Hamburg. Das Kopenhagener Kammerballetten und das Trio Vitruvi begeistern im Großen Saal auch den königlichen Besuch im Publikum.
Tanz in der Elbphilharmonie? Das gab es 2017 schon in der Eröffnungswoche, als Sasha Waltz das gesamte Gebäude bespielte. Nun aber präsentierte die Christoph Lohfert Stiftung einen ganzen Tanzabend im Großen Saal. Der im Oktober 2017 gestorbene Stifter war Krankenhausberater, Musikfreund – und einer der vielen privaten Geldgeber, die die Elbphilharmonie mit ermöglicht haben.
Elbphilharmonie: Sogar eine Prinzessin sitzt im Publikum
Dass Tanz auch jenseits einer Guckkastenbühne funktioniert, beweist dieser ungewöhnliche Abend mit dem Titel „Neue Bahnen“, der von einer glücklichen Verbindung aus Klang und Bewegung erzählt, von Kammermusik und Kammerballett, ausgeführt vom Trio Vitruvi und Kammerballetten aus Kopenhagen.
Es war klar, dass hier eher die Intimität im Zentrum stehen würde als das große Tanztableau eines Corps de Ballet. Und doch gibt es an dem vom Ausnahmetalent wie auch vom jugendlichen Elan der Beteiligten geprägte Abend einige Überraschungen.
Elbphilharmonie: Publikum erlebt einen überragenden Tanzabend
Es beginnt sehr sanft mit zart und frühlingshaft auf- und abwogenden Klängen von Franz Schubert und der Choreografie „Oenothera“ (2021) von Tobias Praetorius. Violinist Niklas Walentin, Cellist Jacob la Cour und Pianist Alexander McKenzie, der Kammerballetten auch künstlerisch leitet, agieren bestens aufeinander eingestellt.
Auf der Bühne beginnen die Tänzerinnen Stephanie Chen Gundorph, Astrid Grarup Elbo und Ida Preaetorius mit sanften Armbewegungen, die zu ausladenden Drehungen in einen fließenden, neoklassisch geprägten Pas de trois münden.
Dass Ida Praetorius, Erste Solistin des Hamburg Balletts John Neumeier, hier auf der Bühne steht, ist kein Zufall. Noch immer ist sie dem Royal Danish Ballet, aus dem Kammerballetten hervorging, eng verbunden, in dem auch ihr choreografierender Bruder Tobias Praetorius tanzt. Die hochkarätigen Kunstschaffenden ziehen sogar königlichen Besuch an: Prinzessin Benedikte von Dänemark, Schwester von Königin Margret von Dänemark, lässt sich diesen Abend in Hamburg nicht entgehen.
Elbphilharmonie: Mit einiger Wucht prallen die Körper der Tanzenden aufeinander
Nach dem sanften Auftakt folgen Szenen einer eher turbulenten Zweisamkeit. Stephanie Chen Gundorph und Tobias Praetorius bleiben in Kristian Levers Choreografie „Unravel“ (2018) mal jeder ganz für sich in einem eigenen Licht-Spot, dann wieder prallen ihre Körper mit Wucht aufeinander. Er wirft sich mit offenem Hemd über der bloßen Brust in wilden Slides über den Boden, dass es mitunter kracht.
Sie sucht auf Socken tanzend nach Wegen, sich gegen sein Temperament und seine Dominanz zu behaupten. Maurice Ravels unvergleichliche „Pavane pour une infante défunte“, wunderbar arrangiert für Klavier und Violine, bildet für diesen Zweikampf eines Paares eigentlich einen zu zarten Hintergrund.
Es ist die Stärke der einzelnen in sich abgeschlossenen und stimmigen Episoden des Abends, dass sie extrem unterschiedlich sind. Auch eine Slapstick-Einlage wie „Absolute Pitch Black“ (2021) von Sebastian Kloborg findet da ihren Raum. Mehrere rollbare Kleiderstangen mit schwarzen Kostümen bilden ein wandelbares Bühnenbild. Niklas Walentin und Alexander McKenzie spielen Frédéric Chopins „Nocturne in cis-Moll“ aus immer wieder neuen Positionen heraus.
Das fünfköpfige Tanzensemble muss zu Beginn in die teils synchrone Bewegung finden, denn das Tempo ist atemberaubend hoch. In strenge Anzüge gekleidet, hinterfragen die zwei Tänzerinnen und drei Tänzer lustvoll und mit viel Schalk in der Bewegung die Rituale eines Konzertsaals.
Nach der Pause gibt es einen ersten Höhepunkt des Abends
Da bespielt Niklas Walentin mal die Haare der Tänzerin Emma McKenzie, mal die eigene Krawatte mit dem Geigenbogen. Man spürt bei den Tänzerinnen und Tänzern die Freude, sich auch mal aus dem starren Gefüge der Ballett-Schrittfolgen zu lösen.
Nach der Pause gerät „Neue Bahnen“ (2022) von Tobias Praetorius zum Adagio aus dem Klaviertrio H-Dur, op 8 von Johannes Brahms zu einem ersten Höhepunkt des Abends. In einem von Intimität geprägten Pas de deux tanzen Alban Lendorf und Mayo Arii mit innigen Hebe- und Dreh-Figuren. Arii gilt ein besonderer Jubel, zählte sie doch bis 2019 zu den Solistinnen des Hamburg Balletts.
Trio Vitruvi erweist sich als exzellenter musikalischer Begleiter
Anschließend wird es opulent. Ilya Jivoy versammelt für „Unio“ (2022) zwei Tänzerinnen und drei Tänzer auf der Bühne, die in einer Reihe aufmarschieren. Zu Klängen aus „Plainscapes“ des lettischen Komponisten Pēteris Vasks formen die Tanzenden in transparenten roten Kostümen starke Bilder von der Zerbrechlichkeit des Menschseins, finden aber auch zu großer, kraftvoller Dynamik, die Zusammengehörigkeit ausdrücken soll, mitunter aber fast zu viel will.
Erneut erweist sich hier das Trio Vitruvi als Begleiter von absoluter Exzellenz. Den expressiven Klavier-Arpeggien und dem sensiblen Gesang der Violine zuzuhören, ist ein Hochgenuss.
Expressive Gesten verbinden sich auf der Bühne zu allerhöchstem Ausdruck
Zum Höhepunkt des Abends wird schließlich „Selvportræt“ (2021) von einem der derzeit gefragtesten Choreografen weltweit: Paul Lightfoot. Der langjährige Tänzer und künstlerische Leiter des Nederlands Dans Theater kreiert zur sehr rhythmischen Musik von Alexander McKenzie eine Art Dreiecksbeziehung, inspiriert vom antiken Mythos der Schicksalsgöttinnen, Moiren genannt.
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Sebastian Pico Haynes beginnt mit einem eindrucksvollen Solo von absoluter Körperbeherrschung bis in die kleinste Faser hinein. Bald gesellt sich in einem eigenen Licht-Spot der wandlungsfähige Toon Lobach mit fluiden Bewegungen hinzu. Lange bleiben sie bei sich, wechseln sich in den Bewegungen ab, während der andere verharrt und Mikaela Kelly in einem langen ausladenden Kleid am Bühnenrand steht oder langsam den Raum abschreitet.
Der auch technisch sehr anspruchsvollen Choreografie ist ihre Entstehung während der Pandemie anzumerken. Expressive Gesten verbinden sich zu allerhöchstem Ausdruck. Wenn sich die Tanzenden zum Pas de deux und Pas de trois zusammenfinden ist es, als würden sie im Bewusstsein der Endlichkeit nichts weniger als das Leben umarmen. So wie dieser in jeder Hinsicht außergewöhnliche Ballettabend in der Elbphilharmonie.