Hamburg. Der Hamburger Schauspieler feiert an diesem Donnerstag seinen 75. Geburtstag – und hat ein deftiges Buch über sein Leben geschrieben.

Fast hätte Udo Lindenberg mal den Mackie Messer am Deutschen Schauspielhaus gespielt. Hat er aber nicht, weil er – Anfang der 1980er-Jahre war das – nicht ohne Mikrofon singen wollte. Der Udo sagte also ab, der Schauspieler Christian Redl, mit reichlich Whiskey überredet, sprang ein (was so heutzutage wohl keiner mehr seinen Stimmbändern zumuten würde), und überzeugte mit dem berühmten Part in der „Dreigroschenoper“ so sehr, dass er sich fortan die Theaterrollen aussuchen durfte. Heute zählt er, längst auch im Fernsehen, zu den bekanntesten Charakterköpfen seiner Zunft.

Peter Zadek fläzt sich „wie ein zu fett geratener Biber“ auf dem Sofa

Wer diese Art von Bühnenschnurren liebt, wer vielleicht auch Klaus Pohls formidable Theatererinnerungen „Sein oder Nichtsein“ verschlungen hat, dem dürfte auch Christian Redls effektbegabte, anekdotenreiche Autobiografie „Das Leben hat kein Geländer“ (Westend, 236 S., 24 Euro) gefallen.

Da schlürft der große Ulrich Wildgruber Austern oder schläft „wie ein dickliches Kleinkind, das pappsatt und selbstvergessen vor sich hin schnorchelte“, auf dem Küchenfußboden einer Kostümbildnerin; da werden bühnenreife Beziehungskisten mit der Schauspielerin Maja Maranow in der Hamburger Schauspielerkneipe „Dorf“ ausgiebig zitiert und die Wunderspritzen eines „Dr. Mabuse“ gegen das verdammte Lampenfieber bereitwillig gestanden; da fläzt sich Peter Zadek „wie ein zu fett geratener Biber“ auf seinem Büro-Sofa.

Überhaupt, Zadek: Auch in dessen legendärer „Lulu“ von 1988 spielte Redl am Schauspielhaus. Der Regisseur habe das Stück „seinen Schauspielern zum Fraß hingeworfen“, schrieb Hellmuth Karasek einst im „Spiegel“. Christian Redl gehörte – wie die blutjunge Susanne Lothar, wie der Upcoming-Star Ulrich Tukur, wie der Berserker Ulrich Wildgruber – zu denen, die es damals „mit Vergnügen und Hingabe verschlungen“ haben.

Susanne Lothar, Christian Redl und Ulrich Wildgruber in Peter Zadeks legendärer „Lulu“-Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.
Susanne Lothar, Christian Redl und Ulrich Wildgruber in Peter Zadeks legendärer „Lulu“-Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. © roswitha hecke

Peter Zadek (Redl: „eine beeindruckende Präsenz“ und „geradezu dämonische Aura“) hatte ihn mit vielversprechenden Rollen und dem unmoralischen, aber nun einmal lukrativen Angebot, 1000 Mark mehr zu bezahlen als der Kollege Luc Bondy in Berlin, an die Kirchenallee gelockt. Zadek also, Wildgruber, aber auch Eva Mattes, Uli Waller, Christine Kaufmann, Rudolf Augstein, sie kommen alle vor in diesem furchtlosen, geradezu üppigen Wachrufen einer in vielerlei Hinsicht entgrenzten Zeit. Angstzustände, Erfolge, krachendes Scheitern (das Ödipus-Debakel!), die Besäufnisse, das Theater, die Liebe – es ist wirklich alles dabei.

An diesem Donnerstag wird der Hamburger Schauspieler Christian Redl 75 Jahre alt. Wie viel Welt und Mensch und Drama und lustvolle Grenzüberschreitung in solch ein Leben passen – das ist in seinem ungeschönten literarischen Blick hinter die Kulissen auch ein großes, saftiges Leseglück.