Halbzeit im Dschungel. Was macht eigentlich den Erfolg des Quotenbringers aus? Das Camp ist ehrlich - das bekommt die Konkurrenz zu Spüren.
Hamburg. Mitte der Woche beschlichen einen dann doch Zweifel. Da war ein Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer gekentert, Menschen gestorben, und man selbst setzte sich Abend für Abend vor dieses endbescheuerte Dschungelcamp - das aber vielleicht doch nicht so endbescheuert ist, „wenn man sich nur darauf einlässt“, wie der promovierte Kollege, Geisteswissenschaftler, Erstseher, am Mittwoch nach der Mittagspause anmerkte. Und wenn man jedes Mal aufhörte, Unterhaltungssendungen zu schauen, sobald im Mittelmeer Menschen ertrinken, dann könnte man den Fernseher gleich abschaffen. Denn das passiert ja jeden Tag. Interessiert halt einfach keinen.
Man kommt nicht umhin, ein bisschen über Dichtung und Wahrheit nachzudenken in diesen Tagen, denn sie stehen im Zeichen des Dschungelcamps . Und das umfasst auch die Wahrheit der Medien. Die Moderatoren Dirk Bach und Sonja Zietlow haben in diesem Jahr Abstand davon genommen, sich in ihren kurzen Beiträgen nur auf die Kandidaten und das Treiben im Camp zu beschränken, sie holen jetzt ganz weit aus. Unangreifbar wie sie sind, die Quote ist schließlich Gesetz. Harald Schmidt wird verhöhnt, das ZDF, Thomas Gottschalk. Den Nachfolger von Gottschalk könne das ZDF doch gar nicht verkünden, der sei schließlich gerade im Dschungel und deshalb nicht erreichbar. Einen Witz aus der Harald Schmidt Show erzählen sie dann, es geht um die Camp-Bewohnerin Micaela, die stets so leicht bekleidet ist, dass man aus jeder Kamera eine gute Perspektive hat. Schmidt nannte sie: die Australien Open. „Ein zu guter Spruch dafür, dass keiner ihn mitbekommt“, sagt Bach und hat natürlich Recht: Die Quoten des Dschungelcamps sind die von Schmidt im Quadrat. Das Camp, nicht den Schmidt, schauen derzeit die Leut’. Und kann man es ihnen vorwerfen?
Nein. Zum einen weil es eben eine höchst unterhaltsame Show ist, eine Mischung aus Klassenfahrt und Kindergeburtstag. Zum anderen aber, weil diese Sendung ein kleine, anarchistische Insel im deutschen Fernsehen ist, die man seit Jahren herbeisehnt. So schonungslos ehrlich, so wenig prätentiös. Elf Menschen vor einer surrealen Kulisse, die sich einem Experiment ausliefern, bei dem es völlig egal ist, wer sie eigentlich sind. Im schlechtesten Fall entpuppen sie sich als Psychopathen – im besten entlarven sie einfach sich selbst. Und das Medium, das ihnen die Plattform dafür gibt. „Ich bringe gerade keine CD raus, ich drehe keinen Film, und trotzdem bin ich hier“, sagt das Ex-Tic-Tac-Toe-Girl Jazzy, das sollte mal einer wagen, der auf der „Wetten-dass“-Couch Platz nimmt. Dort geht es nicht, hier schon. Wenig später nagelt Jazzy die Camp-Nachbarin Micaela am Wasserfall fest. „Mir geht es auf die Nerven, dass du nur hier bist, um dein Image zu pflegen“, sagt Jazzy zu Micaela, und die antwortet beneidenswert schlicht: „Welches Image denn?“ Der eigene Körper als Vermarktungskonzept, das ist im Fernsehen inzwischen normal. Und ohnehin völlig legitim. Als Dschungelgucker hat man schnell verstanden: Eine wie Micaela wird im Camp nie leiden .
+++ Offen gesagt: Das Theater im Dschungelcamp +++
Leiden tun nämlich jene, die kraft ihres Intellekts begreifen, dass sie in dieser Show etwas sein wollen, was sie im Grunde nie waren. Dichtung und Wahrheit fließen dann beizeiten so herrlich ineinander wie die seltsamen Flüssigkeiten, die bei den „Prüfungen“ an den Kandidaten heruntersuppen. Momente, in denen die Ironie kurz bricht, die über der gesamten Show liegt: Wenn Vincent, der Zauberer, bei einem überflüssigen Spiel in einen Teich voller Exkremente fällt, dann berührt das seine Seele. Und verletzt sie. „Ich bin nicht in Scheiße gefallen – ich bin Scheiße, verstehst Du?" Schonungsloser kann man sich den Spiegel nicht vorhalten, aber der Spiegel ist einer mit zwei Seiten. Die andere zeigt in Richtung der Zuschauer: Wer sind denn wir, die in diesem Moment hinschauen? „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ ist ja nicht nur eine Aussage über den Karrierestand der einzelnen Kandidaten. Sondern auch über uns. Die einzige Ausnahme ist wahrscheinlich Aílton. Dass er mal ein großer Stürmer in der Bundesliga war, sagt mehr über Werder Bremen aus als über uns und ihn, und das ist die vielleicht schönste Erkenntnis zur Halbzeit dieser Staffel.
Es gibt keine andere Show im deutschen Fernsehen, die mithalten könnte im Offenlegen von Wahrheiten. Nämlich dass es ein Showbusiness gibt, das funktioniert wie jedes andere Business auch, weil es Kanonenfutter braucht. Es gibt Gewinner, Verlierer und Opfer. Samuel Koch ist so eines, der sitzt jetzt querschnittsgelähmt im Rollstuhl. Wer das alles (als Zuschauer) unerträglich findet, sollte es trotzdem wissen, wenn er seinen Fernseher für die "gute", für die unschuldige weil saubere Unterhaltung einschaltet.
Wer das (als Kandidat) unerträglich findet, der darf nicht in den Dschungel reisen. Wer wirklich denkt, er sei Teil einer Opfer- und Verlierer-Show, weil er in Wahrheit ein Gewinner ist, der fliegt wahrscheinlich als erster raus. Selig ist, wer diese Zusammenhänge gar nicht erst begreift. So wie Micaela, so wie die erst 19-jährige Kim Debkowski. Die hatte es irgendwann mal in irgendeine Endrunde von „Deutschland sucht den Superstar“ geschafft. Im Unterschied zu Daniel Lopes nimmt sie das aber weder ernst noch dem Leben irgendwie übel. Sie ist einfach nur da und dabei sehr süß - im Grunde ein super Vermarktungskonzept.
Daniel Lopes musste das Camp am Freitag verlassen, kurz zuvor war bereits Martin Kesici freiwillig gegangen .
Eine aufschlussreiche Begegnung war das, als die beiden sich vor Kesicis Abgang noch einmal begegneten: Lopes weinte, Kesici strahlte. „Mann, dit is ne Show hier“, sagte er zu Lopes, drehte sich um und war weg. Einfach so.