Die Wiener Staatsoper - fast - live zu Gast in Hamburg: Donizettis “L'elisir d'amore“ geht vor der Elbphilharmonie über die Leinwand
Hamburg. Da stimmt doch was nicht! Ein klassizistischer Prachtbau, der nach den Gesetzen der Schwerkraft jeden Moment hintenüber in die Elbe kippen müsste? Das Spiel mit der Wahrnehmung ist beabsichtigt: Der Wiener Tourismusverband hat mal eben die Wiener Staatsoper nach Hamburg, genauer: auf den Vorplatz der Elbphilharmonie gebracht - als Kulisse: Die Frontansicht des Gebäudes bildet den Rahmen für eine Leinwand, auf der zwei Liveübertragungen aus dem hehren Haus gezeigt werden.
An diesem Abend ist Gaetano Donizettis Buffo-Oper "L'elisir d'amore" dran. Es dirigiert Guillermo García Calvo, die Sopranistin Chen Reiss hat kurzfristig die Rolle der Adina übernommen, Celso Albelo singt den Nemorino, und den Fädenzieher Dulcamara singt Alfred Sramek, ein Wiener Original, das rasch noch ein artiges Grußwort in die Kamera sagen darf.
Der Himmel ist vom selben sanften Grau wie der polierte Beton der Stufen auf dem Vorplatz, auf dem sich das Publikum um die Leinwand schart. Statt Frack und Abendkleid sieht man allenthalben Windjacken, Stiefel und Daunenschlafsäcke. Dies ist eben nicht Italien, sondern Deutschland. Deshalb zischt es auch, sobald sich einer erhebt: "Würden Sie sich bitte hinsetzen?" Open Air hin oder her, dies ist schließlich eine Opernaufführung - und das Publikum ist so anders nicht, als man es auch in der hiesigen Oper anträfe.
Mit Übertragungen ist es so eine Sache. Woher soll die Kamera wissen, wohin der Zuschauer gerade den Blick schweifen lassen wollte? Dass er gerne nachzählen würde, wie viele Choristinnen sich im Hintergrund postieren, oder über die Oberweite der Sopranistin spekulieren? Aus diesem Teppich von Eindrücken entsteht die Oper, die dann jeder in Kopf und Herzen mit nach Hause nimmt. Vor der Leinwand ist sie genormt - was sich besonders schmerzlich bei der Lautstärke bemerkbar macht. Mal dröhnen die Boxen arg, mal kommt Donizettis handfest komisches, melodienseliges Belcanto-Werk kaum an gegen Schiffs-Tuten und durch die Speicherstadt cruisende Motorräder.
Der Himmel färbt sich erst rosa und dann blau. Currywurstaroma zieht über den Platz, nur Glühwein gibt es leider keinen. Mancher Platz bleibt zum zweiten Teil leer, doch die Stimmung steigt, Szenenapplaus und lautes Gelächter inklusive. "Ich war noch nie in der Oper", sagt der Student Torben Fließwasser. "Aber wenn's das umsonst gibt, kann man doch mal gucken kommen. Ich bin begeistert!"
Und das trotz der deutlich sinkenden Temperatur. Am Schluss kriegen sie sich auf der Leinwand, das Herz ist voll, die Füße sind erstarrt - und die Elbphilharmonie steht schwarz und schweiget. Nur ganz hoch oben leuchten ein paar Notlämpchen in die Dunkelheit. Statt Sternenhimmel.