Hamburg. Der Liedermacher trug empfindsame Songs mit Inbrunst vor. Und empfahl seinem Publikum einen Knoten im Taschentuch.
Gibt es das, natürliche Verbindungen zwischen Künstlern und den Orten, an denen sie auftreten? Sicher das. Philipp Poisel und der Hamburger Stadtpark, das passte am Dienstagabend ganz gut. Da stimmten die Vibes. Da sang der Philipp, und die gar nicht mal überwiegend weibliche Anhängerschaft schmolz dahin. Wirklich!
Die romantische Kulisse der Stadtparkbühne ist wie gemacht für den Gefühlssänger aus dem Schwabenland, der keinen Geiz kennt und keine Engstirnigkeit: Philipp Poisel schüttet die Feelings in großen Schwüngen in die Welt. Und das immer auf Deutsch.
Im Stadtpark vom ersten Lied „Wunder“ an – kann schon sein, dass Poisels Leute umstandslos Gänsehaut bekamen. Und dabei empfanden, was offensichtlich war: Der gerade 40 Jahre alt gewordene Musiker funktioniert mindestens in Hamburg am besten unter freiem Himmel. Zuletzt in der Barclays Arena war Poisel nicht ganz so in Form, und in der Sporthalle war er vor vielen Jahren auch nicht so der Bringer. Aber Stadtpark? Perfekt.
Philipp Poisel: Hamburger Stadtpark ist genau die richtige Konzertbühne
Was auch jetzt wieder daran lag, dass Poisels zwischen intimer Seelenguckerei und alle umarmender Menschlichkeit changierendes Liedhandwerk in die behagliche 1-a-Luxus-Laube Freilichtbühne wirklich gut passt. Sie ist klein genug, um große Gefühle in voller Pracht zu entfalten. Philipp, sing uns noch ein Lied! Eins von der Sehnsucht!
Genau, die kleine Welt ist für den Mann, der unbedingt sein Herz auf der Zunge tragen will, theoretisch gar nichts. „Bis nach Toulouse“ ist der Liebeskummersong schlechthin im Repertoire des Liedermachers, der einfach reimt, weil er es kann: „Wenns mir zu viel wird,/Dann steige ich aus,/Und dann steige ich ein,/In meinen Wagen,/Der wird mich tragen,/Bis nach Paris,/Wo ich auf den Turm steig,/Und die Aussicht genieß/Er wird mich tragen,/Bis nach Toulouse,/Und dort hinterlass ich,/Dir einen Gruß,/Er wird mich tragen,/Bis nach Marseille,/Dort ist es okay,/Dort ist es okay.“
„Toulouse“ spielte Philipp Poisel an diesem Abend spät. Er adressierte dabei die Unruhen in Frankreich. Ein bisschen authentisch artikulierte Aktualität, das durfte und musste auch mal sein. Aber sonst ging es mit den Songs von Poisel ausschließlich um das Ich und das Du.
Philipp Poisel im Stadtpark – das Hamburger Publikum goutiert alles
Für seine Fans ging das Berührungsprogramm Poisels auch an diesem Abend schwer okay. Sein viertes Album „Neon“ stammt von 2021, von ihm spielten Poisel und seine Band etliche Stücke; als Musiker hat man den Jackpot gewonnen, wenn es aber eh egal ist, ob man Klassiker spielt oder das neuere Zeug. Das Publikum goutiert alles. Wie im Stadtpark: Die Stimmung war bestens. Weil ein Schöpfer von Versen wie „Ohne dich will ich nicht sein“ die völlig unironische Romantikbereitschaft vieler auf den Punkt trifft.
Manche seiner Songs muss man sich wie die in Regenschutzfolien gehüllten Besucherinnen und Besucher des Konzerts vorstellen, die ein bisschen bedröppelt für Pommes anstanden. Man wusste nicht, ob sie so melancholisch schauten, weil es vorher ziemlich nass war. Oder deswegen, weil die Sonne wieder rausgekommen war und man immer noch dieses blöde Plastik durch die Gegend trug. So ist das Leben.
Für jeden – und vielleicht kommen Poisels Stücke deswegen so gut an: Man kann sich drauf verlassen, dass andere genauso fühlen. Wem treuherzige Gefühligkeit in Texten ohne doppelten Boden allerdings auf die Nerven geht, der ist bei Poisel sowieso fehl am Platz. Nur Zyniker nennen soft, was doch absolut sentimentale Härte ist: „Jetzt steh ich am Ufer./Die Flut unter mir./Das Wasser zum Hals./Warum bist du nicht hier./Ich will dich einmal noch lieben/Wie beim allerersten Mal./Will dich einmal noch küssen/In deinen offenen Haaren.“
Philipp Poisel holt das Publikum im Stadtpark von den Stühlen
Der Song mit jenen Zeilen heißt „Eiserner Steg“, und als Poisel ihn ankündigte, sprach er, um in der Bildsprache seines Lieds zu bleiben, vom Hochwasser – „in Hamburg weiß man ja, wie das geht.“ Wenn er damit auch meinte, dass sein Herzschmerz immer für Pipi in den Augen sorgen soll, war das schon richtig so mit dem Wasser.
Der Stadtpark war bestuhlt, übrigens. Man durfte also in zurückgelehnter Haltung die live mitunter durchaus druckvollen Stücke erleben. Beinahe-Rock im Sitzen, na ja. Das Arrangement war allerdings perfekt, als Poisel allein mit der Akustikgitarre „Froh dabei zu sein“ vortrug, samt zartem Chorgesang des Publikums. Es dauerte dann bis zum in der Tat mitreißenden „Zünde alle Feuer“, bis dieses Publikum zappelnd auf den Beinen war.
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Eben noch von den Gefühlen geprügelt, jetzt vom Uptempo gestreichelt. Für „Ich will nur“ blieben die Leute dann gleich stehen – und den ganzen, empfindsamen Rest des Konzerts auch.
„Macht euch ’nen kleinen Knoten ins Taschentuch“, rief Poisel einmal ins Rund, und das versinnbildlichte dann, dass es seinen Liedern guttut, wenn sie auch mal mehr laut als leise sind. Der Indierocker Poisel hat fraglos seine Qualitäten. Aber „All die Jahre“, das schöne Lied von der Nostalgie, war im Stadtpark genau richtig, als es beides war, leise und laut zugleich.
Am Ende gab’s noch „Wie soll ein Mensch das ertragen“, Kitsch as Kitsch can also. Wer ein Herz hat, der braucht auch Songs, die ans Herz gehen, oder?
Man kann bei Poisel ungeniert ins Bier weinen, theoretisch.