Alles geht in Richtung Musikstadt Hamburg, glaubt die Kultursenatorin. Einigen finanziellen Wünschen erteilt sie trotzdem eine Absage.
Hamburg. Theoretisch gibt es die "Musikstadt Hamburg" bereits. Praktisch ist es noch nicht ganz so weit, das meint auch Kultursenatorin Barbara Kisseler. Wir sprachen mit ihr über die musikalischen Baustellen der Stadt.
Hamburger Abendblatt: Kaum etwas strahlt überregional und international derzeit so sehr die Botschaft "Musikstadt Hamburg" aus wie das gerade stattfindende Reeperbahn-Festival. In einem SPD-Antrag ist der Wunsch festgehalten, das Reeperbahn-Festival "dauerhaft finanziell abzusichern". Was genau heißt das?
Barbara Kisseler: Wir wollen das Reeperbahn-Festival so im Haushalt verankern, dass es nicht bei jeder Haushaltsberatung neu infrage gestellt wird. Das war ja bislang ein bisschen mühsam für uns. In dem Augenblick, wo wir Bundesmittel bekommen, haben wir aber auch die Verpflichtung, diese komplementär zu finanzieren, das sind in diesem Fall 200 000 Euro. Auch in der Diskussion um die Kulturtaxe passt etwas wie das Reeperbahn-Festival ganz wunderbar in dieses neue Portemonnaie. Mehr Alleinstellungsmerkmal kann man für Hamburg kaum haben.
Es gibt den Vorschlag der Interessengemeinschaft der Hamburger Musikindustrie, dass Hamburg sich als "Unesco City of Music" bewerben könnte. Gute Idee?
Kisseler: Ich habe bisher nie die Erfahrung gemacht, dass so ein Etikett ernsthaft und messbar etwas bewirkt. Ich glaube, es gibt andere Maßnahmen, die deutlich machen, dass man in einer bestimmten Liga mitspielt. Unter Marketinggesichtspunkten mag es Sinn machen, trotzdem muss man den Anspruch, den man da setzt, einlösen können. Erst mal muss man konkrete Voraussetzungen schaffen. So ein Titel wäre dann eher die Sahne auf dem Kuchen.
Den Anspruch muss man auch einlösen können, sagen Sie. Wie gut sind wir da schon, auf einer Skala von eins bis zehn?
Kisseler: Wir haben ein hohes Potenzial. Einen guten Mix in der Stadt, Hochkultur, der ganze freie Bereich, die Klubszene ... Ich weiß nicht, ob es das in einer anderen Stadt auch so gibt. Aber ich bin immer etwas vorsichtig mit so anspruchsvollen Titeln. Das erfordert kontinuierliche Anstrengung. Auf die "Musikstadt Hamburg" bewegen wir uns mit großen Schritten zu.
Wir haben Potenzial, wir bewegen uns auf die Musikstadt zu heißt doch aber auch: Wir sind es nicht. Auf der Skala von eins bis zehn eine gute Sechs?
Kisseler: Ich würde sagen, eindeutig im oberen Drittel, aber noch nicht ganz oben. Potenzial heißt ja, dass da ein Acker ist, auf dem Sie arbeiten können.
Wie froh sind Sie um jedes Jahr, in dem die Elbphilharmonie nicht fertig wird? So haben Sie mehr Zeit.
Kisseler: Mich ärgern die Verzögerungen sehr. Aber wir nutzen die Zeit, um das Publikum an die Elbphilharmonie heranzuführen.
Manchmal sind es ja auch Kleinigkeiten, die gar nichts mit großen Summen zu tun haben, die der Branche helfen. Wenn man an verbotene Wildplakatierung denkt zum Beispiel, da würden sich die Klubs vermutlich wünschen, dass die Stadt etwas mehr Gelassenheit zeigte.
Kisseler: Der Senat ist für vieles verantwortlich, aber nicht für alles. Da sollten wir die Kompetenz der Bezirke auch in Anspruch nehmen. Und bei Themen wie Wildplakatieren bedeutet das vielleicht auch - ohne dass ich hier zum Rechtsbruch aufrufen möchte: Nicht alles, was man sieht, muss man monieren.
Kommen wir zur Staatsoper. Welche finanziellen Zugeständnisse mussten Sie machen, um die neue Opernintendanz zum Herkommen zu überreden?
Kisseler: Wir haben uns abgewöhnt, im Kontext von Vertragsverhandlungen über Details zu sprechen. Aber wenn man jemanden für eine der großen Einrichtungen gewinnen will, muss es für diesen Jemand auch interessant sein.
Das heißt, Sie werden der Staatsoper bei dem Tarifkostenelend helfen?
Kisseler: Wir werden ihr helfen, in eine Situation zu kommen, die sie befähigt, damit konstruktiv umzugehen.
Wie sieht es mit der Camerata aus? Und beim Ensemble Resonanz?
Kisseler: Wir sind nicht in der Lage, mal eben 100 000 Euro für die Camerata lockerzumachen. Daran wird sich auch nichts ändern. Das tut mir insofern leid, weil sie auf einem guten Weg ist. Und das Ensemble Resonanz leistet überzeugende Arbeit, ist auch nach außen ein wirklicher Botschafter geworden. Ich würde gern weiter nach Möglichkeiten suchen, da noch etwas zu tun.
Wie sehr ärgert es Sie, dass Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel Sie ständig öffentlich auffordert, Sie mögen die Zusagen für eine halbe Million Euro weiterer Zuschüsse endlich umsetzen?
Kisseler: Ich bemühe mich, meine Versprechen auch einzuhalten. Dieses - und das weiß auch Herr Kühnel - habe ich nicht gegeben. Meines Wissens nach ist es auch in seiner Version so nicht in der Behörde gegeben worden. Und es gilt in Potenz, was ich bei der Camerata gesagt habe: Wenn ich schon 100 000 Euro nicht habe, dann habe ich 500 000 Euro erst recht nicht übrig.
Wie man clever und gut sichtbar für eine Musikstadt wirbt, hat gerade erst Wien vorgemacht, mit einer Live-Kino-Übertragung aus der dortigen Staatsoper direkt vor der Elbphilharmonie-Baustelle. Gibt es Ideen für solche Stadtmarketing-Besuche in anderen Metropolen?
Kisseler: Ich habe mir vorgenommen, das mit Hamburg Marketing zu diskutieren. Da kann die Stadt noch etwas lernen, weil wir hier von der Grundhaltung eher zur hanseatischen Zurückhaltung neigen.
Zu einer Musikstadt gehört nicht nur eine große Bandbreite von Orten und Künstlern, sondern auch die Formate. Davon gibt es noch nicht viele, und das größte, das Schleswig-Holstein Musik Festival, gehört einem anderen Bundesland. Welche eigenen Akzente wollen Sie bei diesem Thema setzen?
Kisseler: Formate wie das Elbjazz-Festival sind auf einem guten Weg, das würde ich gern ausbauen. So etwas wie Dockville kenne ich aus keiner anderen Stadt, da werden wir dranbleiben. Meine Wunschvorstellung wäre, dass wir in Hamburg ein größeres Festival schaffen, gern in der Elbphilharmonie, das über die Stadt hinaus Kraft entwickelt.
Haben wir für solche Projekte zu wenig Zeit und zu wenig getan, weil man große Vorläufe und viel Geld benötigt?
Kisseler: Das stimmt.
Schon sind wir wieder im Teufelskreis der Finanzlücken.
Kisseler: Nehmen Sie das letzte Jahr und den anstehenden Haushalt, ist die Situation bundesweit nicht einfacher geworden. Trotzdem konnten wir viel bewegen, sodass wir eine vernünftige Basis für gute Leute haben. Wenn wir auch international wahrgenommen werden wollen, müssen wir auch künftig kontinuierlich in Kultur investieren. So langsam setzt sich diese Erkenntnis bei vielen durch und wächst.
Und wann ist Hamburg auf der Musikstadt-Skala bei zehn von zehn Punkten?
Kisseler: Sagen wir so: Kurz davor sind wir am Ende der Legislaturperiode.