Hamburg. Der populärste Musiker des Planeten trat im Volksparkstadion auf. Er legte den Ultraturbo ein: viele Hits, ein Rausch – und Popspektakel.

Oh Mann, in der Kategorie „Überwältigungsknüller“ ist The Weeknd wahrscheinlich zurzeit nicht zu toppen, als Dompteur der Massen nicht zu stoppen. Schon gar nicht von möglicher räumlicher Begrenzung. Auch im Hamburger Volksparkstadion, wo der kanadische Superstar am Sonntagabend auf seiner Welttournee haltmachte, verlängerte sich die Bühne um einen laaaangen Steg ins Publikum hinein. Einen Catwalk, den The Weeknd weidlich ausnutzte. Man kann ja auch viel anstellen mit der Auslauffläche.

Man kann sie zum Beispiel Feuer speien lassen. Oder mit fetten Strahlern illuminieren. Was das angeht, war der Riesenroboter – dominant auf dem Steg postiert – ein beschäftigter Arbeiter an diesem denkwürdigen Abend: Aus seinen Augen schossen bunte Blitze. Er war ein Feldherr, der auch über die Abteilung Licht gebot, und seine Armee bestand aus den wie Wüstennomaden gekleideten Tänzerinnen, die sich beständig um ihn oder in seiner Sichtachse gruppierten.

The Weeknd in Hamburg – Popspektakel mit viel Geblinke

Und der König selbst? Es war der erfolgreichste und meistgehörte Popkünstler der Gegenwart, der in diesem Sommer erstmals seinem deutschen Publikum die Aufwartung machte und dabei dafür sorgte, dass wirklich pausenlos etwas geboten war – das Auge des Betrachters wusste oft nicht, wo es hinschauen sollte.

Dass The Weeknd bei diesem Popspektakel mit viel Geblinke und einer metallischen, Laser-bewehrten Stadtlandschaft auf der Bühne, einer Skyline der Herrlichkeit und der Zerstörung, selbst erst mal lange mit anonymer Maske auftrat, verwunderte nicht. Der Kerl ist eine Maschine und nichts anderes; zwar nur fast so ein Popgenie wie Michael Jackson oder Prince, aber in der Mischung der Poptexturen wahrscheinlich noch gewiefter. Ein Musiker des 21. Jahrhunderts. Sein R’n’B ist auch für Leute delektabel, denen R’n’B eigentlich zu hohl ist. Dabei ist doch in Wirklichkeit nichts so glatt wie ein The-Weeknd-Knaller.

Kurz vor dem Auftritt von The Weeknd wurde eine Figur umtanzt, die an den Maschinenmenschen Maria aus dem Film „Metropolis“ erinnert.
Kurz vor dem Auftritt von The Weeknd wurde eine Figur umtanzt, die an den Maschinenmenschen Maria aus dem Film „Metropolis“ erinnert. © THORSTEN AHLF

The Weeknd hat in der vergangenen Dekade Hits am Fließband abgeliefert und eine Persona im Popbusiness etabliert, die das Leben feiert und gleichermaßen den Selbstzerfall zelebriert.

The Weeknd in Hamburg – Zehntausende Arme flackern ekstatisch

Sein letztes Album „Dawn FM“ war, so hatte man The Weeknds Erklärung zum Konzept jedenfalls verstanden, eine Art Radiosendung zum Tod des jeweiligen Hörers. Ambitioniert, vielleicht auch verquast; aber auf suggestive Inszenierungen versteht sich The Weeknd trotzdem. Auch in Hamburg: Die Postapokalyptik des Bühnenbilds verwandelte sich im Laufe der Show in leuchtenden Futurismus. Konnte gar nicht anders sein, denn die Fröhlichkeit des The-Weeknd-Popentwurfs kann immer schon jeden ästhetischen Ramsch verschönern. Die Dunkelheit gleißend aufhellen.

Eines der stilisierten Gebäude auf der Bühne war übrigens der CN Tower in Toronto. Eine Reminiszenz an die Heimatstadt Abel Tesfayes, wie The Weeknd mit bürgerlichem Namen heißt. Er wird auf dieser Tour, diesem Triumphzug durch die gigantischen Venues der westlichen Welt – allein im Nordamerika-Teil der Tour sahen ihn eine Million Leute – vielleicht auch das Angekommensein auf dem Olymp realisieren, schon möglich.

The Weeknd präsentierte sich den Fans im Volksparkstadion zunächst mit anonymer Maske.
The Weeknd präsentierte sich den Fans im Volksparkstadion zunächst mit anonymer Maske. © THORSTEN AHLF

Wie sollte man da schlecht gelaunt sein? Aber die düstere Atmosphäre seiner Musikvideos kontrastierte The Weeknds freundliche Zugewandtheit doch auffallend. Die Menge trug schon artig LED-Armbänder, als der Wochenend-Trip mit den Songs „Take My Breath“, „Sacrifice“, „How Do I Make You Love Me“ und „Can’t Feel My Face” begann. Später flackerten Zehntausende Arme dann ekstatisch – etwa beim modernen Disco-Klassiker „Starboy“. Riesensong.

Abel Tesfaye gibt im Volksparkstadion den charmanten Unterhalter

Die Setlist auf der aktuellen Tour ist als Querschnitt seines bisherigen Schaffens gleichzeitig eine Jukebox des vergangenen Popjahrzehnts, dessen Sound The Weeknd wenn nicht definierte, so doch bündig katalysierte. Live funktioniert sein polierter, umwegloser R-’n’-B-Pop als Neo-Soul-Inkarnation gut. Tesfayes Singstimme ist über alle Zweifel erhaben.

Was allerdings, zumindest im neuesten Update, nicht für seine Kunstperson gilt. The Weeknds Version des Popmagiers mit den inneren Abgründen, zu deren Lifestyle viel Sex und viele Drogen gehören, wird derzeit in der heftig missratenen TV-Serie „The Idol“ auf die Spitze getrieben.

Im Volkspark war er, der creepy Hedonist, der den Ruhm um des Ruhms willen liebt, aber auch von Selbstzerstörung träumt, ein charmanter Unterhalter. Ein freundlicher Mensch ohne teuflische Absichten, der ein Stadion locker bei der Stange halten kann.

The Weeknd – Konzert in Hamburg wird zum Sinnbild seiner Karriere

In den sozialen Netzwerken ist Abel Tesfaye seit Kurzem übrigens nicht mehr als The Weeknd unterwegs. Ob es mehr als Koketterie ist, dass er nach eigenem Bekunden „The Weeknd immer noch töten“, dass er „neu geboren werden“ wolle?

Die Wiedergeburt als ganz neuer Künstler, die Häutung zu jemand anderem – ein alter Traum. In Hamburg war Adel Tesfaye in seiner gar nicht alt wirkenden The-Weeknd-Haut zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Der Abend war also sinnbildlich für die bisherige märchenhafte Karriere des 33-Jährigen.

Beim Monsterhit „Blinding Lights“, der im letzten Konzertteil kam, bewunderte man noch mal das methodische Vorgehen des Musikers The Weeknd, der seine Lieder in Teamarbeit mit etlichen Produzenten schreibt: klarster Klau von 80s-Synthiepop. Popschlageresk beinah, im Video tanzt und prollt The Weeknd in der Muskelkarre atemlos durch die Nacht. Die Leute lieben dieses Stück. Und Tesfaye hätte garantiert gerne den Soundtrack von „Drive“ gemacht, aber ob er „A Real Hero“ tatsächlich besser hinbekommen hätte?

Nach „Blinding Lights“ rauschte The Weeknd in den Zugabenteil. Was für eine rasante Show insgesamt. Mehr als 30 pumpende Gassenhauer für diese pure Gegenwart eines großen Open-Air-Konzerts, in der der Zeitgeist maßgeblich festgenagelt wurde, in knapp zwei Stunden. Ein Song ergab sich dem anderen, und alles war am Ende eins: das gigantische Schauspiel The Weeknd, eine Reise ohne Bremsvorrichtung.