Hamburg. An mehr als 50 Nummer-eins-Hits war der Hamburger beteiligt, hat berühmte Werbejingles eingesungen. Wer ist dieser Mann eigentlich?
Kennen Sie Billy King? Genauer gesagt, Michael William King III.? Vielleicht haben Sie ihn gesehen, als er gemeinsam mit Beatles-Expertin Stefanie Hempel und ihrer Band The Silver Spoons vor Charles und Camillabei deren Hamburg-Besuch auftrat.
Oder Sie sind Fan von Roland Kaiser und wissen um seine Qualitäten als Gitarrist und Backgroundsänger. Billy King ist der Mann in der zweiten Reihe. Von dem Musiker gibt es auf der Bühne höchstens mal einen kleinen Spruch.
Ansonsten heißt es: abliefern, den Sound veredeln, dem Star vorne den musikalischen Teppich ausrollen. Ein freundlich lächelndes Kraftzentrum im Hintergrund. Dabei ist der 57-Jährige selbst personifizierte Musikgeschichte.
Billy King: Der Hamburger Superstar, den (fast) niemand kennt
Seine charismatischen Liveauftritte sind lediglich ein Bruchteil seiner Pop- und Medienpräsenz. Wer in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum das Radio oder den Fernseher eingeschaltet hat und wer Songs von hiesigen Acts gehört hat, der ist mit großer Wahrscheinlichkeit auf Billy Kings Stimme gestoßen. Sein angenehm weicher wie voluminöser Vokalsound ist eine Art kollektives Kulturgut.
Nur dass die Menschen eben nicht sofort einen Namen im Kopf haben, wenn sie Billy Kings Gesang hören. Seine Stimme ist vielmehr unbewusst in das Klanggedächtnis des Landes eingesickert. Über Jingles und Werbung zum Beispiel. „Hinein ins Weekend-Feeling“. „Merci, dass es dich gibt.“ „Hier tanken Sie auf“. „Wenn’s um Geld geht – Sparkasse.“ „Wie könnte ich den kleinen Michael vergessen“. Alles Billy King. Seine Spezialität sind aber vor allem Chöre, die er für große Stars arrangiert und einsingt.
An mehr als 50 Nummer-eins-Hits hat Billy King mitgewirkt
„Grönemeyer und Pur“, sagt Billy King, lacht und schwenkt ein wenig auf seinem Drehstuhl hin und her. „Für die beiden habe ich noch nicht gearbeitet. Sonst für fast jeden.“ Hinter ihm ruhen im rechten Winkel E-Piano, Mischpult und Rechner.
Angenehm kühl ist sein Souterrain-Studio in Harvestehude an diesem Sommertag. In der Ecke steht eine Schatztruhe der Shantyband Santiano mit eigens gefertigten Münzen. Ein Dankeschön für Albumverkäufe auf dem Level „fünffach Platin“.
Westernhagen, Roland Kaiser, DJ Ötzi – weitere Auszeichnungen säumen die Wände. Oder lehnen einfach daran. „Ich komme nicht hinterher, die alle aufzuhängen“, sagt King. Und das nicht mit Arroganz. Sondern eher mit dem Selbstverständnis eines viel Beschäftigten.
An mehr als 50 Nummer-eins-Hits hat Billy King mitgewirkt. Oder waren es schon mehr als 60? Der Musiker, Komponist, Arrangeur und Produzent ist sich nicht so sicher.
In den 90er-Jahren war Billy King mit Vicky Leandros auf Tour
King trinkt einen Kaffee nach dem anderen. Den lange gerösteten, der nicht so auf den Magen schlägt. Aus einer Beatles-Tasse. Die er auf einen Beatles-Untersetzer stellt. „Love Is All You Need“ steht darauf. „Das ist mein Motto. Für alles, was ich tue“, sagt der Musiker.
Verheiratet ist er, Vater zweier Töchter, wohnhaft fußläufig vom Studio. King strahlt Zufriedenheit aus, aber auch eine gehörige Portion umtriebige Energie. Und so sehr er sich auf der Bühne zurückhält, umso anekdotenreicher und ausführlicher erzählt er jenseits des Rampenlichts aus seinem Leben.
Wie er bis zu seinem fünften Lebensjahr in New York aufgewachsen ist. Der Vater aus Samoa, die Mutter Deutsche. Seine Erinnerung: Straßen voller Müll. Papierfetzen, die umherflogen. Und ein gewalttätiger Vater. Weshalb die Mutter mit ihren beiden Kindern in die alte Heimat floh. Erst nach Hude in Oldenburg, nach einigen Jahren dann weiter ins niedersächsische Worpswede.
Der junge Billy erhielt Klavierunterricht. Und da ging die Verbandelung mit der Musikszene eigentlich schon los. Unbeabsichtigt, versteht sich. Denn seine Lehrerin war niemand Geringeres als die spätere Mutter von Revolverheld-Sänger Johannes Strate.
Billy King liebt Gitarren – und die Musik der Beatles
„Als ich nach drei Jahren dann wirklich hätte üben müssen, habe ich mit dem Unterricht aufgehört“, erzählt Billy King. Statt die erste Bach-Invention zu studieren, setzte er sich einfach mit einem Comic auf einen Hügel. Das flog natürlich bald auf. Bis heute kann er keine Noten lesen, erfasst und spielt alles nach Gehör. Ein Musiker, der sein Metier intuitiv durchdringt. „In den 90er-Jahren war ich unter anderem mit Vicky Leandros auf Tour. Die Songs kann ich heute alle noch abrufen.“
Die E-Gitarre erschien ihm als Jugendlicher das weitaus attraktivere Instrument. Vor allem, um Mädels zu beeindrucken. Mit Freunden imitierte er die Shows der expressiven Hardrockband KISS. Und wie so viele verfeinerte er sein Können an den Saiten mit den Übungsbüchern von Ikone Peter Bursch.
Seine Liebe zu Gitarren – und zu den Fab Four, die ihn seit seiner Kindheit faszinieren – hat sich bis heute intensiviert. Im Aufnahmeraum seines Studios ruhen 58 Nachbauten von Beatles-Gitarren und -Bässen in ihren Koffern.
„Andere kaufen sich in meinem Alter einen Porsche. Ich habe kein Auto, aber dafür meine Instrumente“, sagt Billy King und greift liebevoll zu einer Gretsch G 6120 in warmem Orange, zu „John Lennons Paperback-Writer-Gitarre“. Die Beatles sind für King schlichtweg „die beste Band der Welt“. Doch der Musiker ist kein Purist, sondern stilistisch ungemein vielfältig.
Je älter und versierter er als Heranwachsender an Gitarre und Gesang wurde, desto mehr rutschte er hinein in das weite – und durchaus lukrative – Feld der Unterhaltungsmusik. Mit der Formation Rejoice tingelte er über Stadt- und Landfeste mit Funk, Soul und Pop von Al Jarreau bis Kool & The Gang.
Und mit der Combo Les Amis beglückte er mit „Rosamunde“ und Artverwandtem alles vom Schützenfest bis zur Silberhochzeit. Aushilfsweise spielte er auch bei einer anderen Tanzmucken-Band – und zwar gemeinsam mit Heinz Strunk, der diese Zeit in seinem Buch „Fleisch ist mein Gemüse“ verwurstete.
Billy King ist immer wieder einer der Mönche des Chor-Events Gregorian
Wer ein Soziogramm malen wollte mit all den Kontakten und Verbindungen des Billy King, der wäre wohl länger beschäftigt. Im Gespräch mit ihm treten immer neue Querverweise und Überraschungen zutage: Billy King ist etwa immer wieder einer der Mönche des dauererfolgreichen Chor-Events Gregorian. Und mit Bonnie Tyler sang er 2021 eine umjubelte Version ihres Megahits „Total Eclipse Of The Heart“.
Eine Existenz als Studio- und Konzertmucker mag wenig glamourös erscheinen, aber das Netzwerk führte ihn damals auch nach Hamburg. Und in die Profi-Szene. Die Top-40-Band Articulation suchte einen Sänger. Und Lemmy Lembrecht, früher unter anderem Schlagzeuger für James Last, befand, dass Billy King so ein gewisses Licht in der Stimme habe.
In der Hansestadt zog King in eine Butze hinter dem Musik Markt Hamburg, der damals einen Ableger in der Caffamacherreihe hatte. Um die Wohnung zu bekommen, sollte er in dem Laden auch direkt mitarbeiten. „Da ich dort alles zum Einkaufspreis bekam, hatte ich kaum Möbel, aber immer das neuste Equipment.“
In seiner ersten Hamburger Bleibe hatte er dann Ende der 80er-Jahre auch einen gewissen Dieter Bohlen auf dem Anrufbeantworter, der gesangliche Verstärkung für seine Projekte nach Modern Talking suchte. Und somit nahm die Viel- und Mehrfachbeschäftigung des Billy King ihren Lauf: Touren von Tony Christie bis Howard Carpendale. Zudem sang und sprach er zahlreiche markante Jingles für Sender wie RTL, NDR und FFN. Und dann war da noch die Werbung. Für Streichkäse, Schokolade und Schnellrestaurants.
„Zum Teil liefen fünf Melodien und Gesangsparts von mir in einem Werbeblock.“ In einer Art Medley imitiert er flugs am Piano all diese allzu bekannten akustischen Signaturen. Und sofort ploppen Bilder auf. Und ein altvertrautes Gefühl.
Mit der Eurodance-Formation Mr. President hatte Billy King großen Erfolg
„Die 90er-Jahre waren eine Zeit, in der prinzipiell unglaublich viel Geld rausgehauen wurde in der Musikbranche“, erinnert sich King. Für zahlreiche Produktionen als Studiomusiker pendelte er damals zwischen Hamburg und LA. Und parallel zog er zudem die Eurodance-Formation Mr. President mit hoch, die mehr als 2,3 Millionen Tonträger verkaufte, vor allem mit ihrem Hit „Coco Jamboo“. „Das hat‟, so King, „erfolgsmäßig richtig gescheppert.“
Selbst in die erste Reihe zu treten, das habe ihn früher einmal gereizt. „Ich bin zweimal abgelehnt worden mit der Begründung, ich sei zu hässlich“, erklärt King. Heute kann er darüber lachen. Und ist letztlich auch froh um seinen mehr als soliden Job hinter seinen Studiorechnern. Oder hinter den Stars. Denn zu viele Sternchen hat er im Laufe seiner Karriere auch verglühen sehen.
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Seit den 2000er-Jahren fokussiert sich Billy King darauf, Chöre für Musikproduktionen zu gestalten. Er singt dann alle Stimmen selbst, auch die der Frauen, und schichtet sie so lange übereinander, bis das Ganze einen richtig komplexen Wumms hat.
Durchaus mit Stolz zeigt er auf dem Bildschirm die Ordner mit den Namen all jener, deren Songs er mit seinen Gesängen angereichert hat. Von A wie Paul Anka und Alphaville über Bela B, Gary Barlow, Stefan Gwildis und Helene Fischer bis zu David Hasselhoff, Heino, No Angels, Otto Walkes, Ronan Keating und Donna Summer.
„Ich habe an einem Tag mal Chöre für die Kastelruther Spatzen, dann für die Metalband Blind Guardian und schließlich für Sarah Brightman eingesungen“, erinnert sich Billy King. Bei jedem Auftrag sei es wichtig, diszipliniert „auf Klick“, also nach dem Takt zu spielen und zugleich „drumherum das Gefühl zu bauen“. Also eine Mischung aus Akkuratesse und Menschlichkeit, egal bei welchem Genre.
In puncto Offenheit macht ihm also so schnell niemand etwas vor. Und das, obwohl er privat am liebsten Jazz hört. Und die Beatles natürlich. Immer wieder. Weshalb er auch mit Verve mit den Silver Spoons an einem Album arbeitet, das im Herbst erscheinen soll.
Roland Kaiser: „Ich bin ja nur Sänger der Billy-King-Band.“
Aktuell liegen im Sommer aber zunächst zahlreiche Konzerttermine mit Roland Kaiser an, allen voran die sogenannte „Kaisermania“: An fünf Tagen Ende Juli bis Anfang August versammeln sich da in Dresden Zehntausende Fans des Sängers. Und auch die Anhängerschar um Gitarrist Billy King wächst stetig. „Ich gehe immer eine Stunde vor Konzertbeginn raus und mache Selfies mit den Leuten“, erzählt er. Eine Entwicklung, die Roland Kaiser zu der Aussage animiere: „Ich bin ja nur Sänger der Billy-King-Band.“ Ein hübscher Perspektivenwechsel. Ehre, wem Ehre gebührt. Erst recht in der zweiten Reihe.