Hamburg. In einem Sechsteiler widmet sich Netflix der US-Opioidkrise. Und einer einst angesehenen Dynastie, die Drogen verteilte.

Es geht um Geld in dieser unmissverständlichen TV-Erzählung. Wer könnte besser von Geld erzählen als Amerika, die superkapitalistische westliche Topnation? Wir folgen schon bald zwei Vertreterinnen, jung und blond, eine völlig skrupellos, die andere etwas unsicherer, wie sie mit strahlendem Lächeln das neue Schmerzmittel in Arztpraxen anpreisen.

Die Pharma-PR ist lukrativ: Man fährt im Porsche vor. Der Jahresbonus beträgt bis zu 50.000 Dollar. Er ist desto höher, je hochdosierter die Tabletten sind, die über willfährige Ärzte bei den Patienten landen.

Und welches Land könnte eine tragischere, traurigere und unglaublichere Geschichte über Drogensucht erzählen als Amerika? In „Painkiller“, dem jetzt auf Netflix abrufbaren Sechsteiler, ist das Einschleichen der Abhängigkeit in normale Familien, ist die Zerstörung dieser Familien an den Krygers zu besichtigen. Unerbittlich, wie alles in dieser Serie unerbittlich ist: Familienoberhaupt Glen (Taylor Kitsch), der eine Autowerkstatt führt, ist nach einem Arbeitsunfall Schmerzpatient. Sein Arzt verschreibt ihm Oxycontin, ein neues Medikament.

Netflix-Serie „Painkiller“: Erzählt wird die Geschichte der Sackler-Dynastie

Dessen Markteintritt in den 1990er-Jahren war der Beginn der Opioidkrise, die die Vereinigten Staaten seit einem Vierteljahrhundert heimsucht. Bislang hat man Schätzungen zufolge mehr als eine halbe Million Tote gezählt. Zum Thema gab es zuletzt einen preisgekrönten Film (Laura Poitras’ „All the Beauty and the Bloodshed“, Goldener Löwe in Venedig 2022) und die US-Fernsehserie „Dopesick“. Hier wie dort spielte der Sackler-Clan eine Rolle, Eigentümer des Oxycontin-Herstellers Purdue Pharma.

Die Geschichte der Sacklers, die in dem Erfinder der Pillen-Kommerzialisierung, Arthur Sackler, und dessen Neffen, dem Oxycontin-Paten Richard Sackler, ihre Oberschurken hat, wurde unlängst von Patrick Radden Keefe in seinem romanhaft geschriebenen Sachbuch „Imperium der Schmerzen“ erzählt. Auf dem nun beruht dieser anfänglich auch im Stile des Gangsterfilms und mit Pop-Soundtrack verfilmte Wut-Thriller – er ist, mit schnellen Schnitten, ein Turbo-Trip durch ein versehrtes Land, in dem sich die Leichen türmen.

Neu auf Netflix: als Heroin in Tablettenform unter die Leute kam

„Painkiller“ ist ein Pharma-Porno, ein Amerika-Porno. Eine Erzählung, die überdeutlich und explizit Sucht, gesellschaftliches Abgeschlagensein, soziale Unterschiede, Geldgier, den unbedingten Glauben an den Kapitalismus, die Rücksichtslosigkeit im eigenen Vorankommen ausstellt. Oxycontin ist so etwas wie Heroin in Tablettenform, und die Hersteller wussten früh, dass es süchtig macht.

Die Tatsache, dass die Sacklers, einst willkommene Mäzene, seit einigen Jahren Amerikas bestgehasste Dynastie sind, weil ihr Milliarden-geiler Zynismus unzählige Menschen unglücklich machte? Sie lässt sich in einem Mehrteiler, der die „ganze Geschichte“ darstellen will, die der Täter und Opfer, nur auf eine Weise erzählen, der fraglos parteiischen.

Dass eine Designerdroge, die schon früh besonders Jugendliche als klein gehackte Tabletten durch die Nase zogen, legal Hunderttausenden verschrieben wurde, ist völlig irre. Und ausgehend von dieser Annahme erzählt „Painkiller“ von der Skrupellosigkeit und der Kälte insbesondere Richard Sacklers (Matthew Broderick).

Die Handlung (Drehbuch: Micah Fitzerman-Blue und Noah Harpster, Regie: Peter Berg) lässt sich pointiert in Parallelmontagen kontrastreich darstellen: Sackler biegt mit seinem Luxuswagen in sein feudales Anwesen ein, Glen Kryger bricht nach einer Überdosis im Diner zusammen.

Netflix-Serie „Painkiller“: Zwischentöne gibt es nicht

Über allem liegt die Erzählerstimme der fiktiven FBI-Agentin Edie, die als Erste erkennt, dass der Siegeszug eines Schmerzmittels im Hinblick auf Kriminalitätsraten und Todesfallstatistiken Ähnlichkeiten mit der Crack-Epidemie in den 1980er-Jahren aufweist. Ihre Schilderungen sind eine epische Anklage, und sie legen sich mal über wenig schmeichelhafte Bilder der zankenden Sackler-Sippe, mal über das ruchlose Tun der Purdue-Pharma-Vertreter.

„Painkiller“ gibt sich, was das Personal der Serie angeht, ausnahmslos mit Klischees zufrieden. Wo sollen Zwischentöne auch herkommen, wenn Elend, Versagen und Schicksalhaftigkeit so offenbar sind? Die Serie ist nie subtil, weder in der Metaphorik noch in den Songs. Die Oxycontin-PR-Szenen bekommen viel Raum, weil sie den Erfolg der todbringenden Tabletten erst ermöglichten: Es ist „Sabotage“ von den Beastie Boys, das das strahlende Klinkenputzen der Pharma-Dealer untermalt. Und es sind alte, schwanzgesteuerte Weißkittel-Böcke, die sich vom knackig-cleanen Verkäufer-Duo Shannon Shaeffer (West Duchovny) und Britt Hufford (Dina Shihabi) die Pillen aufdrängen lassen. Wie gesagt, alles recht grell hier.

Taylor Kitsch als Schmerzmittel-Süchtiger Glen Kryger in „Painkiller“.
Taylor Kitsch als Schmerzmittel-Süchtiger Glen Kryger in „Painkiller“. © KERI ANDERSON/NETFLIX

Geht auch eine dunkle Faszination von diesem Thema aus? So wie Gangster-Epen, in denen es ja auch immer Tote gibt, halt ebenso ihren Reiz haben? In manchen Momenten vielleicht. Als der Staat Purdue Pharma auf die Pelle rückt, hängt alles davon ab, dass er Insider findet, die das Unternehmen belasten. Dieses Bemühen setzt die Serie dramaturgisch gekonnt in Szene.

Als wolle „Painkiller“ der hochtourigen, spannenden Aufbereitung der Opioidkrise für ein breites Publikum den bitterernsten Authentizitätsstempel („Diese Serie basiert auf wahren Ereignissen“) aufdrücken, ist jeder der sechs Folgen eine trauernde Mutter vorangeschaltet, die ihr Kind an das Teufelszeug der Sacklers verloren hat. Was die Unterhaltsamkeit angeht, ist sich „Painkiller“ selbst verdächtig.

US-Dynastie Sackler – die Banalität des Bösen

Die Mini-Serie wiederholt das, was über das ruchlose Agieren der Pharmaindustrie bekannt ist. Von Hyper-Zynismus kann gut erzählt werden, auch wenn das Böse bekannterweise oft banal ist. Als die Behörden, die sie vorher mit Geld und lächerlichen wissenschaftlichen „Beweisen“ hinsichtlich der Unbedenklichkeit von Oxycontin korrumpiert haben, sich endlich konsequent an die Fersen ihrer Firma heften, bringen die Sacklers das Narrativ unter die Leute, wonach die Drogensüchtigen an der Misere schuld seien, nicht die Droge.

„Wir verstehen Schmerzen“, sagt Richard Sackler einmal, als er seine Pläne bei den für sprudelnde Dollars so empfänglichen Familienmitgliedern pitcht. Mit diesem „Verständnis“ schuf er ein Milliardenmonster, das Hunderttausende verschlang. Insofern ist „Painkiller“ das seine Effekte kühl berechnende Porträt eines verdorbenen Landes, das sich Erlösung durch eine Pille erhoffte und damit den amerikanischen Traum endgültig ruinierte.