Hamburg. Die Hamburger Sängerin Leslio Clio ist Teil der deutschen Jury, die am Sonnabend beim Eurovision Song Contest mit entscheidet.
Eine illustre sowie stark hanseatisch geprägte Runde bildet in diesem Jahr die deutsche Jury des Eurovision Song Contest (ESC). Neben Songschreiber Mark Forster stimmen die Hamburger Ferris MC von der Electro-Combo Deichkind, Revolverheld-Sänger Johannes Strate sowie Produzent Swen Meyer (Lena, Tim Bendzko, Kettcar) mit darüber ab, wer Europas Sieger der Liedkunst wird. Ebenfalls zur Jury gehört die in Hamburg geborene Sängerin Leslie Clio, 28, die mit „Eureka“ soeben ein starkes sowie gut gelauntes Pop-Album veröffentlicht hat.
Diese Fünf bestimmen zu 50 Prozent, welche Punkte Deutschland im ESC-Finale an andere Nationen vergibt. Die weiteren 50 Prozent kommen via Telefon-, SMS- und App-Voting von den Fernsehzuschauern. Die ARD überträgt am Sonnabend ab 20.15 Uhr die Show aus Wien sowie die von Barbara Schöneberger moderierte Party auf der Reeperbahn. Das Abendblatt traf Leslie Clio im Onyx Hotel auf St. Pauli und sprach mit der Künstlerin darüber, nach welchen Kriterien sie die Songs bewertet, warum es gut ist, dass sie kein ESC-Nerd ist, und was für sie die Kraft des Pop ausmacht.
60. Eurovision Song Contest in Wien
Hamburger Abendblatt: Sie haben mit „Eureka“ gerade Ihr zweites Album heraus gebracht. Wie fühlt es sich an, nun für kurze Zeit die Seiten zu wechseln und andere Musiker zu bewerten?
Leslie Clio: Sehr komisch. Und cool. Die Anfrage, Jurorin zu werden, kam überraschend, aber hat mich sehr gefreut. Es ist spannend. Ich nehme das sehr ernst.
Geben die Organisatoren des ESC der Jury bestimmte Kriterien mit auf den Weg, nach denen Sie dann ihr Urteil fällen sollen?
Clio: Auf jeden Fall! Wir schauen auf das Songwriting an sich, auf die Performance, die stimmliche Darbietung und die Gesamterscheinung. Jeder Juror hat seinen eigenen Bogen und urteilt für sich alleine. Es gibt keine Handys im Raum. Alles hoch offiziell.
Was kaum jemand weiß: Die Jury bewertet nicht die Live-Performance des Finales, das alle TV-Zuschauer am Sonnabend sehen, sondern stimmt nach der zweiten Generalprobe am Vorabend ab. Wo schauen Sie sich diese nicht öffentliche Übertragung an? Haben Sie auch ein wenig ESC-Atmosphäre mit Käseigel und Knabberkram?
Clio: Oh ja! Wir haben ja schon bei den Halbfinalen beim NDR zusammen gesessen. Ganz solide. Im Halbkreis auf Sofas mit einem riesengroßen Couchtisch vor uns. Ohne Käseigel, aber mit sehr vielen Häppchen.
Beim ESC sind die Songs ja ausgesprochen unterschiedlich. Das Spektrum reicht von Punk über Pop bis zu Schlager. Lässt sich das überhaupt einheitlich bewerten?
Clio: Am Ende gewinnt immer das Lied an sich. Ein starker Song kann als Metal-Version genauso durchstechen wie in der Schlager-Variante. Ein guter Song überlebt immer. Egal, wie er visuell verpackt oder produziert ist.
Das heißt: Sie als Musikerin brechen den Song im Kopf herunter und überlegen sich, wie er reduziert etwa am Piano oder an der Akustikgitarre klingen würde?
Clio: Genau. Das ist auch der wesentliche Unterschied zwischen Jury und Publikum. Für das Publikum spielt die ganze Show, das Event, das Happening eine große Rolle. Und das soll es auch. Wir wiederum haben einen kritischeren Blick, der ein kleines bisschen mehr Fachwissen einfließen lässt.
Sind Sie denn selbst auch ESC-Fan?
Clio: Ich bin nicht der absolute ESC-Nerd, der den Contest jedes Jahr verfolgt. Ich glaube, dass es gut ist, die Jury eher als neutrale Aufgabe zu sehen.
Wie bewerten Sie denn den Eurovision Song Contest innerhalb der Popbranche – ist das ein Paralleluniversum oder ein wirkliches Sprungbrett?
Clio: Ein Auftritt beim ESC kann auf jeden Fall eine Karriere nach sich ziehen. Ein guter Künstler setzt sich durch. Egal wo. Was wahr ist, gewinnt.
Im vergangenen Jahr hatte die deutsche Jury der österreichischen Gewinnerin Conchita Wurst nur wenige Punkte gegeben. Besteht bei Ihnen die Angst, eine unpopuläre Entscheidung zu treffen?
Clio: Darüber denke ich nicht nach, weil ich mir selbst damit unnötigen Druck machen würde.
Bei der deutschen Kandidatin Ann Sophie muss die Jury aussetzen. Wie beurteilen Sie die Chancen der Hamburgerin?
Clio: Sie ist keine Lena. Sie ist eine andere Künstlerin mit einer anderen Performance. Sie kann mit allen anderen mithalten. Jeder, der im Finale auftritt, hat einen Weg hinter sich. Das ist bereits ein Erfolg für sich.
Beim ESC liegt der Fokus auf einem einzigen Song. Blutet einer Album-Künstlerin da nicht das Herz?
Clio: Natürlich steckt hinter einem Album ein Konzept, aber jede Platte hat auch ihre ein, zwei, drei Singles. Einzelne Songs haben eine Berechtigung, alleine zu stehen. Das ist the power of pop, dass ein Song dich in 3 Minuten 30 in eine andere Welt bringt und wieder zurück schickt. Zudem gibt es 2015 mit Streaming-Diensten wie Spotify sowieso die Tendenz, dass Songs immer mehr aus Album-Kontexten gerissen werden und für sich stehen.
Sie treten an diesem Sonnabend bei der großen ESC-Show auf dem Spielbudenplatz auf sowie am 29. Mai wenige Meter weiter im Mojo Club. Was ist Ihnen bei der eigenen Performance besonders wichtig?
Clio: Live dreht sich bei mir alles um das Gefühl, das ich bei Leuten hinterlasse. Wie sich Menschen fühlen, wenn sie ankommen. Und wie sie sich fühlen, wenn sie nach Hause gehen. Im Studio brate ich in meinem eigenen Saft, ich kreiere etwas und perfektioniere das. Live rekapituliere ich meine Songs in diesem einen Moment. Da spiele nicht nur ich eine Rolle, sondern jeder Einzelne im Raum. Jeder der mitklatscht, ist Teil des Ganzen.
Eurovision Song Contest: Sa 20.15 Uhr, ARD
Leslie Clio live: 29.5., Mojo Club; Infos im Internet: www.leslieclio.de