Salzburg. Bei den Salzburger Festspielen beglückte die „Così fan tutte“-Premiere. Im Anschluss rang der Pianist Igor Levit mit Beethoven.

Einige Menschen, eine Bühne und das Können, die Geschichte mit Musik zu erzählen – das wäre alles, was ein aufrichtiger, anrührender Opern-Abend benötigt. Bei den Salzburger Festspielen gelang das, ideal, herzerwärmend und wegen der Corona-Krise, die fast alle ursprünglichen Planungen eingestampft hatte, sogar in Rekordzeit. Alles in allem darf, ach was: muss man das ein Mozart-Wunder nennen.

Das Leben kann so einfach kompliziert sein. Eine Wand, zwei Flügeltüren, Treppenstufen und sechs Menschen wie im Hier und Jetzt, diese gegenwärtige Welt haben die liebevoll mitdenkende Dirigentin Joana Mallwitz und der paartherapeutisch hellsichtige Regisseur Christof Loy mit der Musik von Mozarts „Così fan tutte“ erschaffen.

Um ein Drittel vor allem durch den Rauswurf von sachundienlichen Rezitativen auf zwei pausenlose, coronakompatible Stunden gestrafft, und doch fehlte nichts, um zu verstehen, wie vier Menschen sich von ihren Gefühlen leiten – und verleiten – lassen. Das fängt mit kleinen, gar nicht nebensächlichen Gesten an. Wie in jener Szene zu Beginn, als Fiordiligi kurz die Pumps auf Johannes Leiackers Bühne anzieht, um für einen ersten Moment etwas erwachsener zu sein, als sie ist.

Großes, reifes, leichtsinnliches Musik-Theater

Die Reifeprüfung beginnt sofort danach, weil sie und Dorabella ja von ihrem jeweiligen Partner fies auf die Treue-Probe gestellt werden sollen, um eine Wette mit einem älteren Herren zu gewinnen. Den Verkleidungs-Klimbim mit dem albernen Albaner-Trick, der in Mozarts Zeiten überschminken sollte, dass sich zwei frisch verknallte Paare gegenseitig nicht erkennen, hat Loy aufs Mindestmaß reduziert. Er und Mallwitz wollen und können zeigen, wie blind Liebe machen kann und wie Erwachsenwerden passiert und schmerzt, wenn man nicht aufpasst.

Dafür leistet Mallwitz im absoluten Einklang mit den Wiener Philharmonikern vom ersten Einsatz an Erstaunliches. Was Nikolaus Harnoncourt „Klangrede“ nannte und subtil beherrschte, führt die erste Dirigentin, die bei diesen Festspielen seit der Gründung vor 100 Jahren eine Premiere leitet, mustergütig vor.

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Jede Phrase wird mitempfunden, sie ordnet nichts selbstherrlich an, sondern lädt das den Glanz dosierende Orchester ein, und wenn es nur ein Solo-Einwurf eines Bläsers ist. Mallwitz nutzt jede Gelegenheit zum geschmeidigen, aufmerksamen Miteinander, das Orchester atmet mit den Sängern.

Ein Top-Tutti im luftig klein besetzten Graben

Für diesen Aufklärungsunterricht nach Noten hatte Mallwitz ein Top-Tutti im luftig klein besetzten Graben zur Verfügung und ein wunderbar handverlesenes Ensemble auf der Bühne. Man versteht alle Aussagen, alle Blicke. Großes, reifes, leichtsinnliches Musik-Theater.

Bogdan Volkov ist als Ferrando ein fein aussingender Mozart-Tenor, der seine stimmliche Ergänzung im satten, aber nicht starren Bariton von Andrè Schuen findet. In Hamburg hatte Schuen als Don Giovanni die szenisch verunglückte „Don Giovanni“-Inszenierung von Jan Bosse immerhin hörenswert gemacht, hier ist er als Guglielmo noch mehr in seinem Element.

Don Alfonso – mal nicht als Schmierlappen

Den Don Alfonso, den Strippenzieher hinter dem Beziehungsdurcheinander, nicht als Schmierlappen darzustellen, muss man nicht nur wollen, sondern auch können. Johannes Martin Kränzle untertreibt und trifft damit den Wesenskern besser als durch Überzeichnung.

Hochtouriger Gegenpart ist die Despina von Lea Desandre, die jede Kammerzofe-Pointe am Notenrand dankbar mitnimmt, jede ihrer Szenen gerade so sehr überdreht, dass es noch passt. Marianne Crebassa ist in Salzburg als Mozart-Mezzo abonniert und dabei immer ein Garant für beeindruckende Rollengestaltung. Auch jetzt, als Dorabella, schafft sie es, scheinbar mühelos, diese Gratwanderung zwischen Unbekümmertheit und Verzweiflung, absturzfrei und schlank strahlend in der Höhe.

Kontinuierliche Steigerug des entzückenden kleinen Erbebens

Elsa Dreisig startet als Fiordiligi mit einem entzückenden kleinen Erdbeben und steigert sich danach kontinuierlich. Sie ist die Stimme, um die sich diese Inszenierung dreht, ihre Präsenz ist bis zum kollektiven Happy End enorm. Es bleibt sehr zu hoffen, dass die Pandemie ihren Hamburger Staatsopern-Auftritt als Manon Anfang 2021 nicht verhindert.

Eigentlich war Mallwitz für eine „Zauberflöte“-Wiederaufnahme vorgesehen gewesen, Loy hätte einen neuen „Boris Godunov“ stemmen sollen. Dass es nun, mit diesem Kammerspiel der gebrochenen Herzen, anders kam, ist sensationelles Glück im epochalen Unglück und schreibt, anders als gedacht, ein Kapitel Festspiel-Geschichte. Enormer Beifall, der wohl nur deswegen schnell endet, weil die Skrupel vor Menschentrauben am Ausgang größer ist als die Seligkeit, das hier und jetzt gehört und bis ins Mark gespürt zu haben, nach Monaten des Entzugs, Mozart, ausgerechnet.

Beethoven-Marathon von Igor Levit als innere Notwendigkeit

Auch der Beethoven-Marathon von Igor Levit, der knapp zwei Stunden später beginnt, im nicht ausverkauften „Haus für Mozart“, ist Notwehr gegen äußere Umstände. Und auch hier hörte man dem Ergebnis an, dass diese Klaviersonaten für ihn nicht nur Musik, sondern auch innere Notwendigkeit sind. Wie schon beim Start des Zyklus, in einer gänzlich anderen Zeit und in der Elbphilharmonie, beginnt Levit mit der ersten Sonate op. 2/1, um dann nach zwei mittleren beim ersten steilen Gipfel, der Waldstein-Sonate, anzukommen.

Da ist viel Schönes, Tolles gar dabei. Doch was – noch – fehlt bei dieser Rückkehr ins Rampenlicht, ist das Besinnen auf den eigenen Ruhepuls und auf eine differenzierende Klanggestaltung. Wer alle Noten spielt, spielt damit noch nicht die gesamte Musik. Bei op. 2 / 1 verpasst Levit so einige Gelegenheiten.

Der Trauermarsch in op. 26 ist ernst und groß, erhaben und finster, die G-Dur-Sonate op. 79 findet im Andante ihre versonnene Mitte. In den Kopfsatz der Waldstein-Sonate stürmt Levit so rasant hinein, dass ihn seine Fingerschnelligkeit nur knapp vor dem Überschlag bewahren kann. Dafür zeichnet er das Adagio sensibel als Übergang in die jubilierende Zuversicht des Finales. Balance wiederzufinden ist schwer, nach wie vor.

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