Salzburg. Martin Kušej macht aus Mozarts „Le Nozze di Figaro“ eine Nummern-Revue, die amüsieren will. Am Ende fehlt die Deutungsmunition.
Zuschauer, gerätst du in eine Opern-Inszenierung von Martin Kušej, lass alle Hoffnung auf zutiefst herzensgute Anständigkeiten fahren. Das hohe moralische Ross bleibt konsequent ungesattelt und die halbwegs Guten sind halt nur weniger frontal fies als die noch Böseren.
Also stellt Kušej zu Beginn seiner cool räudig loslegenden Boulevardkriminalisierung von Mozarts„Le Nozze di Figaro“ das misshandelnde Personal zum Gruppenbild vor einen edlen Wandteppich, als sollten sie dort erkennungsdienstlich für die örtliche Verbrecherkartei abgelichtet werden.
Die Herren: Schmierlappen, die Damen: bei aller Liebe, charakterlich dann doch herausfordernd. Während die Wiener Philharmoniker sich bei der ersten Opern-Premiere der Salzburger Festspiele mit der Ouvertüre warmspielen, werfen alle Mitwirkenden schnell noch eine Portion der Droge ihrer Wahl ein, bevor sie in einem kühl reduzierten Hotel-Komplex mit riesiger Bar aufeinander losgehen.
Salzburger Festspiele: Pack schlägt sich, Pack vermählt sich
Da Dezenz bei Kušej offenbar keine löbliche Tugend, sondern verachtenswerte Schwäche wäre, legt er mehrfach deftig nach, um das Libretto mit Schauwert-Action aufzuladen. Buchstäblich zwischen Tür und Angel, als kleiner Gruß aus der Küche gewissermaßen, knipst der schwer mafiös gestylte Graf mit der immer griffbereiten Handfeuerwaffe irgendeinen Kerl am Bühnenrand aus.
Zwischen den Liebesschwüren an die eigene Frau und die von ihm mit lüsterner Routine bejagte Susanna gönnt er sich eine Triebabfuhr-Runde mit einer schönen Nackten, die ihn für das Honorar danach auch noch komplett wieder ankleiden darf. Als der Chor diesen Blaublüter als Mann von Welt lobpreist, lässt der Regisseur vor der großen Terrassentür etliche junge Frauen als dessen Opfer mit wenig Stoff am Leib so wütend wie machtlos im Regen stehen. Schon arg zynisch, das Ganze.
Am Ende geht die Deutungsmunition aus
Putzig tarantinoesk dahingestellt ist auch das Ende des zweiten Akts, in dem sich alle mit ihren Knarren bedrohen, weil niemand allen anderen auch nur von dort bis zur nächsten Kellerwand traut. Sonderbar und ernüchternd wirkt dann allerdings, dass dem Provokateur Kušej am Ende eher kleinlaut die Deutungsmunition ausgeht und nur noch Platzpatronen zum Einsatz kommen.
Das große Verwirrspiel im vierten Akt, wer warum wer im Dunkel des Gartens ist (hier aus nahezu blickdichtem Schilfgras), spult er beziehungstechnisch noch unfallfrei ab. Doch sobald es ans Happy End geht, wird die finale Besinnung auf innere Werte einfach nur noch abgearbeitet, weil man zum geläuterten Ende kommen muss. Wie eine Rückkopplung auf den Start stehen alle wieder dort an der Rampe, wo sie losgelegt hatten.
Menschen von heute, die sich an den vertonten Konventionen der Mozart-Zeit reiben, bis es heiß wird, das hatte Salzburg zuletzt großartig 2020 in der Corona-„Così“ von Christof Loy und Joana Mallwitz zu bieten, und der nächste große Déjà-vu-Schub dieses Premierenabends geht zurück bis zu Kušejs bitterbösem „Don Giovanni“ mit viel entblößter Haut und ähnlich wenig Moral, durch die 2002 eine gewisse Anna Netrebko über Nacht zum Star wurde.
Salzburger Festspiele: Andrè Schuen ist ein stimmlich makellos glänzender Graf
Weil der jetzige Intendant Markus Hinterhäuser sehr auf Kontinuität und gesetzte Namen setzt, ist zumindest ein Teil des „Così“-Casts wieder dabei: Andrè Schuen ist diesmal ein stimmlich und schauspielerisch makellos glänzender Graf, seit seinem Hamburger „Don Giovanni“ hat er sich bestens weiterentwickelt.
Lea Desandre, nun in der Hosenanzugrolle als hormonell voll betankter Cherubino? Reizend, rasant, mit sinnlicher Frechheit und dem Mut zur Zeitlupe, wenn zwischen den vielen Flirts mit dieser oder jener auch mal Zeit zum Schmachten ist. In solchen seltenen Momenten bremst Pichon die musikalische Uhr ab, gibt dieser Sopranistin, die wie er viel Barock-Expertise hat, Freiraum zum Ausleben dieses Affekts.
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Sabine Devieilhes Susanna ist ein Biest mit blattvergoldetem Herzen, was dieser Stimme an bloßer Durchsetzungskraft fehlt, gleicht sie durch Charisma, Leuchtkraft und Temperament wieder aus.
Krzysztof Bączyk ist als Figaro vor allem ein Bass-Brocken, aber dabei zu rustikal auftrumpfend, um auch noch zum Sympathieträger zu werden. Außer in ihrer großen „Dove sono …“-Arie im dritten Akt, in der sie mit lyrischer Sanftheit bei den Spitzentönen zum gerührten Hinhören zwingt, wächst Adriana González als Gräfin nicht wirklich über das hier Erwartbare hinaus.
Salzburger Festspiele: Schön war’s, zu wenig anders war’s damit aber auch
Wirklich interessant wäre gewesen, was der Salzburg-Debütant Raphaël Pichon so alles aus der Partitur herausgeholt und vor allem -geschärft hätte, wäre er mit einem Orchester angetreten, das wie er (und wie 2002 der Klangrede-Philosoph Nikolaus Harnoncourt) seine innere Kompassausrichtung in der historisch informierten Aufführungspraxis hat. Die Wiener Philharmoniker sind so ein Orchester nun mal nicht und wollten offenkundig auch nicht immer ganz wie dieser Gast-Dirigent. Klar, Luxus-Klangkörper und so, stolze Hausmacht beim Festival an der Salzach, da kann eben nicht jeder kommen.
Mehrfach waren Orchester und Bühne bei den Tempi nicht ganz auf der gleichen Linie. Vor den ersten Tönen der Ouvertüre hatte Pichon sich und das Tutti noch kurz auf seine eigenen Absichten eingefedert, doch je weiter der Abend, desto wienerphilharmonikeriger wurde das Geschehen aus dem hochgefahrenen Graben – immer fein fürs viele Eintrittsgeld, aber nie wirklich risikosuchend überraschend oder rasant sich in die Kurve legend. Schön war’s, zu wenig anders als normgelungen war’s damit aber auch. Und hätte Kušej sich am Ende nicht auch einige wütende Buh-Rufe zum Beifall abholen können, hätte wohl auch ihm etwas gefehlt.