Hamburg. Die „Barokksolistene“ verwandelten den Großen Saal der Elbphilharmonie in einen Pub im 17. Jahrhundert. Das Publikum jauchzte begeistert.
Neun mehr oder weniger mittelalte Lads, die in Feierabendkleidung mit einem Bierglas in der Hand auf die Bühne kommen, auf der ein Fass, ein gut eingesessenes Sofa, ein Stehtisch und einige Lampenschirme zwischen ihren Instrumenten verteilt sind? Konzerte mit handverlesenen Musik-Antiquitäten aus dem England von Oliver Cromwell und Charles I., John Dowland und Henry Purcell beginnen normalerweise wohl etwas manierlicher und weniger hemdsärmelig.
Die „Barokksolistene“ unter Leitung des norwegischen Alte-Musik-Spezialisten Bjarte Eikels haben sich für ihren Auftritt im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals konzeptionell aber nicht auf der Suche nach dem nächstbesten Hafenkanten-Pub ins Hamburger Wahrzeichen verlaufen. Das soll ganz eindeutig alles so.
Im Großen Saal der Elbphilharmonie: Herrengedeck mit Bar(ock)musik
Ihre „Alehouse Sessions“, deren erfolgreiche Hausmarke seit vielen Jahren, sind Musikgeschichts-Lektionen über das hochprozentige Miteinander von Hoch- und Kneipenkultur im „merry olde England“ des 17. Jahrhunderts, die man sich ganz und gar nicht schöntrinken müsste, weil sie an sich schon so unterhaltsam sind. Damals gab es einen Zeitraum, in dem Theater und Konzertsäle auf Weisung von oben geschlossen wurden und die arbeitslos gewordenen Profis sich in den vielen Tavernen des Landes unter die Amateure mischten.
Die Gerstenkaltschalen beim Einlauf waren natürlich vor allem Requisiten für die Show; was die Herren im Großen Saal der Elbphilharmonie danach knapp zwei Stunden lang vom Stapel ließen, war durchgängig hochprofessionell und auch stilistisch gekonnt. Was hier so einfach und spontan dahingealbert wirkte, muss eine extrem anspruchsvolle Recherche- und Probenarbeit verursacht haben.
Elbphilharmonie: Das Publikum wurde zum fröhlichen Mitmachen animiert
Barockgitarrist Steven Player kitzelte schon früh die ersten Begeisterungs-Jauchzer aus den Rängen, weil er wie eine Ein-Mann-Riverdance-Frontline an der Rampe loslegte. Jeder der vier Geiger, alle mit historisch informierten Barockbögen unterwegs, erwies sich als singfest und spielfreudig. Mehrstimmiger Gesang, anspruchsvolle Harmoniefolgen, kunstvoll miteinander verwoben? Gar kein Problem. Und der Kontrabassist, der Schlagzeuger und die Bestie am Harmonium bildeten den sicher tuckernden Viertakt-Motor der Songs.
Deren Mischung war bezaubernd überraschend – von Beispielen aus dem 1651er-Tresenhits-Sampler „The English Dancing Master“ über rustikal rausgehauene Shanties und Gute-Laune-Folklore bis zu gefühlvollen Balladen aus der Zeit des Bürgerkriegs, ganz selbstverständlich kombiniert mit der einen oder anderen nobel aufpolierten Musiktheater-Perle aus dem Werkkatalog von Henry Purcell. Das Motto des Abends, mal eben bei einem Prince-Klassiker ausgeliehen: „Let’s party like it’s 1699“.
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Wie es sich für diese sehr spezielle Art von Bar(ock)musik gehörte, wurde das Publikum kräftig zum Mitsingen animiert. Und weil das so schön war, wurde außerdem das bei der EM 2016 bekannt gewordene „Huh!“ der isländischen Fußballnationalmannschaft in die Show eingemeindet. Auch ohne Lokalrunde auf Kosten des Hauses für die knapp 2000 Menschen ein echter Spaß. Allein die liebevoll in Zeitlupe simulierte Kneipen-Klopperei im Zugabenteil war diese kleine Zeitreise wert.