Zadek-Festival: Das Abaton zeigte den Klassiker “Lulu“, der Regisseur war zu Gast

Hamburg. Sonntag im Abaton-Kino, kurz vor Vorstellungsbeginn. Gezeigt werden soll Peter Zadeks "Lulu", eine Aufzeichnung seiner legendären Schauspielhaus-Inszenierung von 1988. Das Kino ist anständig gefüllt, ein Pärchen flüstert in Reihe elf. "Wußtest du, wie lange das dauert?" - "Nee." - "Drei!ein!halb!Stun!den!" - "Oh." - "Ja." - "Echt?" - "Ja. Gut, daß ich eine Banane mitgenommen habe." Drei Reihen weiter vorn, zwei ältere Damen: "Wußtest du, daß das dreieinhalb Stunden geht?!" - "Nee." - "Dabei ist ,Lulu' ja an sich ein ganz kurzes Stück." - "An sich ja." - "Na, der Zadek muß es ja wissen."

Der Zadek wußte es. Sogar besser. Wohl kaum eine andere Inszenierung - Gründgens' "Faust" einmal ausgenommen - ist nachhaltiger in die Theatergeschichte der Kirchenallee eingegangen als diese. Vier lange Probenmonate, eine verschobene Premiere, ein enorm provozierendes Plakat - schon bevor der Vorhang sich im Februar 1988 hob, hatte Zadek jede nur erdenkliche Aufmerksamkeit. Die Besetzung war (und ist es auch aus heutiger Sicht und auch in der gefilmten Fassung) unfaßbar gut: Susanne Lothar als Lulu, Ulrich Wildgruber als Dr. Schöning, der junge Ulrich Tukur, Christian Redl, Matthias Fuchs, Jutta Hoffmann. Sie verschwenden sich haltlos an dieses Stück, und genau das macht es so fabelhaft. Zadeks "Lulu", die Frank Wedekind in dieser frühen Fassung als "Monstretragödie" beschreibt, ist orgiastisch, ungezügelt, grell, triebhaft, frivol, zynisch - und saukomisch.

"Ich würde es heute nicht mehr so inszenieren, weil es mir heute nicht mehr einfällt", erklärt ein sichtbar müde gewordener Zadek im Abaton nach 204 Minuten Bühnenkino - 18 Jahre nach der Premiere. Im Mai wird Peter Zadek 80 Jahre alt, und er ist wieder in Hamburg, weil er wieder hier probt. Nicht am Schauspielhaus, sondern am St.-Pauli-Theater. Aus Anlaß seiner im Februar dort anstehenden Inszenierung "Der bittere Honig" lädt das Abaton vorab zum "Peter Zadek Festival", was vielleicht etwas hochgegriffen ist (gerade einmal drei Filme werden gezeigt), aber in jedem Fall den Aufwand wert.

"Das war ja eigentlich sehr straight", analysiert Zadek seine "Lulu", und fast klingt er ein wenig überrascht über die eigene Leistung. Zadek spricht leise, der graue Schal liegt ihm über dem schwarzen Pullover, beim Erzählen behält er den linken Handschuh an. "Das war nicht stilisiert, sehr realistisch gespielt, das ist ja gar nicht so einfach. Die ,Lulu'-Aufführungen der letzten Jahre waren meist sehr stilisiert und haben immer den Versuch gemacht, irgend etwas zu beweisen." Sieht er im Rückblick eine Schwäche in seiner "Lulu"? "Ja", sagt Zadek, "der mittlere Akt ist schwach. Nicht von mir. Von Wedekind."

"Der bittere Honig", in der bislang nicht gezeigten Originalfassung von Shelagh Delaney, mit der Zadek am St.-Pauli-Theater bald die Uraufführung eines weltbekannten Stückes feiern wird, bezeichnet er als "ungeheuer unpassend für diese Zeit. Unpassender geht es gar nicht mehr." Es sei ein "unnettes Stück über unnette Leute": "Alle sind dauernd wütend. Nicht wütend wie Amnesty International oder so, sondern einfach wütend. Ohne Freundlichkeit. Ich finde, daß wir unsere Wut heute zu oft wegstecken. Wir sind zu feige. Und gelegentlich bricht es heraus."

Unpassend oder nicht - wenn dieser Ausbruch so famos enthüllt wird wie jener aus der Fassade der Bürgerlichkeit in "Lulu", lohnt jede Minute. Zur Schauspielhaus-Premiere übrigens dauerte die "Lulu" fünf einhalb Stunden. Folgender im Abaton abgelauschter Dialog hätte demnach auch damals gepaßt: "Ist das mit Pause?" - "Na, die werden das doch nicht durchziehen." - "Das gibt nachher das große Rennen zur Toilette, ich sag's dir." - "Ja." - "Ja."

  • Peter Zadek Festival im Abaton: So 15.1., 11 Uhr: "Ich bin ein Elefant, Madame"; Sa 4.2., 17 Uhr: "Peter Zadek inszeniert Peer Gynt", jeweils anschließend Publikumsgespräch mit Zadek, Tel. 41 320 320.