Hamburg. 800 Jahre Musikgeschichte und der Wandel von Frauenbildern in einem Konzert von Patricia Kopatchinskaja und Anna Prohaska.
Aus diesem Konzert könnte man mühelos ein Seminar zu feministischen Theorien herausdestillieren, es hatte reichlich Stoff, um religionssoziologisch vorbelastetes Publikum heillos zu überlasten. Und war dennoch das reine, anstrengende, anregende Vergnügen, mit seiner klug durchdachten Mischung aus Musik und theatraler Inszenierung.
Begeisterter Beifall im Großen Saal der Elbphilharmonie war der Dank dafür, weil sich zwei Frauen auf der Bühne so spielerisch, einfallsreich und konzentriert mit komplexen Fragen auseinandergesetzt hatten: Glaube, Gleichberechtigung, Genuss, Sünde, Vergebung, Maria als Mutter Jesu, Maria als Lichtgestalt und Hure. Die Frau an sich als Ursprung von allem. Kleiner hatte es dieser Abend nicht.
Elbphilharmonie: Musikalische Marienerscheinungen
Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja, die Sopranistin Anna Prohaska (passend im Burgfräulein-Gewand), dazu das Ensemble Resonanz – und Musik aus rund 800 Jahren, von Walther von der Vogelweides „Palästinalied“, begleitet von einer ruppig dazwischenschlagenden Landsknecht-Trommel, über Haydn und Eisler bis zu Crumb und Kurtàg. Sakrales und Weltliches, Mystisches und Sinnliches. Und gerade das Kreuzen und Queren, die virtuosen Stil-Reibungen und das Infragestellen von Rollenbildern faszinierten.
Drei Streicher, darunter auch Kopatchinskaja, die mit ätherisch säuselnden Glasharfen die Resonanz-Solo-Cellistin Saerom Park begleiteten, das abstrakte Gebrabbel von Kurtàgs „Kafka-Fragmenten“, bei denen sich Geige und Sopran allerliebst duellierten.
Die anrührende Aufrichtigkeit des ergreifend schlichten Volkslieds „Maria durch ein Dornwald ging“, mit einer von allen gesungenen Strophe, auch ganz ohne Weihnachten. Ein mittelalterliches Antiphon von Hildegard von Bingen, bei dem alle Streicher wie bei einer Prozession durch die Ränge wandelten, während Prohaska vor der Orgel Himmlisches von sich gab.
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Elbphilharmonie: Die Frau als Ursprung von allem
Konzeptionelles Rückgrat war das kleinorchestrale „Maria-Tryptichon“ des Schweizers Frank Martin, bei dem die Resonanzler der sonderbar verkapselten Musik zu Wahrnehmung verhalfen. Frühbarocke Motteten-Bläser, die bis ins Extrem ausgereizten Abschnitte aus Haydns „Sieben letzten Worte ...“. Aber mittendrin und bissig kabarettistisch auch als totales Kontrastprogramm Eislers „Lied der Kupplerin“, mit zickigem Swing-Kapellchen.
Prohaska sang vampig ins Mikro, über den schnöden Warenwert von körperliche Liebe, während Eisler ständig sarkastisch Wagners „Tristan“-Akkord als Visitenkarte transzendierender Seligkeit dazwischenschob. Toll auch die Idee, in Haydns Erbeben-Vertonung den Orchesterapparat für einige Schreckmomente amorphen Krach spielen zu lassen, bevor eine letzte barocke Oratoriums-Arie ein letztes Loblied auf Maria sang. Und danach das Saallicht verlosch.
Aktuelle CD: „Maria Mater Meretrix“ (alpha, ca. 17 Euro)