne der Macht kämpfen.
Doch Libyen droht noch eine weitere Gefahr. Am 28. Juli wurde Generalmajor Abdel Fatah Younis ermordet, der frühere Innenminister Gaddafis, der zu den Rebellen übergelaufen war und ihre Streitkräfte seitdem anführte. Er war überraschend per Haftbefehl zu einem Verhör von der Front in Brega abgezogen worden. Vor dem Verteidigungsministerium in Bengasi wurde er erschossen - offenbar von Mitgliedern der Ubeida Ibn Jarrah Brigade, benannt nach einem Gefährten und Heerführer des Propheten Mohammed. Diese Miliz soll enge Bindungen an militante Islamisten, möglicherweise gar al-Qaida haben. Die Ermordung von Younis, der als Mann des Ausgleichs galt, ist ein Alarmsignal. Denn der regierende Übergangsrat, den auch die Bundesrepublik etwas voreilig anerkannt hat, wusste angeblich gar nicht, warum man ihren erfahrensten Kommandeur vorgeladen und wer eigentlich den Haftbefehl ausgestellt hatte.
Die Rebellentruppe ist untereinander zerstritten - und durchsetzt mit Islamisten, die längst begonnen haben, der Zukunft eines libyschen Gottesstaates zuzuarbeiten. Und es sind die Islamisten, die die Rebellen zu immer unnachgiebigeren Positionen treiben. Vor wenigen Tagen erst warf ein Rebellenemissär einen Schuh auf einen tunesischen Regierungsvertreter bei Gesprächen in Tunis. Der Mann hatte es gewagt, eine Vereinbarung mit Gaddafi vorzuschlagen, um das Blutvergießen zu beenden. Ein Schuhwurf stellt bekanntlich eine tödliche Beleidigung im arabischen Raum dar.
Mit dem erfolgreichen Eindringen der Rebellen in Tripolis ist die Gefahr weiterer Gefechte noch lange nicht gebannt. Falls Gaddafi, der sich stets als äußerst starrsinnig erwiesen hat, auf einem Endkampf besteht, vermag er seinem Volk noch entsetzliches Leid zuzufügen. Häuserkampf ist die furchtbarste aller infanteristischen Kampfarten. Jede Gebäuderuine, jeder Geröllhaufen wird zu einem killing field, einem Ort des Todes. Und die Nato, die bislang bei klarer Frontlage freies Schussfeld hatte, wird in dicht besiedeltem Wohngebiet und militärischer Gemengelage aus der Luft kaum noch helfen können. Hohe Verluste an zivilen Opfern würden den Grundauftrag der Nato ab absurdum führen.
Die westliche Allianz, die mit ihren massiven Bombardements den Vormarsch der Rebellen erst ermöglichte und die dabei das von der Uno erteilte Mandat zum Schutz von Zivilisten weit überzog, wird nach einem Sturz Gaddafis erst recht in der Verantwortung für das weitere Schicksal Libyens stehen. Doch was wird das Bündnis unternehmen, wenn es feststellen muss, dass radikal antiwestliche Kräfte in Tripolis an die Macht drängen? Wird sie dann Bomben auf die ehemaligen Rebellen werfen?