Hamburg. Antisemitismus-Vorwürfe gegen Mitgründer von Pink Floyd. Hamburgs jüdische Gemeinde positioniert sich. Wird Roger Waters klagen?

Eigentlich ist George Roger Waters Musiker – einer der einflussreichsten Rockmusiker der Gegenwart. In diesem Frühjahr ist der 79 Jahre alte Engländer auf seiner „ersten Abschiedstour“ durch Europa, wie es auf Plakaten heißt. Doch seit Wochen schlagen die Aussagen des Mitbegründers der Band Pink Floyd zum Thema eines kulturellen Boykotts Israels vorab hohe Wellen; weitere Äußerungen von Waters’ etwa zur Politik Wladimir Putins sorgen für Irritationen und Empörung.

Das letzte seiner sechs geplanten Deutschland-Konzerte am 28. Mai in Frankfurt am Main hat die Stadt bereits absagen lassen, in München ist eine Absage im Gespräch. Soll Waters, für den die Barclays Arena am 7. Mai gebucht ist, noch in Hamburg auftreten dürfen? Daniel Killy, Mitglied im Beirat der Jüdischen Gemeinde und Co-Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Hamburg (beides ehrenamtlich), nimmt dazu im Hamburger-Abendblatt-Interview dezidiert Stellung. Killy, Jahrgang 1962, ist im Hauptberuf Journalist, Autor und Medienberater.

Roger Waters 2023 in Hamburg: "Fascho-Ästhetik"?

Abendblatt: Herr Killy, erinnern Sie noch, wann und wie Sie mit der Musik von Pink Floyd in Berührung gekommen sind ?

Daniel Killy: Ich fand als Jugendlicher „The Wall“ faszinierend. Auch den Film. Die marschierenden Hämmer als Chiffre für Faschismus hatten mich damals beeindruckt. Mittlerweile sind für mich diese Bilder eher Belege für Roger Waters‘ – höflich ausgedrückt – wirres politisches Weltbild. Diese Fascho-Ästhetik gibt es als Wandrelief als Pink-Floyd-Merchandise zu kaufen. Das sagt eigentlich alles. Heute löst das Hören nur noch starkes Unwohlsein aus, weswegen ich im Radio schon beim ersten Pink-Floyd-Akkord die Mute-Taste drücke.

So manche in Deutschland wünschen sich jetzt, der von David Gilmour und Roger Waters 1975 geschriebene Album-Titelsong „Wish You Were Here“ möge für Letzteren auf keinen Fall gelten. Die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen haben als Gesellschafter der Messe Frankfurt GmbH Waters‘ Konzert in der Festhalle für den 28. Mai abgesagt. Was halten Sie davon?

Ich halte das für einen famosen Erfolg bürgerlichen Engagements. Auch in München laufen viele Bürger gegen einen Auftritt des Judenhassers Waters Sturm. Und die lokale Politik scheint darauf zu reagieren, obwohl in München die Lage diffiziler ist, da die Stadt kein Hausrecht am Veranstaltungsort hat. Aber ich hoffe zuversichtlich, dass auch in Hamburg Widerstand gegen einen Waters-Auftritt zunimmt. Sowohl die Deutsch-Israelische Gesellschaft in Hamburg, deren Co-Vorsitzender ich bin, als auch Stefan Hensel als Beauftragter für jüdisches Leben und die Bekämpfung und Prävention von Anti­semitismus in Hamburg fordern eine Absage.

Frankfurt hat bereits Waters' Konzert abgesagt

Die Stadt Frankfurt führte zur Begründung an, Waters habe mehrmals einen kulturellen Boykott Israels gefordert und Vergleiche zum früheren Apartheidsregime in Südafrika gezogen. Reicht das für eine Konzertabsage seiner gesamten deutschen „Farewell“-Tour-Termine?

Ob das reicht? Reden wir Klartext: Einen „kulturellen Boykott Israels“ zu fordern – das klingt verharmlosend. Waters ist Protagonist der BDS-Bewegung. BDS steht für Boycott, Deinvestment und Sanctions, also für Boykott, Kapitalabzug und für Sanktionen gegen Israel. Die sogenannte BDS-Bewegung ist vom Bundestag als antisemitisch eingestuft worden, sie ist eine politische Hassorganisation mit dem Ziel, Israel zu delegitimieren. Wenn das in Deutschland nicht reicht als Absagegrund – was dann?

Im „Spiegel“-Gespräch mit Meron Mendel von der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank sagte Waters kürzlich, er sei „kein Antisemit“. Und von dem fliegenden Schwein, das er schon vor zehn Jahren bei „The Wall“-Konzerten zum Song „In The Flesh“ aufsteigen ließ, habe er den Davidstern nach Beschwerden entfernen lassen

Ich halte Meron Mendels gezielte Tabubrüche zur Verwässerung der international – auch von Deutschland – anerkannten Definition von Antisemitismus durch die IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance, d. Red.) für indiskutabel. Er hat sich da schon bei der Apologetik gegenüber dem indonesischen Kollektiv Ruangrupa beim documenta-Desaster gehörig die Finger verbrannt. Jetzt zu Waters nach London zu reisen war ein noch größerer Schuss in den Ofen, wie man dem Interview unschwer entnehmen kann. Waters hatte freie Bahn, seinen Irrsinn zu verbreiten.

Roger Waters: Auch München denkt über Absage nach

Der Münchner Stadtrat will sich an diesem Mittwoch (22. März) mit einer möglichen Vertragskündigung für das am 21. Mai geplante Konzert in der Olympiahalle befassen – nach vorheriger Rechtsprüfung der Regierung in Oberbayern. Für den 7. Mai in der Hamburger Barclays Arena sind die Anschutz Entertainment Group (AEG) und Konzertveranstalter FKP Scorpio zuständig. Erwarten Sie und die Jüdische Gemeinde Hamburg, dass Senat und Bürgerschaft Waters stoppen?

Ich hoffe, dass sich auch in Hamburg die Regierungsverantwortlichen der Sache annehmen. Es ist wahrlich nicht Sache der Jüdischen Gemeinde, in unserer Stadtgesellschaft der Motor gegen Antisemitismus zu sein, das ist Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft, die sich ja den Schutz von Deutschlands Juden auf ihre Fahnen geschrieben hat – also sind hier ganz besonders die nichtjüdischen Hamburger in der Pflicht. Auch wenn ich mich als Jude selbstverständlich gegen die Feinde des Judentums engagiere.

Glauben Sie, dass die privaten Betreiber und die Stadt Hamburg Angst vor möglichen Klagen von Waters‘ Rechtsanwälten haben?

Gewinnstreben mag bei den Veranstaltern zu einer Trübung der politischen Wahrnehmung und einer gewissen Hasenfüßigkeit aus Furcht vor materiellen Verlusten führen – moralisch stellen sie sich damit ins Abseits. Klagen von Waters‘ Winkeladvokaten würde ich persönlich als Auszeichnung betrachten. Und als stolzer Hamburger Bürger mag ich mir nicht vorstellen, dass Angst die Entscheidungen der Hamburger Politik bestimmt.

Daniel Killy sieht jüdischen Protest in Hamburg als möglich an

Erwägt die Jüdische Gemeinde denn Proteste, sollte Waters am 7. Mai in der Barclays Arena spielen wollen und dürfen?

Es wird sich gewiss Protest regen gegen einen eventuellen Auftritt. Und es werden im Zweifel auch jüdische Hamburger unter den Demonstranten sein. Aber noch mal: Es ist nicht die Jüdische Gemeinde, die dafür zu sorgen hat, dass unsere Stadt frei von Antisemiten und deren Hetze bleibt.

Nostalgietrip in der Barclays Arena für die Ü60-Generation


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  • Wie weit darf Meinungs- und Kunstfreiheit gehen – auch bei einem einflussreichen Musiker wie Roger Waters, wenn er Verschwörungstheorien anhängt und Putin verteidigt? Wo sehen Sie die Grenze?

    Ich halte den Begriff „Verschwörungstheorien“ für irreführend. Das ist keine Theorie, das ist eine Ideologie. Roger Waters ist ein glühender Antisemit und Verschwörungsideologe. Was er öffentlich von sich gibt, hat mit Volksverhetzung und Rassismus zu tun – nichts mit freier Meinungsäußerung. Ich zitiere aus einer Passage des „Spiegel“-Interviews zum Thema Schwein mit dem Davidstern: „Er war eines von vielen Symbolen, die für Dogmen stehen, die mir zuwider sind. Religiöse Dogmen wie der Judaismus, das Christentum und der Islam. Und kommerzielle Dogmen, die das kapitalistische Dogma repräsentieren. Neben dem Davidstern, dem Kruzifix und dem Halbmond waren bei diesen Shows auch das Logo von McDonald’s, das Dollarzeichen und der Mercedes-Stern zu sehen. Kein Unternehmen hat sich beklagt, kein Christ, kein Muslim. Nur die Israellobby.“ Mehr braucht man zu Waters‘ Weltbild nicht zu wissen.

    Konzert Roger Waters So 7.5., 20.00, Barclays Arena, Karten ab 90,17 im Vvk.