Die Hamburger Camerata setzt unter ihrem neuen Chefdirigenten Simon Gaudenz ganz auf Wolfgang Amadeus Mozart.
Hamburg. Zwischendurch wollte man sich immer mal zwicken. War das da vorn auf der Bühne wirklich dieselbe Hamburger Camerata, die bis vor Kurzem noch ziemlich regelmäßig ihre hohen musikalischen Ziele aufgrund spielerischer Unzulänglichkeiten verpasste? Ja, sie war's. Es ist kaum anders als phänomenal zu nennen, was dem Schweizer Simon Gaudenz da im Laufe der offenbar hoch intensiven Proben- und Motivationsarbeit zu seinem Antrittskonzert geglückt ist. Statt auf die hübsch ausgewürfelten Zeit- und Kontextbezüge zu setzen, die die Programme in der Vergangenheit prägten, konzentrierte sich der Neue am Pult, der mit seiner wilden, dunklen Lockenpracht an einen jüngeren Bruder von Simon Rattle denken lässt, für sein offizielles Debüt auf einen einzigen Namen: Wolfgang Amadeus Mozart.
Dessen drei letzte Sinfonien dirigierte Gaudenz, ohne Partitur, dafür mit großer Entschiedenheit in der Zeichengebung. Mit der ganzen Hingabe seiner jungen Jahre spitzte er die dynamischen Kontraste zu, und die Camerata-Musiker folgten ihm mutig. Aus dem Orchester schien noch das letzte Körnchen Staub und Schlendrian fortgeblasen. Das Streicherensemble wirkte wie eine runderneuerte, betagte Maschine: alle Bowdenzüge ausgewechselt, ein Tropfen Öl hier, ein morsches Rädchen dort ersetzt, das Ganze auf Hochglanz poliert, und plötzlich surrt und brummt und schnurrt das Gerät wieder fabelhaft. Die Koordination mit den Bläsern, die mit stets offenen Ohren spielten, klappte hervorragend - auch dies ein wohltuendes Novum bei der Camerata.
Bei aller Erleichterung darüber, dass man sich bei Camerata-Konzerten nun offenbar auch wieder entspannt zurücklehnen, ja, die Musik genießen kann: Schieres Mozart-Glück geht dann doch noch etwas anders. Als hätte man den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, waren in der Wiedergabe der drei Sinfonien alle Riemen nun eine Spur zu straff festgezogen. Der sublimen, fast jenseitig anmutenden Sphäre etwa des zweiten Satzes in der g-Moll-Sinfonie fehlten die Flügel, das Schwebende. Die berühmte mozartsche Leichtigkeit, die so schwer zu erreichen ist, sollte das übernächste Etappenziel dieses Kammerorchesters sein.
Man wird sehen, ob die (gottlob von Elan temperierte) helvetisch-calvinistische Disziplin, die der neue Chef mitgebracht hat, mit der Zeit einer Grazie Platz machen kann, bei der die Musik nicht nur präzis gespielt wird, sondern auch Atem und Eros entfaltet.