Hamburg. Die Berliner Sängerin berührte vor ausverkaufter Kulisse 7000 Fans mit Gefühlschaos – und Flammensäulen. Deutschpop auf den Spuren Nenas

Am 18. September beginnt wieder das Reeperbahn Festival: Luft holen, sich in das Kiez-Dedränge werfen und nach zukünftigen Pop-Perlen tauchen. Die kommenden Stars erleben, wenn sie noch keiner kennt. Und die dann viele Jahre später in der ausverkauften Sporthalle singen wie Lea am Sonnabend. 

Die aus Kassel stammende Wahlberlinerin war bei ihrem Reeperbahn-Festival-Debüt 2016 in Angie’s Nightclub eigentlich nur YouTube-Trüffelschweinen bekannt, die auf ihre Piano-Pop-Lieder gestoßen sind – Lea alias Lea-Marie Becker war 2008, als sie ihren Song „Wo ist die Liebe hin“ hochlud, mit 15 Jahren eine der ersten deutschen Künstlerinnen, die das damals noch ziemlich neue Portal gut zu nutzen wussten. 

Lea in Hamburg: Von YouTube-Videos zum Liveduett mit Herbert Grönemeyer

Aber nach dem noch unbeachteten ersten Album „Vakuum“ 2016 und dem umso erfolgreicheren Nachfolger „Zwischen meinen Zeilen“ 2018 war es vorbei mit Ich-war-dabei-Konzerten wie im Angie’s. Ihre Lieder „Von der Schönheit und Zerbrechlichkeit der Dinge“, Titel des neuen Auftaktsongs in der Sporthalle (und des im Oktober kommenden Albums), haben emotional wie kommerziell eine enorme Treffsicherheit. 

Und die erweitert Lea geschickt, indem sie absolut keine Berührungsängste vor Duetten mit Künstlern aus anderen Genres zeigt, von Rapper Capital Bra bis zur 20er-Jahre-Retro-Samtstimme Max Raabe. Bei ihrem Heimspiel vor wenigen Tagen in der Max-Schmeling-Halle kam sogar Herbert Grönemeyer für „Für dich da“ auf die Bühne, das war sein Gegenbesuch nach ihrem Gastauftritt im Juni auf der Waldbühne.

Lea zaubert in Hamburg eine intime Atmosphäre – in der vollen Sporthalle

Lea sprach und spricht sich immer weiter herum. Zack, ist die Sporthalle wie schon 2022 voll bis auf den letzten Platz. Lea und ihre zwischen Plastiksonnenblumen platzierte Band müssen nur noch die auch durch die „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ oder Karaoke-Konsolenspiele Marke „Let’s Sing“ omnipräsenten Fanfavoriten und viele neue Lieder geschickt kombinieren, um die Atmosphäre in der ollen Sportbutze intim zu zaubern wie in einem Club um „Drei Uhr nachts“: „Nur wenn es voll ist und laut, bin ich sicher“, singen Lea und 7000 Fans im Chor. 

Letztere würden sich sicher freuen, wenn Lea den Song „Sieben Stunden“ ebenso lange spielen würde, aber es gibt auch noch genug Lieder für einen kurzweiligen Abend. Für eine Handvoll davon zwängen sich Lea, die gesanglich ihre besten Momente am Piano sitzend hat („Heimatplanet“), und Band auf eine kleine Zweitbühne in der Hallenmitte. Mit dabei sind das mit der sechs Jahre jungen Grace aus dem Publikum wiederholte „Elefant“, „Guten Tag, liebes Glück“, „Leiser“ und ihre zweite Platinsingle „Treppenhaus“, eines der Stücke, die unseren banalen, aber umso verletzenderen Liebesalltag gut auf den Punkt bringen. Bereute und doch genossene Hausflur-Knutschereien mit nach Bier und Rauch müffelnden, eigentlich angelegten Liebschaften. Lieder für den November, in dem man heimlich traurig ist. Für Tratsch im Treppenhaus

Lea in Hamburg: Mit Feuersäulen im Rhythmus zum „Chaos“ der Gefühle

Im September tanzt und springt man allerdings fröhlich in der Sporthalle, auch ohne „Aperol im Glas“, aber zum gleichnamigen Song in dem „Chaos“ der Gefühle auf und vor der Bühne. Es gibt sogar Feuersäulen (die Sonnenblumen!) und Fetzgitarre bei „In Flammen“. Klar, von der Grundthematik in der Setliste unterscheidet Lea eigentlich wenig von Lina, Lena, Lotte, Mina und Alina. Schmerz mit Herz von vielen gerade angesagten Vornamen-Sängerinnen auf den Spuren von … Nena, die im Oktober in die Sporthalle kommt. Der deutsche Pop: dem Namen nach ein „Kindergarten in Berlin-Prenzlauer Berg“, wie der „Musikexpress“ es schon 2018 vorhersah. 

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Aber nach zwei Stunden, ungezählten von der ersten Reihe empfangenen Armbändern und den Zugaben „Wenn du mich lässt“ und „Ein Liebeslied“ ist man doch seelisch entschlackt, angesteckt von der Hingabe bis in die letzte Sitzplatzreihe. Die Abkürzung LEA stand ja auch mal für den (2023 eingestellten) Live Entertainment Award – gute Live-Unterhaltung ist das in der Sporthalle allemal. Man konnte sogar das kommende Album an Hörstationen antesten. Das ist zwar nicht live, verspricht aber: viel.