Hamburg. Ensemble Resonanz spielt im Großen Saal live zum Stummfilm-Klassiker von Regisseur Erich von Stroheim. So war die Uraufführung.

Erich von Stroheims Stummfilm „The Merry Widow“ aus dem Jahr 1925 hat mit Franz Lehárs 20 Jahre früher uraufgeführter Operette „Die lustige Witwe“ wahrlich nur noch am Rande zu tun. Er erzählt eine fiktive Vorgeschichte der Operette, aus der einzelne Figuren zwar übernommen wurden, aber in ihren Charakteren völlig verändert auftreten.

Es ist ein Film, der den Glamour der Operette mit ihren Sehnsüchten nach erfüllter Liebe, Reichtum und Aufstieg einer Bürgerlichen in den Adelsstand in ein Drama verwandelt, das noch gerade die Kurve zum Happy End kratzt.

Elbphilharmonie: „The Merry Widow“ – Verführung und Mord mit neuer Filmmusik

Im Auftrag von ZDF/Arte und dem Österreichischen Filmmuseum schuf der Komponist, Pianist und Arrangeur Tobias Schwencke eine neue Filmmusik zu von Stroheims amerikanischem Kinoklassiker, die am Montag mit dem Ensemble Resonanz unter Christoph Altstaedts Leitung in der Elbphilharmonie zur Uraufführung kam.

Das Ensemble Resonanz saß in zwei Hälften geteilt vor einer riesigen Leinwand, auf der viele Dialoge in Untertiteln zwar mitliefen, teilweise aber auch weggelassen wurden, weil die Musik und die Bilder manches von ganz allein erzählten.

Eine Hauptrolle spielten in Schwenckes Soundtrack zudem die Schlagzeugerin Rie Watanabe und der E-Gitarrist Johannes Öllinger, die in der Mitte platziert waren und deren Klänge einzelnen Personen auf der Leinwand oft direkt zugeordnet werden konnten.

„The Merry Widow“ im Großen Saal: Es geht heftig zur Sache

In seiner Musik verzichtet Schwencke bewusst darauf, nicht jedes ein Geräusch provozierende Detail des Films mit Effekten zu illustrieren. So bleiben etwa Tritte in den Hintern der beiden um die Gunst der schönen Tänzerin Sally O’Hara buhlenden und kämpfenden Herren Prinz Danilo und Kronprinz Mirko stumm, während die Atmosphäre der Szene die ganze Dynamik von Empfindungen aufgreift.

„Es gibt viele Überzeichnungen, aber es ist meist wenig ironisches Augenzwinkern dahinter, stattdessen geht es heftig zur Sache“, sagt Tobias Schwenke über den Film und setzt in seiner Musik gezielt Kontrapunkte dazu.

In den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war von Stroheims durch unverhohlene Erotik aufgeladener Film und die von Mae Murray so einzigartig verführerisch und vielseitig gespielte Hauptfigur ein riesiger Erfolg. Damals wurde eine Stummfilmmusik von David Mendoza und William Axt zu diesem Streifen gespielt, die Schwencke in seine Arbeit allerdings nicht mit einbezogen hat.

Elbphilharmonie Hamburg: Schwenke fängt auch die düsteren Passagen des Films ein

Dafür verwendet er immer wieder Fragmente aus Lehárs Operettenklassiker wie den Ballsirenen-Walzer oder „Da geh ich ins Maxim“, die in etlichen Metamorphosen und oft nur als Schnipsel zur Gestaltung sehr schneller Übergänge durch seine Partitur wandern.

Wenn sich der von Roy d’Arcy so wundervoll garstig, intrigant und übergriffig gegenüber Sally gespielte Mirko im Schloss des fiktiven Königreichs Monteblanco ans Klavier setzt, illustriert Schwencke das im Ensemble Resonanz mit Marimbafon-Klängen.

Oft lässt er harmonische Passagen ins Dissonante abgleiten, transformiert sie in der Klangwelt der Neuen Musik, fängt aber auch die wirklich düsteren Passagen des Films ein. Wir sehen da Gewalt auf den Straßen, im Palast und auch im Ballsaal, schmutzige Räume und leidende Menschen. Dass der Film dann sogar mit der Ermordung des Kronprinzen Mirko endet, ist da dann kaum mehr überraschend. Operettenhaft ist das allerdings ganz und gar nicht.