Hamburg. Inszenierung von John Neumeiner erntet Applaus und Bravo-Rufe. Hamburg Ballett hat dank einer großzügigen Spende neue Schwanen-Tutus.
Sein Gesicht spiegelt innere Zerrissenheit und Verwirrtheit, aber auch Gefühlsstärke. Der Erste Solist Alexandr Trusch erinnert mit ausladender Frisur und Bart an den bayerischen König Ludwig II., auch als „Märchenkönig“ bekannt. Ein leidenschaftlicher Schlossbauherr, nur mit der Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit hatte er seine Mühe.
Es ist inzwischen die fünfte Wiederaufnahme von „Illusionen – wie Schwanensee“ des Hamburg Balletts seit der Uraufführung 1976. Vier Jahre lang war der Klassiker von John Neumeier zur Musik von Peter I. Tschaikowsky nicht mehr in der Staatsoper zu sehen. Doch keine Ballett-Inszenierung erfreut sich seit Generationen derart großer Beliebtheit.
Hamburg Ballett: John Neumeiers „Schwanensee“ begeistert
Es ist dieses Zusammenspiel aus Musik, märchenhaftem Mythos und erstklassigem Tanz, die die Faszination bis heute ausmacht. Und auch beim fünften Mal löst die Wiederaufnahme mehrfach Szenenapplaus, Bravo-Rufe und stürmische Begeisterung aus.
Das beginnt schon mit der ersten Erinnerung des Königs an das Richtfest seines Schlosses. Vor unwirklich schönem Alpenpanorama geht es da munter und auch mal derbe zu. Zimmerleute, Bauernvolk und Handwerker messen sich im körperlichen Wettstreit. Mittendrin vollführen junge Adelige ihre eleganten Sprung- und Drehfiguren. Auch die Verlobte des Königs, die von der Ersten Solistin Madoka Sugai mit Anmut und Hingabe getanzte Prinzessin Natalia gesellt sich hinzu.
Neumeier präsentiert zeitlos nachvollziehbare Dramenpsychologie
Doch Truschs König entzieht sich ihr immer wieder und taucht ab in dunkle innere Welten. Neumeier präsentiert diesen Ich-Verlust eines Königs in zeitlos nachvollziehbarer Dramenpsychologie. Sein irritierendes Verhalten bringt ihn in ein Verlies, für das Bühnen- und Kostümbildner Jürgen Rose monumentale Wände errichtet hat. Dort erhält er bald Besuch von David Rodriguez als „Mann im Schatten“, einem unheimlichen schwarz gewandeten Zauberer der Finsternis.
Das Corps de Ballet, zu dem inzwischen einige ehemalige Tänzerinnen und Tänzer aus dem Bundesjugendballett wie Louis Musin oder Justine Cramer zählen, kann sich direkt zu Beginn fröhlich freitanzen, bevor das Liebes-Drama seinen Lauf nimmt.
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Der zweite Akt stellt seit jeher den Höhepunkt einer jeden „Schwanensee“-Inszenierung dar. John Neumeier hat ihn nach der Originalchoreografie von Lew Ivanow in eine private Ballettvorstellung für den König eingeflochten. Lange schaut Alexandr Truschs König vom Bühnenrand aus dem Treiben am See zwischen hohen Bäumen zu. Sieht die Schwäne ihre eleganten, mal synchronen, mal spiegelbildlich angelegten Drehungen und Aufreihungen vollziehen.
Hand bestickte Schwanen-Tutus dank einer großzügigen Spende
Dabei glänzen nicht nur die Tanzenden, sondern auch die neuen, von Hand bestickten Schwanen-Tutus, für die die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper und des Hamburg Balletts eine sechsstellige Spenden-Summe einwarb. Höhepunkt aber ist der Auftritt der vom bösen Zauberer Rotbart (wiederum schwungvoll und expressiv getanzt von dem subtil bedrohlichen David Rodriguez) verhexten Prinzessin Odette, die um Mitternacht in Mädchengestalt erscheinen darf.
Star-Solistin Alina Cojocaru präsentiert als Gast erneut ihr filigranes Können. Mit fluider Drehung sinkt sie in die Arme des von Lasse Caballero getanzten Prinzen Siegfried, dessen Rolle bald Alexandr Truschs König übernimmt – dabei beobachtet von Madoka Sugais Prinzessin Natalia. Die Liebe entwickelt sich zur Tragödie, als der König beim Maskenball im Siegfried-Kostüm auf Natalia in einem Schwanen-Tutu trifft und der Odette-Illusion erliegt. Beim „Grand Pas de deux“ nach Marius Petipa und Lew Iwanow haben Trusch und Sugai ihre ganz großen Tanz-Momente, er mit sagenhaft virtuosen Sprüngen und Wendungen, sie mit atemberaubender Drehkraft.
Daniel Cho sorgt an der Solo-Violine für Gänsehautmomente
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter Nathan Brock setzt dabei musikalisch klug auf Tempo und Schärfe und weniger auf Sentimentalität. Daniel Cho sorgt an der Solo-Violine für echte Gänsehautmomente. Die Kombination aus individuellem Schicksal aber auch feurigen Gruppentableaus etwa beim Maskenball mit seinen prächtigen Csárdás- und Bolero-Einlagen, begeistern auch diesmal und zeugen von dem universell gültigen Reiz dieser Choreografie.
Die Wiederaufnahme wird in den kommenden Wochen zahlreiche Rollendebüts erleben. So tanzt am 17. und 19. Februar erstmals die Erste Solistin Ida Praetorius die Rolle der Prinzessin Natalia.
„Illusionen – wie Schwanensee“ weitere Aufführungen 12.2., 16 Uhr, 16./17.2., 19.30 Uhr, 19.2., 19 Uhr, Hamburgische Staatsoper, Karten unter T. 35 68 68; www.hamburgballett.de