Hamburg. Die beiden Brüder trafen im Großen Saal auf das NDR Elbphilharmonie Orchester. Ein mitreißender und tief glaubwürdiger Abend.
Barpianist können sie also auch. Igor Romas Paraphrase auf Johann Strauß‘ „Fledermaus“ ist ein großer Virtuosenspaß, und wer will, kann dem 20-fingrigen Werk auch Broadway-Swing ablauschen.
Die Brüder Lucas und Arthur Jussen sind da. Das Publikum in der Elbphilharmonie haben sie schon vor dem ersten Ton eingewickelt. Wenn die beiden Blondschöpfe zum Konzertmeister laufen, um ihm die Hand zu schütteln, dann glaubt man einen Moment lang, sie würden gleich übereinander stolpern vor Eifer. Es ist eine fast kindlich-übermütige Spielfreude im Raum, die wunderbar zum immer noch jugendlichen Alter dieses Klavierduos passt. 26 und 30 Jahre sind die beiden alt, und wer wer ist, das lassen sie offenbar gerne im Unklaren. Ist auch beinah egal.
Elbphilharmonie: Das NDR Orchester wie auf Zehenspitzen
Was nicht egal ist, ist die schlafwandlerische Sicherheit ihres Zusammenspiels. Kein Blatt passt zwischen sie bei dem Konzert für zwei Klaviere und Orchester von Francis Poulenc. Das Stück klingt, als wäre es ihnen auf den Leib geschneidert. Der erste Satz lässt immer wieder an Mozart auf Speed denken mit seinen hämmernden Achtel-Repetitionen. Der schlanke Streichersound des NDR Elbphilharmonie Orchesters würde jeder Mozart-Oper zur Ehre gereichen. Und das folgende Larghetto bekennt sich ganz ausdrücklich zu Poulencs großem Vorläufer: Sein Thema ist dem „Krönungskonzert“ KV 537 entlehnt. Erst das Finale reißt sich vom 18. Jahrhundert los und tobt fröhlich durch die weitere Musikgeschichte, einschließlich fernöstlicher und jazziger Einsprengsel.
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Der Gastdirigent Stanislav Kochanovsky hält die Party mühelos zusammen. Was er kann, hat er bereits eingangs in Zoltán Kodálys „Konzert für Orchester“ gezeigt. Das Orchester scheint sich die ganze Zeit auf Zehenspitzen zu bewegen, so durchhörbar kommt die Musik daher, so knackig und zugleich offen für den Witz, der im Zarten, Leisen liegen kann. Hervorragend abgestimmt die Solopassagen. Wann erlebt man schon einmal einen Dirigenten, der auch den Schlagwerkern noch ihre Einsätze gibt? Der Esprit der Wiedergabe macht wett, dass das Werk um einiges braver ist als das gleichnamige von Kodálys Freund Bartók.
Elbphilharmonie: Ein musikalisch frischer, mitreißender und tief glaubwürdiger Abend
Tiefernst geht es zu in der sechsten Sinfonie von Prokofjew. Die Umstände ihrer Entstehung im stalinistischen Russland der 30er-Jahre klingen durch die Notenlinien. Ähnlich wie bei Schostakowitsch liegen Bedrohliches und Sarkasmus eng beieinander. Mal knurrt die Bassklarinette, mal bricht sich in grellen Aufgipfelungen der Blechbläser samt Piccolo-Geschrei und großer Trommel die Verzweiflung Bahn. Ein musikalisch frischer, mitreißender und tief glaubwürdiger Abend.